Rasant steigend Fallzahlen und das 100. Todesopfer: Auch Albanien tut sicht schwer, die COVID-19-Pandemie in Griff zu kriegen. Ob es die neue Maskenpflicht bringt?
Zuerst schien es, als hätte die Corona-Pandemie Albanien nur am Rande tangiert. Früh hatte die Regierung strikte Massnahmen ergriffen, so dass das Virus sich nur langsam ausbreitete. Das Ausgangsverbot und die Reiseeinschränkungen führten dazu, dass im Land bis Ende Mai nur 1137 Corona-Fälle und 33 Todesopfer zu beklagen waren.
Die Massnahmen trafen das Land aber wirtschaftlich hart. Besonders die vielen Albaner, die von der Hand in den Mund leben, litten schwer. Vielerorts waren die bescheidenen Einkommensmöglichkeiten weggefallen. Dazu kam noch etwas innenpolitischer Schlamassel, so dass die Regierung hoffte, mit Lockerungen nicht nur die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, sondern generell wieder mehr Gunst der Bevölkerung zu erlangen.
Rasanter Ausstieg aus dem Lockdown
So erfolgte der Ausstieg aus dem Lockdown in grossen Schritten: Schnell wurden Ende Mai viele Verbote gestrichen und die Bewegungsfreiheit wiederhergestellt.
Dieser Prozess verlief wohl etwas gar schnell: Während man sich in anderen Ländern schrittweise wieder an eine neue Normalität herantastete, kam in Albanien ein rascher Wechsel von Ausgangsverbot zu fast vollständiger Wiederherstellung des Normalzustands. Zeit für einen Lernprozess fehlte genauso wie begleitende Massnahmen, die daran erinnern, dass die neue Normalität sich eben doch von der alten Realität unterscheidet.
Die Zweite Welle
Seit Mitte Juni steigen die Fallzahlen in Albanien rasant – deutlich schneller als in der Zeit von März bis Mai. Im Verlaufe der aktuellen Woche wird wohl noch der 4000. Fall registriert. Und erst vor wenigen Tagen wurde das 100. Todesopfer verzeichnet. Die Zweite Welle ist in Albanien einiges wuchtiger als die erste.
Im Vergleich zu den Nachbarländern im Norden und Osten sind die albanischen Zahlen zwar noch verhältnismässig gut (Fälle pro 100’000 Einwohner: Albanien: 69, Kosova: 83, Bosnien: 99, Rumänien: 124, Serbien: 185, Türkei: 226, Nordmazedonien: 246, Montenegro: 362 – auf dem Balkan sind nur Griechenland mit 30, Bulgarien, Kroatien und Ungarn besser dran). Die Entwicklung ist aber doch besorgniserregend: Zwei Drittel der Todesfälle entfallen auf den Zeitraum Juni-Juli, zwei Drittel der Infektionen auf den Zeitraum seit 8. Juni. Und die Zahl der täglichen Neuinfektionen steigt weiterhin an. Immer wieder gibt es neue Rekorde von Neuinfektionen pro Tag. Erstmals liegen jetzt über 100 Corona-Patienten in den Krankenhäusern des Landes.
Endlich Gegensteuer
Lange hatte man den Eindruck, dass die Regierung nicht ernsthaft gegen die steigenden Corona-Zahlen vorgegangen ist. Den Ministerpräsidenten hat man noch nie mit Maske gesehen und die Kommunikationen der Regierung beschränkten sich meist auf den täglichen langweiligen Vortrag der Presseerklärung des Gesundheitsministeriums. Während andere Länder des Westbalkans mit den steigenden Fallzahlen schnell wieder die Einreise erschwerten, wurden in Albanien immer noch ankommende Touristen aus Weissrusland und der Ukrainie gefeiert.
In Tirana schien niemand die Zweite Welle richtig ernstzunehmen. Es fehlte auch an Vorbildern, die im Kampf gegen den Virus vorangingen. Dafür zeigt der serbische Ministerpräsident Vučić deutlich, wie schnell man den Volkszorn erregen kann. Die Menschen auf dem Balkan reagieren immer empfindlicher gegenüber den mitunter willkürlichen und auch von Eigeninteressen gesteuerten Corona-Massnahmen ihrer autoritären Regierungen.
Nach all dem Zögern kam dann die Ankündigung diese Woche, dass ab sofort in allen geschlossenen Räumen eine Maske getragen werden muss, recht überraschend. Es ist damit zu rechnen, dass in den Medien in den nächsten Tagen wiederholt Bilder gezeigt werden, wie Personen mit 2000 Lek gebüsst werden, weil sie sich nicht an die Massnahmen halten.
Ob die neue Indoor-Maskenpflicht und die anderen Massnahmen ausreichen, um das Virus einzudämmen, wird die Zukunft zeigen. Sie sind reichlich spät gekommen, vielleicht zu spät. Viel wird von der Durchsetzung abhängen – und vom Willen der Albaner, die Massnahmen mitzutragen.
Lars Haefner
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