das hab ich dazu gefunden! kann leider nicht mitsprechen!
Die letzten Osmanen
(iz).
In einem Punkt sind sich alle Kosovaren einig: Prizren ist ihre schönste Stadt. Für Linguisten ist Prizren eine wahre Fundgrube an alten Sprachen und Dialekten. Wie damals nach den Kriegen in Bosnien, Kroatien oder Serbien besuchen jetzt auch schon die ersten Touristen den Kosovo.
Es ist Mittagszeit in Prizren: Alle Schulen haben Mittagspause und Tausende Schüler und Studenten bevölkern die Flaniermeile Shadervan, jetzt wo der Frühling beginnt und die Sonne schon richtig wärmt. Albanische Musik tönt aus den Boxen auf den vielen Terrassen, alles scheint in bester Ordnung. Der Duft von frisch geröstetem Kaffee mischt sich mit dem Geruch von Gegrilltem. Die Kebabverkäufer haben Hochbetrieb und die Kellner des Restaurants „Besimi Beska“, des besten Restaurants am Platz, beeilen sich, um Touristen und Einheimische mit Getränken, Pizzas und Salaten zu versorgen.
Plötzlich, wie ein Schwarm Heuschrecken, tauchen über dem Pashtrik-Gebirge im Westen Helikopter auf. Die Szene erinnert an den Vietnam-Film „Apocalypse Now“ von Francis Ford Coppola. Das Knattern der Rotoren der Huey-Helikopter der deutschen Bundeswehr kommt drohend näher, bevor die Helikopter einen Bogen machen und in Richtung Gebirge Malet-e-Sharrit im Süden weiterfliegen. Die Menschen auf der Shadervan schenken den Helikoptern nicht viel Beachtung und die türkische und albanische Musik nimmt wieder Oberhand. Die Nato hat kurz Präsenz gezeigt. Für die Einheimischen etwas Alltägliches, für die Touristen etwas Besonderes. „Latte-Macchiato-Teams“
Wenn die Studenten nach dem Mittag in die Schulen zurückkehren, wird es ruhiger auf der Shadervan und es kann auch wieder mit dem Handy telefoniert werden, denn um die Mittagszeit bricht die Netze der Anbieter Vala900 und Ipko vor lauter telefonierenden Jugendlichen jedes Mal zusammen.
Jetzt, wo es auf den Terrassen wieder Platz gibt, tauchen auch deutsche Bundeswehrsoldaten auf. Zwei Armeefahrzeuge parken im Halteverbot auf dem grossen Platz nahe der Moschee Sinan Pascha. Eine zusammengewürfelte Gruppe Soldaten vom Heer, von der Luftwaffe und der Marine steigt aus, um Kaffee zu trinken. Seit den Unruhen im März 2004 setzt die von der Nato geführte Schutztruppe KFOR so genannte Liason-Monitoring-Teams (LMT) ein. Das sind Teams, die sich die Sorgen und Nöte der Bevölkerung anhören sollen. Die deutschen Fahrzeuge im Zentrum von Prizren sind denn auch mit LMT gekennzeichnet, und weil sich die Soldaten hauptsächlich hier an der Shadervan aufhalten, um Kontakte zur lokalen Bevölkerung zu pflegen - und das vor allem in Restaurants -, werden sie im Volksmund auch spottend „Latte-Macchiato-Teams“ genannt.
Gleichzeitig parken Fahrzeuge der türkischen Armee an einem anderen Platz. Ihre Autos sind mit „CIMIC“ beschriftet, was „Civilian Military Cooperation“ bedeutet. Haben die Schweizer, Deutschen und Österreicher ihre CIMIC-Aktivitäten weitgehend abgebaut, sind die der Türken immer noch im Gang. Fragt man einem deutschen Offizier, was die Türken genau machen, dann bleibt er eine Antwort schuldig.
Es ist auch in engen NATO-Kreisen in Prizren nicht bekannt „welches Süppchen“ die Türken hier kochen, obwohl das doch offensichtlich ist: Die Türken treiben türkische Projekte voran. Es gibt ein türkisches Hospital, türkische Schulen, türkische Kindergärten, alles ehemalige Osmanische wird von den Türken restauriert, und wenn auf einem Friedhof auch nur ein osmanischer Soldat beerdigt wurde, bekommt der ganze Platz einen neuen Anstrich. Die Politische Partei der kosovarischen Türken ist sehr aktiv und auch im Parlament in Prishtina gut vertreten. Prizren aber bleibt die altosmanische Hochburg.
Historisches ...
Es lässt sich an den Ufern des Flusses Bistrica e Prizrenit auch gut verweilen. Wenn sich die Kosovaren in etwas einig sind, dann darin, dass die Stadt Prizren die schönste des Kosovo ist. Prizren ist eine altertümliche Stadt mit orientalischem Flair.
Der türkische Einfluss ist unverkennbar. Genau 39 Minarette zählt die Stadt; immer die osmanische Variante; ein schlankes, hohes „Bleistiftminarett“. Die Moschee Sinan Pascha aus dem Jahr 1615, die katholische Kathedrale und die serbisch-orthodoxe Kirche stehen alle an der Shadervan. Prizren ist serbisch-orthodoxer und katholischer Bischofssitz zugleich. Im historischen Zentrum steht auch die Villa der 1878 gegründeten Albanischen Liga. Der Hammam Gazi Mehmed Pascha, das türkische Bad aus dem 16. Jahrhundert, gehört neben den berühmten Hammams in Skopje (Mazedonien) und Sarajevo (Bosnien) zu den schönsten des Balkans und die alte Türkenbrücke, genannt „Ura e gurit“, mitten im Zentrum, verbindet symbolisch Orient und Okzident. Die Renovierung der Moschee Sinan Pascha ist zur Zeit kurz vor der Vollendung. Bezahlt hat dies selbstverständlich die türkische Regierung in Ankara. Der Wiederaufbau des 2004 niedergebrannten serbisch-orthodoxen Bischofssitzes mussten die Kosovaren selber berappen. Es wird aber behauptet, die Albaner hätten sich dabei eine goldene Nase verdient.
... und spirituelles Zentrum
Wer in Prizren unterwegs ist, entdeckt rasch weitere Relikte des Osmanischen Reichs. An verschiedenen Orten in der Stadt gibt es so genannte Tekken - Zentren von Sufi-Bruderschaften („Derwisch-Orden“). Als im Jahr 1926 Kemal Atatürk die Türkische Republik ausrief, verbot er die Derwisch-Orden. Auf dem Balkan blieben diese nach alter osmanischer Tradition aber erhalten, und so kann es sein, dass man auf der Shadervan in Prizren dem Großschaikh Abedin der Halveti-Tariqa begegnet.
Der junge Mann, von dem behauptet wird, er sei lieber DJ in einer Diskothek in seiner Lieblingsdestination St. Moritz geworden, als das würdevolle Amt von seinem Vater zu übernehmen, hat jetzt die spirituelle Leitung eines der bedeutendsten Derwisch-Orden auf dem Balkan.
Ausflugsort für Familien
In Prizren - von vielen Touristen auch „Klein Istanbul“ genannt - sind am Rande der Stadt noch verschiedene Türben - muslimische Mausoleen - erhalten geblieben, die vor allem an religiösen Festtagen besucht werden. Und nicht zu übersehen ist die noch in byzantinischer Zeit errichtete und in der Nacht beleuchtete Kalaja-Festung oberhalb der Stadt.
Unterhalb der Festungsmauern der Kalaja wurden in den letzten Jahren die Wanderwege ins Bistrica-Tal renoviert. Das Tal ist beliebt als Ausflugsort für Familien aus der ganzen Region, zieht aber auch Touristen an. Am Flussbett, am Wegesrand und an den zahlreichen Kinderspielplätzen picknicken Albaner, Bosniaken, Türken und Roma.
Prizren ist multiethnisch, und das macht die Stadt so speziell. Gemäß den Statistiken der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) leben acht Jahre nach dem Krieg von 1999 von den ursprünglich rund 8.000 Serben nur noch 234 in Prizren.
Buntes Sprachengemisch
Obwohl Prizren eine muslimisch geprägte Stadt ist (94 Prozent der rund 170.000 Einwohner gehören dem Islam an), sind etwa fünf Prozent der Albaner Katholiken. Die Bosniaken (rund 25.000) sind slawische Muslime. Ihre Sprache - Bosniakisch - weist laut Sprachwissenschaftern etwas grössere Einflüsse der türkischen und der arabischen Sprache auf als das Serbische und das Kroatische. Die Sprache wird fast ausschliesslich mit dem lateinischen Alphabet geschrieben, selten wird noch das kyrillische Alphabet verwendet.
Rund 15.000 Einwohner Prizrens sind türkischer Herkunft. Türkisch wird aber praktisch von allen alteingesessenen Albanern der Stadt gesprochen. Erstens ist das die „vornehme“ Sprache dieser osmanischen Stadt, und zweitens können sie sich dadurch von den Neuzugezogenen abgrenzen. Auch die Serben sprechen - um beim Einkaufen nicht aufzufallen - Türkisch.
An Markttagen strömen auch Goranen und Torbeschen aus dem Süden in die Stadt. Diese sind wie die Bosniaken ebenfalls muslimische Slawen, deren Sprache aber dem Mazedonischen ähnelt, aber auch wieder vom Türkischen geprägt ist. Und aus dem Westen kommen Rahoveci. Das wiederum sind Albaner, die sich eines Gemischs aus Bulgarisch und Türkisch bedienen. Die rund 5.000 Roma der Stadt sprechen neben ihrer Sprache Romane auch Türkisch, Albanisch und Bosniakisch. Diese Sprachenvielfalt macht Prizren zur faszinierenden Fundgrube für Linguisten.
Nur ein einziges Wort ist bei allen Ethnien und Sprachgruppen das gleiche: Das albanische Wort „Pavarsia“ - Unabhängigkeit: Die von den Albanern angestrebte und unterdessen erreichte Unabhängigkeit von Serbien wird mittlerweile von praktisch allen anderen Gemeinschaften unterstützt.
Und auch kulinarisch verstehen sich alle Ethnien: Ob das Grillierte nun „Cevapcici“ heisst, „Qebab“ oder einfach „Kebab“, gemeint ist immer dasselbe. Und alle Restaurants verkaufen Yaprak Sarma (Gefüllte Weinblätter), gebratene Paprika, Auberginen mit Jogurt, Tavuklu Pilav (Reis mit Huhn), und dazu gibt es sehr viele Variationen von Burek - dünnen Blätterteigfladen mit Füllungen wie Hackfleisch, Spinat oder Käse - und die berühmten Baklava.
„Stille Schlachten“
Beim genaueren Hinsehen entpuppt sich das friedliche Miteinander der verschiedenen Ethnien in Prizren als geduldetes Nebeneinander. „Es gibt hier unzählige ‘stille Schlachten’ an einer unsichtbaren Front“, hieß es kürzlich in einem Bericht einer Hilfsorganisation.
Jede Ethnie hat den Krieg von 1999 unterschiedlich wahrgenommen und jede Familie erlitt ihr eigenes Schicksal. Und obwohl Prizren nicht nur als schönste Stadt des Kosovo gilt, sondern auch als toleranteste, sind in dieser Region immer noch rund 2.500 KFOR-Soldaten stationiert. In der ehemaligen Kaserne der jugoslawischen Volksarmee in Prizren befindet sich das deutsche Feldlager und das Hauptquartier der Multinationalen Taskforce Süd.
Die ebenfalls in Prizren stationierten türkischen KFOR-Soldaten haben traditionell einen besseren Zugang zur Bevölkerung als die Deutschen. Mit dem Namen des Camps - „Sultan Murad“ - haben die Türken in besonders prägnanter Weise ein Zeichen gesetzt: Sultan Murad war der Kriegsherr, der in der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 die Serben schlug.
Vieles bleibt nur Fassade
Trotz krisenbedingter Militärpräsenz, die jetzt sukzessiv abgebaut wird, gilt Prizren als sicherer Ort für Touristen. Weil die Gastfreundschaft als eine derart hohe Pflicht betrachtet wird, gilt die Verletzung dieser Pflicht als persönlicher Ehrverlust. Prizren gilt als Musterbeispiel für das unabhängige Kosovo. Straßenschilder und Wegweiser sind dreisprachig. Industrie, Handel und Kleingewerbe, aber auch der Tourismus kommen wieder in Schwung. Der Handel mit Gold und Silber - seit jeher typisch für Prizren - blüht. Markenartikel wie Prada, Versace oder Hugo Boss sind preislich aber so günstig, dass es sich um Kopien aus der Türkei handeln muss. Wenn an einem Gebäude „United Colors of Benetton“ draufsteht, dann ist noch lange kein Benetton drin.
Vieles bleibt hier nur Fassade. Das gilt auch für den Frieden in Prizren und im Kosovo. Wo „Frieden“ draufsteht ist noch lange kein „Frieden“ drin. Die deutschen Soldaten der LMT werden an der Shadervan noch eine Weile Latte Macchiato trinken müssen. Und die Türkischen KFOR-Soldaten? Die werden wohl als letzte die Stadt verlassen, denn sie sind hier mehr oder weniger zu Hause, sie müssen auch keinen dekadenten Latte Macchiato trinken, sie bekommen ihren türkischen Kaffee auch hier vom kleinen Gaskocher, wie zu Hause.
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