Auch wenn es doch ein paar Unterschiede gegeben haben dürfte, so gab es auch auffallende Gemeinsamkeiten zwischen dem berühmten deutschen Indianerbücherautor und dem hier vorzustellenden Schriftsteller. Beide haben Abenteuerromane verfasst, die zu guten Teilen auf wilder Fantasie beruhen. Und beide widmeten eines ihrer Bücher dem Land der Albaner. Klar: Ganz so berühmt wie Karl May ist er heute nicht mehr – aber zu Lebzeiten soll Gustav Renker mit seinen über 50 Berg- und Heimatromanen doch ein vielgelesener Autor gewesen sein.
Karl May verhalf zwar mit seinem Buch »Durch das Land der Skipetaren« der Eigenbezeichnung der Albaner zu einer weltweit Bekanntheit. Leider handelt Mays Roman kaum vom Land der Albaner, das die Protagonisten erst auf den letzten Seiten erreichen. Ganz anders der Roman von Gustav Renker, der in »Abenteuer in Albanien« zwei Schweizer Zoologen in den Albanischen Alpen rumkraxeln lässt.
Das 1953 erschienene Buch dürfte im vorkommunistischen Albanien einzuordnen sein – so in etwa zur Zeit der Besatzung durch die Italiener. Die folgenden politischen Ereignisse der albanischen Isloierung unter Hoxha werden ignoriert. Die Geschichte ist spannend und unterhaltsam geschrieben: Ein Berner Zoologie-Professor und sein »Institutsdiener«, der ehemalige Student Imre Halle, der aus Armut sein Studium nicht vollenden konnte, suchen in den albanischen Bergen nach seltenen, nur dort vorkommenden Schlangen und Eidechsen. Zufällig finden sie ein unzugängliches, auf allen Seiten von hohen Bergen umgebenes Tal mit einem See, das die lokale Bevölkerung nur aus Sagen kennt. Haller findet nach aufwändigem Suchen einen versteckten Zugang zu diesem Tal, wo er einer hübschen junge Albanerin namens Aya begegnet, die als ehemalige Schülerin eines Internats in Lausanne bestens mit der Schweiz vertraut ist. Ihre Wirtin im Dorf, bei der die beiden Schweizer eine Unterkunft fanden, sieht zufällig ein Foto von Aya sieht und bekundet plötzlich grosses Interesse am versteckten See. Sie bittet die Schweizer, ihnen zu zeigen, wo sie ihn zum ersten Mal gesehen haben. Imre kombiniert richtig und verbindet das Interesse der Wirtin mit einer Blutfehde zwischen der Familie der Wirtin und derjenigen von Aya. Erneut begibt er sich ins Tal, um Aya und ihren Vater, die dort versteckt und zurückgezogen vor der Welt leben, zu warnen. Tatsächlich endet das Buch dann im Abwehrkampf gegen die Wirtin, die als Letzte ihrer Familie nach dem Leben von Aya trachtet. Daneben entsteht aber auch eine Liebe zwischen den beiden jungen Leuten.
Im Gegensatz zu Karl May scheint Gustav Renker den Gegenstand seiner Erzählung etwas besser zu kennen: Es ist überliefert, dass Renker Reisen auf dem Balkan unternommen hat. Es lässt sich auch vermuten, dass er in seiner Jugend in Österreich Albaner kennengelernt hat. So erstaunt es wenig, dass diverse albanische Elemente und Namen auftauchen, die kaum zu recherchieren wären.
Andererseits wird aber auch ersichtlich, dass Renker nie in den Albanischen Alpen unterwegs gewesen war. Das Bild, das er von diesem »letzten weissen Flecken Europas« malt, ist weit entfernt von der albanischen Realität: Die Infrastruktur, das gesellschaftliche Leben und die Personen sind um einiges »mitteleuropäischer«, als das heutige oder damalige Nordalbanien. Die richtige Wildniss des albanischen Berglands konnte sich auch der erfahrene Reisende, Journalist und Berggänger Renker nicht so extrem vorstellen. Auch die beschriebene Geographie stimmt nur in gröbsten Zügen mit den Albanischen Alpen zusammen, die Regeln der Blutfehde sind frei erfunden und viele der erdachten Namen haben mehr slawische Wurzeln als albanische.
Immerhin: Renker unterliess es, das oft verbreitete schlechte Bild der wilden Albaner auszukosten. Immer wieder macht er sich über die Räubergeschichten lächerlich und lässt seine Hauptfiguren sagen, wie sicher sie sich in Albanien fühlen. Auch die albanische Gastfreundschaft wird immer wieder erwähnt. Dank dieser positiven Grundeinstellung gegenüber den Albanern kann der Albanienkenner gut über die Ungenauigkeiten des Buchs hinwegsehen und die nette Abenteuergeschichte geniessen als das, was sie ist: eine frei erfundene Geschichte.