Eine Alternative für den Begriff »Grossalbanien« zu suchen, war zu recht erstrebenswert, ist dieses Wort doch sehr mit extremen nationalistischen Ideen verknüpft. Zwar sind nur wenige Albaner dieser Idee verfallen sind und von noch wenigern wird Grossalbanien konkret angestrebt, dennoch wird der Begriff gerne von den Gegnern jegliches Albanischen als Schreckensbild aufgezeichnet.
Um das Phänomen des wachsenden Austauschs der Albaner über die südosteuropäischen Grenzen zu beschreiben, ist in neuster Zeit der Begriff »Albanosphäre« aufgetaucht. Dieser Austausch hat sich in den letzten Jahren stark intensiviert, was einerseits mit der Unabhängigkeits Kosovas zusammenhängt, andererseits auch eine Folge der verbesserten Verkehrsinfrastruktur in den Bergen des Balkans, durchlässigeren Grenzen in Südosteuropa und einer wachsenden Wirtschaft ist. Dass sich die Albaner in Albanien, Kosova, Mazedonien, Südserbien und Montenegro in allen Bereichen des Lebens wie Kultur, Medien, Bildung, Freizeit, Wissenschaft und vor allem auch Wirtschaft austauschen, treffen und besuchen, ist natürlich. Erst die unnatürlichen und unüberwindbaren Staatsgrenzen, die auf dem Balkan im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gezogen und die von totalitären Systemen nach dem Zweiten Weltkrieg geschlossen wurden, haben diesen Austausch über Jahrzehnte verunmöglicht.
Das Zusammenwachsen der Albaner – auch wenn nicht Grossalbanien, sondern Albanosphäre genannt und meist nicht politisch motiviert – scheint aber noch immer alles andere als nur Freude auszulösen. So schrieb die NZZ gestern (was mich zum Verfassen dieses Beitrags veranlasste):
»Innerhalb der EU, welche die Grenzen ihrer Mitgliedstaaten zugleich relativiert und schützt, könnten eine dynamische «Albanosphäre» und die bestehenden Staatsgrenzen wohl koexistieren – ausserhalb kaum.«
Was beispielsweise in Westeuropa, wo der Austausch von Sprachgruppen über Landesgrenzen hinaus alltäglich und gewollt ist, scheint in Südosteuropa nach wie vor Skepsis und Ängste auszulösen. Für mich als Schweizer, der in einem kleinen Land wohnt, das mitten in Europa liegt, wo die verschiedenen Sprachgruppen täglich Austausch über die Grenzen haben und das auch schon fast mit zur Albanosphäre gehört, ist diese Unsicherheit schwer verständlich. Erstaunlich gerade auch, weil Europa mit Stabilitätspakt und verschiedensten anderen Förderprogrammen doch auch in seiner Tradition die Zusammenarbeit über Grenzen hinaus auch auf dem Balkan förderte.
Natürlich hat sich die Situation mit der Unabhängigkeit Kosovas verändert: Es gibt jetzt zwei Staaten auf dem Balkan mit einer Mehrheit von Albanern von 90 Prozent oder mehr. Umso erstaunlicher wäre es, wenn diese beiden Gesellschaften nicht miteinander kooperieren würden.