Di, 13. Okt 2009, 23:48
Ich denke, die Gesellschaftsstrukturen vor dem Krieg kann man als introvertiert, in sich geschlossen, panisch vor Identitätsverlust und sehr darum bemüht albanische Werte und Traditionen unantastbar und undurchbrechbar zu machen, benennen. Um diese Güter zu erreichen, war der soziale Kontakt und die albanischen Gepflogenheiten untereinander damals sehr wichtig. Die Parallelinstitutionen sicherten die existentiellen Bedürfnisse und zollten ihren eigenen Tribut zum kollektiven Identitätsbewusstsein bei. Wo wir einst empfindlich auf äussere Einwirkungen reagierten und unsere Gesellschaftsordnungen so konstruiert waren, dass sie unzugänglich wie abgelegene Bergdörfer zur Gjergj Kastriotis damaliger Zeit waren, sind heute diese Eigenschaften weitgehend aufgerieben. Unsere Gesellschaft bewegt sich schleichend immer mehr in Richtung Europäische Union, immer mehr in Richtung Grenzenabbau und Nationalitätsunterdrückung; man nimmt die Formen eines europäischen Bürgers an. Das alles geschieht vorerst nur in den Köpfen. Die ersten staatlichen Schritte wurden mit der Fahne und der Hymne, die diese EU symbolisch verkörpern sollte, eingeleitet. Die Jugend ist heute sehr nach Eu gerichtet, viele wollen leidenschaftlich gerne ihre Heimat mit einem europäischen Land umtauschen und anglizistische Fremdwörter wie "shum cool njeri, shum nice, shum danger, shum sick etc." finden bei der Jugend immer mehr Gehör.
Das Gesellschaftsleben damals spielte sich hauptsächlich dann ab, wenn Hochzeiten, Beschneidungsfeiern, Bajram- und Shengjergjifeste gemeinsam gefeiert wurden. Man darf aber auch nicht den allwöchentlich wiederkehrenden Tag des Marktes "Pazar" ausser Acht lassen, wo zum Einen die Bauern ihre landwirtschaftlichen Erträge an den Mann brachten und zum Anderen soziale Kontakte geknüpft und gefördert wurden. Gesellschaftsstrukturen kann man auch da erkennen, wo sich meist ältere Männer in einer traditionellen albanischen Stube Namens "Oda" versammelten und über die albanische Sache, über Gott und die Welt debattierten oder albanische Lieder mit der çiftelia einstimmten. Auch wichtige Entscheidungen, die das ganze Dorf betrafen, wurden in diesen Odas abgehalten, man kann es als eine Art Gemeindeversammlung etikettieren wie in etwa die Bürgerversammlungen des Appenzeller Völkli vor dem Rathaus. Ich habe für meine Ausführungen keine Quellen oder Belege griffbereit, das sind nur meine persönlichen Eindrücke durch Selbsterlebnisse und durch Geschichten meiner Verwandten.
Ich hoffe sie dienen dir auf irgendeine Weise für deine Diplomarbeit! Viel Glück und Können!