Armutsgefälle – oder: Wie man seinen Kaffee gesichtswahrend selber zahlt

Was ist Armutsgefälle? – Wenn der Tageslohn meines Gegenüber unter meinem Stundenlohn liegt. Oder auch: Wenn es ihn einen Tageslohn kostet, mich zum Kaffee einzuladen. Wer Albanien kennt weiß: Er macht es trotzdem. Und ich habe eine Weile gebraucht, einen Weg zu finden, damit umzugehen.

Es gibt etwas, was mich in Albanien bei der Begegnung mit Landsleuten (zu denen ich jetzt mal großzügig auch Österreicher und Schweizer zähle) ärgert und beschämt. Touristen wie Expats loben die albanische Gastfreundschaft. Die Großzügigkeit und die Kultur, einzuladen und zu schenken. Wie auch nicht? Selbst Leute, die eigentlich etwas verkaufen sollten, schenken es oft her. Ein Hotelbesitzer, den ich für die Gastkultur lobte, stöhnte mal: »Ja, so sind wir. Am liebsten würden meine Kellner jeden einladen. Nur: Wovon bezahle ich dann ihren Lohn?«

Leider nehmen Gespräche darüber mit Landleuten öfter einen für mich ganz unerfreulichen Verlauf. Da geht es schon mal einen halben Abend lang darum, wo und wieviel man sparen kann, wenn man »es richtig anstellt«. Wo man hingeht, um sich einladen zu lassen. Wer etwas billig oder sogar umsonst für einen macht. Wie man den Preis drückt. Und: Wie man vermeidet, dass der Albaner an einem selbst ein gutes Geschäft macht. Ich empfinde das als Schnorren. Und es ekelt mich an.

Wenn ich mit einem Fahrzeug, dass den halben Lebenslohn meines »Gastgebers« kostet, in die Werkstatt komme, lass ich mir nicht mal eben was »für umme« richten. Ich finde einen Weg, dass ökonomisch nicht ich, sondern mein Gegenüber profitiert. Denn ich bin ja schon beschenkt. Mit seiner Zeit. Mit seinen guten Absichten. Und ja, das ist manchmal kompliziert. Wenn der Albaner partout kein Geld annehmen will und ich Zeit brauche, ein ihm nützendes Geschenk zu besorgen.

Aber was macht man im Café? – Ich werde oft angesprochen. Und eingeladen. Und nein, ich bin kein attraktives Mädel. 😉 Mir war das angesichts des Armutsgefällt lange peinlich. Andererseits ist der Versuch, den Albaner an seinem Heimatort einzuladen, aussichtslos. No chance! Wer Albanien kennt weiß, wovon ich spreche …

Meine Lösung ist der Gang zur Toilette. Jedenfalls der vermeintliche. Und der will gut getimed sein. Nämlich so, dass ich Kellner oder Kellnerin in einem freien Moment und außerhalb des Sichtfeldes meiner mich einladenden Tischgenossen erwische. Dann zahle ich einfach den Tisch. Natürlich verkünde ich es am selbigen nicht. Sondern verabschiede mich irgendwann. Mit klammheimlicher Freude.

Erzähle ich das albanischen Freunden, freuen sie sich. Denn, so sagen sie, ich hätte nicht nur etwas fürs Portemonnaie getan. Sondern vor allem etwas für die Herzen. Wenn ich weg sei, würden Keller und Gäste sicher eine Weile darüber reden und sich freuen, wie nett da jemand sei. »Nga zemra« – von Herzen. Und ja, ich freue mich auch. Und zwar von Herzen.

Herzlichst,
Käpt’n Eddy
(www.romotour.ro)

2 Responses so far.

  1. Lars sagt:
    Danke an Käpt’n Eddy, dass wir diesen wichtigen Beitrag hier veröffentlichen durften.
  2. Lars sagt:
    Du darfst gerne in unserem Forum zum Thema mitdiskutieren:
    >> https://albanien.ch/forum/p3/viewtopic.php?p=261481#p261481

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