25 Jahre ist es her: Am 7. März 1991 starteten in Albanien die ersten Schiffe voller Flüchtlinge über die Adria. Die Bilder gingen um die Welt: über und über mit Menschen beladeten Schiffe, alle auf der Suche nach Menschenwürde und Wohlstand im Westen. Damals waren es Albaner, die aus Hunger und Verzweiflung einem kollabierenden Staat entflohen. Der albanische Exodus über die Adria hielt noch viele Jahre an. Mit der Verlagerung auf kleine Schlauch- und Schnellboote verschwand er aber aus der Öffentlichkeit. Nur gelegentlich, wenn mal wieder ein Schiff kenterte, gab es Kurzmeldungen in den Randspalten.
Es dauerte, bis Italiener und Albaner in enger Zusammenarbeit die Schlepper stoppen konnten. Ein allgemeines Verbot von privaten Booten in Albanien half dabei – es wurde erst vor Kurzem aufgehoben.
Heute können Albaner problemlos ins Flugzeug steigen oder in Durrës ein Fährschiff nehmen: Dank visafreier Einreise in den Schengen-Raum müssen Albaner nicht mehr für 1000 Euro oder mehr illegal in die EU schippern. In der albanischen Wahrnehmung ist die Adriaroute als traumatischer Weg aus der Misere aber noch nicht verdrängt: Mehrere Spielfilme der letzten Jahre enden mit einer Bootsfahrt über die Adria – mal glücklos im tiefen Wasser, mal glücklich am gegenüberliegenden Ufer.
Seitdem den Flüchtlingen aus den Krisengebieten im Nahen Osten und Ostafrika die Reise durch den Balkan verunmöglicht wurde, ist die Adriaroute wieder im Gespräch. Wie die Albaner früher werden bald auch Syrer, Afghanen, Iraker, Somalier und andere in Griechenland Gestrandete den Weg durch Albanien in den Westen suchen wollen. Italien ist verlockend nahe – die Adria hier keine 80 Kilometer breit.
Bis jetzt hat sich der Flüchtlingsstrom noch nicht nach Albanien verlagert, aber alle rechnen mit der anstehenden Flut.
Albanien versucht sich vorzubereiten. Auffanglager für mehrere Tausend wurden eingerichtet, Polizisten abkommandiert.
Regierungschef Edi Rama sagt, dass Albanien nicht offen sei für Flüchtlinge. Mit deutlichen Worten signalisiert er Abwehr und versucht zu verhindern, dass Albanien bald die Probleme lösen muss, die seine mächtigen Nachbarn nicht lösen wollen: Ein Stau der Flüchtlinge im eigenen Land ist das ungemütliche Szenario. Edi Rama weiss aber selber, dass Albanien die Flüchtlinge nicht aufhalten kann. Und dass es schwierig wird, sie dann weiterzubefördern. Italien signalisierte bereits, dass man die Flüchtlinge lieber auf albanischem als auf italienischem Boden stoppen wolle, und bietet den Albanern Hilfe an.
Im Gegensatz zum Ministerpräsidenten sieht die Bevölkerung des Landes kein grosses Problem. Die traditionell gastfreundlichen Albaner sind den Flüchtlingen gegenüber nicht negativ gestimmt: Als Auswanderernation habe man Verständnis für die Vertriebenen aus Krisengebieten, schreibt der »Economist« zutreffend. Und als Krisennation ist man sicherlich auch über jede Gelegenheit froh, ein paar Euros dazuzuverdienen.
Aktuell sind die Flüchtlinge noch zögerlich – zu unklar ist, was auf sie zukommt. Man fürchte, in Albanien ausgeraubt zu werden oder im Gefängnis zu landen, ist dem »Economist« zu entnehmen. Und wie weiter? Die Route am Adriaostufer entlang nach Norden durch Montenegro, Bosnien, Kroatien ist nicht verheissungsvoll, und die Fahrt über die Adria ist wenig verlockend. Es sind »komplizierte Wege« (»F.A.Z.«), die auch deutlich mehr Kosten mitsichbringen und einen den Schleppern ausliefert.
Sobald die Verzweiflung der Flüchtlinge in Griechenland aber gross genug ist und das Wetter etwas besser, werden sich wohl viele einen Weg durch die Berge suchen. Mit lokaler Führung lässt sich die Grenze problemlos überwinden – ein Abriegeln wie in Mazedonien ist hier nicht denkbar. Ohne Schlepper dürfte es hingegen schwierig werden, an der Polizei vorbei zur Küste zu kommen. Im Land ohne Eisenbahnen ist das Weiterkommen beschwerlich und im spärlich besiedelten Süden fallen Fremde schnell auf. Offen ist, was die Polizei mit illegalen Migranten machen soll: Können die Flüchtlinge nach Griechenland zurückgeschickt werden?
Am Schluss wird mit Sicherheit die Mafia von der Abschottungspolitik der EU, die für das Flüchtlingsproblem noch immer keine Lösung gefunden hat, profitieren. Den Flüchtlingen wird nichts anderes übrigbleiben, als noch mehr Geld an Schlepper zu zahlen.
Auf beiden Seiten der Adria bereitet sich die Mafia schon auf das neue Geschäft vor. Es wird gemunkelt, dass in Italien im grossen Sitl Schlauchboote aufgekauft werden. Und in den Sozialen Medien würden bereits Transporte übers Meer für 6000 bis 7000 Euro angeboten.
Es bleibt nur zu hoffen, dass nicht wieder viele Hoffnungsuchende auf der Adriaroute Opfer des Meers oder skrupelloser Geschäftemacher werden. Die Fahrt über die Adria ist deutlich länger und riskanter als das Übersetzen von der Türkei auf griechische Inseln – und schon dabei sind immer wieder Menschen im Meer ertrunken …