Wiedereinmal wollen wir eine nicht allzu bekannte Sehenswürdigkeit vorstellen.
Wenn man die südalbanische Stadt Përmet besucht, wird der Blick automatisch immer wieder vom »Stadtfelsen« angezogen. Der »Gur i Qytetit« ist ein mächtiger Block, der sich am Rand des Stadtzentrums über dem Ufer der Vjosa erhebt, vielleicht 30 Meter hoch. Wie er dahingekommen ist, bleibt ein Rätsel. Wie hingeworfen steht er da. Immerhin wurden im in den letzten 50 Jahren ein paar hässliche Wohnblocks hinzugestellt, so dass er nicht mehr als einziger Block in der Landschaft steht – noch immer ist er aber mit Abstand der grösste.
Wenn der Schweizer Reisenden dann erfährt, dass man da hoch kann, gibt es natürlich fast kein Halten mehr. Die Wegbeschreibung, die er enthält, ist auch ganz simpel: Beim Gymnasium abbiegen, die städtische Sporthalle umrunden und dann einfach die Treppe hoch.
Kein Hinweisschild leitet einen zur Rückseite der Sporthalle, wo man sich schon mal etwas verlassen vorkommt. Und vor der Treppe wird dann zuerst mal leer geschluckt. Teile des Geländers fehlen, und die verrostete Metallkonstruktion scheint sich auf eine einzige, wackelige Stange zu stützen. Willkommen in Albanien! Hier gelten noch andere Regeln: Wem es nicht passt, kann ja vom Erklimmen des Felsens absehen. Etwas schwindelfreiheit braucht es schon, wenn man da hochsteigen will. Am oberen Ende der Treppe, schon auf dem Felsen, warten dann noch ein paar kleine verwachsene Kletterstellen. Gerade beim Abstieg ist da schon Vorsicht geboten, wenn Fels und Gestrüpp noch feucht sind von der letzten Nacht.
Auf dem Felsen erwartet den Besteiger ein nicht ganz ebene, aber doch erstaunlich flache Blumenwiese, vielleicht 25 Meter lang und 20 Meter breit. Etwas Gestrüpp erschwert die Übersicht, aber zwischen den prächtig blühenden Blumen – zumindest im Frühjahr – und in die Höhe schiessende Gräser windet sich ein Pfad. Zwischen all dem Grün tauchen ab und zu ein paar Mauerreste auf. Unter den Osmanen waren hier Soldaten stationiert. Wie die hochgekommen sind, möchte man sich gar nicht vorstellen. Die Leitern damals waren sicher nicht stabiler als die heutige Treppe.
Auf der gegenüberliegenden Seite lohnt es sich, sich nahe an die Felskante vorzutasten. Denn hier wird man für Schweiss und Ängste des Aufstiegs mit einer prächtigen Aussicht über das Städtchen Përmet belohnt. Auch wenn der Ort vor allem aus reizlosen Wohnblocks besteht (Përmet wurde im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen bis auf die Grundmauern zerstört) – die Lage am Fluss und am Fusse einer mächtigen Bergkette ist piktoresk, wobei die Moschee mit Minarett das Bild vervollständigt. Auf der anderen Seite des Felsens ist sein höchster Punkt, von wo der Blick nach Norden ins grüne Tal der Vjosa geht, oder hoch die steilen Wände des über 2000 Meter hohen Dhëmbel. Im Osten liegt das hügelige Bergland des Hotova-Nationalparks, und im Süden hinter der Stadt gen Griechenland zu hat es noch mehr imposante Felswände und ein Weglein zieht sich nach Leusa hoch, wo mitten zwischen Bäumen ein kleines Kirchlein steht. Die abgelegene Region Përmet hat noch viel zu bieten: noch mehr alte Kirchen, osmanische Steinbrücken, Heilquellen, Schluchten, Tekken, verfallene Burgen und eine gute Küche.
Hierfür muss man aber zuerst wieder vom Felsen runterkommen. Schritt für Schritt tastet man sich zur Treppe vor, Stufe um Stufe vorsichtig runter. Die Konstruktion nochmals kritisch begutachtend war ich um jeden Meter froh, den ich dem Boden näher kam. Unten angekommen war die gute Laune rasch wieder da. Nochmals ein Blick zurück, nochmals ein Kopfschütteln. Ein Lächeln zieht sich übers Gesicht und zeugt von Zufriedenheit, als wäre einem soeben die Erstbesteigung gelungen. Schön war’s, da oben!
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