Albanien hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt – nebst vielen anderen Bereichen insbesondere auch in der Luftfahrt. Auch dort kamen entscheidende Impulse aus dem Ausland. Aber in den meisten Bereichen sind es vor allem Albaner, die die Sachen zum Rollen brachten. Die Ansätze der 90er Jahre, als man glaubte, in Albanien mit Entwicklungshilfe und etwas Wirtschaftshilfe die Dinge zum Guten wenden zu können, sind längst überholt. Nebst grosser ausländischer Finanzhilfen sind es insbesondere albanische Geschäftsleute, die die Entwicklung vorantreiben.
Auch die albanische Luftfahrt wird schon längst nicht mehr nur von ausländischen Airlines bestimmt. Grösster Kunde am Flughafen Tirana ist die noch junge albanische Billigairline »Belle Air«, die die albanische Hauptstadt mit Prishtina und vielen Orten in Italien verbindet.
Als Albanien noch kommunistisch war, verfügte das Land über keine eigene Airline. Lange wurde Tirana nur von Airlines aus anderen sozialistischen Staaten angeflogen. Bis anfangs Mai 1986 die Swissair als erste westliche Airline den Flugbetrieb nach Tirana aufnahm. Die zu Beginn mit kleinen Saab-Citylinern der Crossair bediente Strecke, die zwei Mal wöchentlich bedient wurde, schien von Anfang an gut nachgefragt zu sein, wie die »Albanischen Hefte« damals berichteten. Schon damals versuchte die Airline ihren Kunden Albanien als Reiseland schmackhaft zu machen. Geschäftsreisende galten ebenfalls zum angepeilten Publikum. Im kleinen Flughafen von Tirana, wo pro Tag kaum eine handvoll Flüge abfertigt wurden, lief man noch zwischen Palmen und Blumenbeeten vom Flugzeug zum Terminal.
In den 90er Jahren entwickelte sich die Route nach Albanien immer schneller. Die Frequenzen wurden laufend erhöht, die Nachfrage war kaum zu decken. Die Swissair genoss bei den flugreisenden Albanern einen ähnlich hohe Achtung wie Mercedes bei den albanischen Autofahrern. Tirana blieb dabei eine abenteuerreiche Destination, von der viele Geschichten zu hören waren: Co-Piloten mussten an heissen Tagen vor dem Start Asphalt-Stücke von den Flugzeugreifen kratzen. Die Stewardessen sollen wegen allzu vielen anzüglichen Fluggästen nur für diese Destination eine Uniform mit Hosen gekriegt haben. Irgendwann wurde nur noch mit kleinen Jumbolinos geflogen, da diese die Triebwerke höher hatten, was weniger Gefahr durch Verdreckung auf der Piste barg. Und auch von Durchstartmanövern wegen Schafen auf der Piste war die Rede. Ein Freund konnte den Anflug einer Maschine aus Zürich im Tower miterleben: Der Swissair-Pilot hatte vom Fluglotsen die Landegenehmigung erhalten, war aber entgegen dessen Anweisung, die er für wenig sinnvoll erachtete, von der anderen Richtung gelandet. 1999 stellte die Swissair wie alle anderen ausländischen Airlines die Flugverbindung für einige Monate ein, als das amerikanische Militär während des Kosovokriegs das Zepter am Flughafen Tirana übernahm und diesen zu einer militärischen Festung verwandelten.
Verändert haben sich zwischenzeitlich nicht nur der Flughafen Tirana. Aus dem 50er-Jahre-Bau mit bescheidenster Infrastruktur ist ein kleiner, sehr feiner Airport mit modernster Infrastrukt und internationalen Standards unter deutschem Management geworden. Die Erfolgsgeschichte der Swissair nahm hingegen im Herbst 2001 ein abruptes Ende. Ein halbes Jahr lang flog die Nachfolgerin »Swiss« noch nach Tirana, bevor sie die Verbindung von Zürich einstellte. Weil fast alle Passagiere in Zürich umstiegen und zu anderen europäischen Destinationen oder nach Übersee weiterflogen, habe die Strecke Zürich-Tirana nicht rentiert.
Die »Albanischen Hefte« bezeichneten den Swissair-Flug 1986 als »erstklassige Verbindung«. Schweizer Flugreisende mussten ab 2002 darauf verzichten und in Wien, Budapest, Ljubljana oder Mailand umsteigen. Später kam noch München als weitere Variante hinzu, während Alitalia keine verlässlichen Flüge mehr anbot. In diese Lücke sprangen die Albaner mit ihren frisch gegründeten Fluggesellschaften – wobei zu hoffen ist, dass zumindest die jüngste albanische Airline weiter auf ihrer Erfolgswelle reiten kann und nicht bald ein ähnliches Schicksal erleidet wie die anderen, zum Teil beendeten, zum Teil seit Jahren kränkelnden Projekte.
Nach zahlreichen Destinationen in Italien, wo mehrere Hunderttausend Albaner leben, fliegt Belle Air seit gestern auch nach Zürich. Ob die vier Verbindungen pro Woche auch im Winterhalbjahr angeboten werden, ist noch offen. Ob eine Nachfrage in diesem Ausmass besteht, um wöchentlich vier Jumbolino-Flüge füllen zu können, ist auch fraglich. Es leben zwar viele Albaner in der Schweiz, aber die meisten stammen aus Kosovo oder Mazedonien und werden nicht nur in Albanien Urlaub machen wollen. Und die Schweizer sind noch immer sehr skeptisch, wenn es um Urlaub in Albanien geht – und noch skeptischer, wenn es um albanische Airlines geht, wie erste Reaktionen zeigten.
Auch ich werde vorerst kein Belle-Air-Kunde. Meine nächste Flugreise nach Albanien hatte ich schon gebucht, als ich von der neuen Verbindung erfahren hatte.
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