Urban Exploring ist zur Zeit in aller Munde. Dass Menschen irgendwo über Zäune steigen, um alte, verlassene Anlagen zu erkunden, scheint für viele fremd zu sein. Dabei ist der Grat zum Illegalen sehr schmal.
Seit fast 30 Jahren erkundige ich Albanien. Immer wieder habe ich Orte besucht, bevor sie in den touristischen Fokus gelangten. Dabei habe ich auch manchen Zaun überwunden, Bunker inspiziert und bin auf Militärgelände gelangt. Ein Urban Explorer bin ich deswegen noch lange nicht. Aber ich bin sicherlich auch nicht der einzige, dem Zäune regelmässig in die Quere kommen.
Es gibt Touristen, denen reicht das Besuchen von Sehenswürdigkeiten, die alle anderen auch besuchen. Es gibt aber andere, die gerne Neues sehen möchten – gerade, wenn sie das Standardprogramm schon abgeklappert haben. Da beginnt in Albanien das Problem: Viel Sehenswertes, viel Altes ist noch gar nicht erschlossen. Es stehen zwar im ganzen Land am Strassenrand Hinweisschilder, die auf Sehenswürdigkeiten verweisen. Wenn man sie aber dann mal gefunden hat über holprige Strassen oder längere Wandertouren, steht man im besten Fall vor ungeschützten und unbeschriebenen antiken Mauern in der Landschaft. Im schlechteren Fall steht man vor verschlossenen Türen.
Manchmal hat jemand in der Nachbarschaft den Schlüssel für die Kirche oder die Moschee. Und manchmal verschafft man sich halt selber Zutritt. Irgendein Loch im Zaun findet sich immer!
In Zgërdhesh, einer antiken Stadt aus illyrischer Zeit und oft als das alte Albanopolis vermutet, galt es gleich mehrere Viehzäune zu überwinden, die zum Teil mit Dornen gesichert waren. Schon der Eingang zum Areal war eine einfache Holztür versteckt im Gebüsch.
Bei der antiken Basilika von Arapaj war mein Skrupel ebenfalls klein, durch den Zaun zu steigen: Immerhin war ja auch schon eine Herde Schafe dieses Kulturdenkmal am Besichtigen.
In Rubik reichte ein Griff durch das Eisentor, um sich Zutritt zum Kirchengelände zu verschaffen.
An anderen Orten wie der alten Burg von Borsh sind ebenfalls keine Wegweiser oder Ähnliches zu finden, das die Besucher leiten würde. Man stolpert über Felsgestein und alte Mauern und weiss nicht, wo man aufhören soll. Aber der Schafhirte würde ja schon reklamieren …
In Südalbanien sind zum Teil ganze Dörfer fast menschenleer und verlassen. Wie beim Wandern in den Bergen ist man meist auf sich selber gestellt: Man sucht sich einen Weg, kraxelt über Viehzäune und Mauern, schlägt sich durchs Gestrüpp. Umso grösser die Freude, wenn man dann am Ziel angelangt ist. Eine Geschichte mehr zu Erzählen.
Das Klettern über alte Mauern und dergleichen gehört immer wieder zum Besichtigungsprogramm – auch wenn nicht immer ganz ungefährlich. Das Erklimmen alter, verfallener Mauern birgt ein beträchtliches Risiko. Beim Besteigen der Pyramide in Tirana konnte man auch abrutschen. Und zur Skanderbeg-Burg am Kap Rodon ist schon der Weg teilweise kriminell.
Ein Wegweiser steht direkt an der Wand eines alten Artilleriebunkers. Im Bunker drin? Eine Herde Ziegen, die Schutz vor der Sommerhitze sucht.
Bunker stehen in Albanien ja sowieso überall rum. Mal kleiner, mal grösser. Kaum je findet sich ein Zaun, der Neugierige abhält. Meist sind es eher Dornengestrüpp, Müll und Dreck, die einen von vertieften Besichtigungen abhalten.
Wobei: in Tirana gehört die Besichtigung von Bunkern aus kommunistischer Zeit schon zum Standard-Touristenprogramm. »Bunk’Art 1« ist aber viel mehr als ein Bunker. Hier werden Militärgeschichte, Urban Exploring und Kultur zu einem Erlebnis vereint.
Auch sonst sind Militärgelände zwar noch gelegentlich umzäunt – sie scheinen meist aber ebenfalls verlassen und mehrheitlich verfallen. In solche Gelände bin ich nie eingedrungen. Aber nicht immer ist das Betreten vom militärischem Gelände verboten. Bei der Besichtigung von Orikum wurde man am Tor der Marinebasis noch kontrolliert.
Anders in Shëngjin, wo die Strasse durch den Marine-Hafen führt. Hier wirft man natürlich auch einen Blick auf die schrottreifen Kähne am Ufer. Und in Gjadër quert die Landstrasse die Rollbahn, die den unterirdischen Flugzeughangar mit der Piste verbindet. Sazan gehört heute zum Routineprogramm von Ausflugsbooten. Und auch der von Soldaten bewachte Brigadenpalast am südlichen Stadtrand von Tirana darf am Wochenende besichtigt werden (von aussen). Man muss es nur wisse und freundlich die Wachen fragen.
Nicht immer ist ganz klar, wo man sich jetzt überhaupt befindet. Beim Wandern auf dem Dajti kehrte ich mal um, weil mir ein Haus zu militärisch vorkam. Kurz darauf traf ich auf patrouillierende Soldaten. Einen Zaun oder ein Verbotsschild hatte ich nicht passiert. Und sie waren wohl genauso überrascht, auf mich zu treffen, wie umgekehrt – aber es blieb beim freundlichen Gruss. Auf der Infotafel waren Wanderwege bis zum Gipfel verzeichnet. Kurz zuvor machte ich aber kehrt am Zaun.
In Albanien ist sowieso vieles nicht ganz so klar definiert wie in Mitteleuropa. Übergänge scheinen oft fliessend: Manches, was zu Hause niemals als Weg dienen darf, ist hier die bevorzugte Verbindung – zum Beispiel Eisenbahnschienen oder das Mäuerchen eines alten Wasserkanals in einer Felswand in den Albanischen Alpen. Oft ist auch der Verfallszustand nicht ganz klar: Ist das ein Weg? War das ein Weg? Wird das ein Weg? Ist dieses Gebäude noch genutzt oder schon Ruine?
Verfallene Gebäude waren früher in Albanien noch viel häufiger anzutreffen. Zwischenzeitlich ist vieles renoviert, restauriert und umgenutzt. So zum Beispiel das ehemalige Albturist-Hotel in Valbona.
In Kukës ist das Albturist-Hotel noch immer eine Ruine, die wegen ihrer idyllischen Lage Ziel vieler Spaziergänger aus der Stadt ist. Der Garten lädt noch heute zum Verweilen. Die Ruine ist nicht abgesperrt – die leeren Türöffnungen laden ein zum Erkunden. Auch hier ist Vorsicht geboten: Die Ruine ist vermüllt, und wer weiss, wie sicher die alten Mauern und Böden sind? Es bietet sich aber ein interessanter Einblick in die Parade-Architektur aus sozialistischer Zeit.
Die Reste von Wandmalereien im ehemaligen Restaurant zeigen spannende Details ideologischer Geschichtenerzählung.
Wer in Albanien unterwegs ist – zum Teil auch einfach wandernd in den Bergen – steht also immer wieder vor Zäunen und fragt sich: Darf ich hier durch? Soll ich hier durch? Muss ich hier durch?
Nicht immer ist der Sinn des Zauns klar – gerade, wenn er halb verfallen ist: Hindernis für Mensch? Oder Hindernis nur fürs Tier? Oder Überbleibsel aus alter Zeiten?
Manchmal muss man frustriert umkehren, weil man keinen Einlass findet. Oft findet sich die Person mit dem Schlüssel – oder ein Wächter lässt einen passieren. Aber wenn weit und breit kein Mensch ist, der helfen kann, dann muss man sich auch ab und zu selber helfen. Nicht immer kann man abschätzen, ob das Öffnen der Türe, das Kriechen durch den Zaun ok und akzeptiert, oder nur tolleriert oder sogar unerwünscht ist. Aber man richtet ja keinen Schaden an …
Natürlich sind klare Verbote zu akzeptieren. Aber auch das kann eine erzählenswerte Geschichte geben:
Einmal waren wir in Ulza unterwegs. Mehrere Einheimische waren auf der Krone der Staumauer unterwegs. Ein Wächter verwehrte uns aber den Zutritt zum Damm. Auch nach telefonischer Rückfrage beim Chef wollte er uns nicht durchlassen: »Nur für Dorfbewohner!«. Da meinte der Amerikaner in unserer kleinen Reisegruppe: »Unë jam fshatar!« In einem kleinen, abgelegenen Ort im Nordwesten der USA aufgewachsen und lange in Alaskas Wildnis lebend, fühlte er sich im Herzen immer noch als »Dörfler«. Aber auch das mochte den Wächter nicht erweichen.
A propos Zaun: Kennen Sie den südalbanischen Besteckzaun?
Rund um Gjirokastra finden sich immer wieder Zäune, die aus Resten vom Stanzen in der örtlichen Besteck-Fabrik entstanden sind.
Hast auch du in Albanien auch Zaun-Erlebnisse gemacht? Schreibe es in die Kommentare unten – wir freuen uns, deine Geschichten zu lesen!