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Abseits des Massentourismus

Mit Urlaub in Albanien entgeht man dem Strom der Masse, muss aber gewisse Einschränkungen in Kauf nehmen. Ein Erlebnisbericht

Mit seinen schönen Landschaften, den heissen Sommermonaten, dem sauberen Meer, den lieben Menschen und seinem kulturhistorischen Erbe hätte Albanien durchaus das Potential, Heerscharen von Touristen anzuziehen. Dieser Traum wurde in beschränktem Umfang schon von den Kommunisten verfolgt. Auch heute noch ist er Teil jeder Zukunftsplanung für den kleinen Nachbar der Tourismusdestinationen Griechenland, Italien und Dalmatinische Küste. Auch ich träumte schon lange von Badeferien an der sogenannten Albanischen Riviera, was sich diesen Sommer endlich ermöglichen liess.

Kaum ein freier Platz am Strand
Wirkliche Touristen, die nur der Sonne und des Meers wegen nach Albanien fuhren, haben wir kaum getroffen. Doch das Meer vermag auch hier die Massen zu bewegen. Die Strände Mittelalbaniens, die in der Nähe von grösseren Städten liegen, waren wie jeden Sommer überfüllt. Die albanische Familie, die den Sonntag oder zwei Wochen Ferien am Meer verbringt, entspricht vielleicht nicht dem Bild, das sich Westeuropäer von Albanern machen. Anfangs August scheint aber halb Tirana der Hitze des Landesinneren entflohen zu sein. Die Strände von Durrës Plazh oder Vlora sind deshalb gut besucht.

Der Liebhaber einsamer, traumhafter Buchten ist folglich in Mittelalbanien fehl am Platz. So nehmen wir den öffentlichen Bus und lassen Vlora hinter uns. Auf der anderen Seite des über 1'000 Meter hohen Llogara-Passes wartet eine unberührte und spärlich bevölkerte Küste auf uns. Die Fahrt zur albanischen Riviera ist den meisten Albanern zu weit.

Alles bereit für Touristen
Die lange Fahrt in einem öffentlichen Bus kann ganz unterhaltsam sein, wenn man die Gelegenheit nutzt und mit den anderen Gästen spricht. Obwohl die wichtigen Strassen momentan ausgebaut werden und schon viel besser sind als vor einigen Jahren, werden sie niemals in der Lage sein, grosse Mengen von kapitalbringenden Touristen durch das Land zu befördern. Auch andere Infrastruktur-Bereiche leiden nach wie vor: Stromausfall gehört in ländlichen Regionen schon fast zur Tagesordnung und fliessendes Wasser ist meist nur während ein paar Stunden pro Tag zu haben - vorausgesetzt es hat Strom, um die Pumpen zu betreiben. Dank eines Tanks auf dem Dach verfügen die meisten Unterkünfte trotzdem über ganztägig fliessendes Wasser. Und wenn der Strom ausfällt, greifen die Albaner auf ihr Improvisationstalent zurück.

Unterkünfte stellen heute kein Problem mehr dar. Im ganzen Land, insbesondere aber in den touristisch atraktiven Regionen, wurden Hotels gebaut, die zum Teil über einen Standard verfügen, der die meisten eingermassen genügsamen Gäste befriedigt. Daneben bietet sich natürlich noch immer die altbewährte Privatunterkunft als Alternative an. Dieser Familienanschluss ermöglicht einen tiefen Einblick in den albanischen Alltag, auch wenn er vielleicht nicht unbedingt den gewohnten Komfort bietet.

Die albanische Riviera
Wenn man den Llogara-Pass überquert hat, eröffnet sich einem ein unglaublicher Ausblick über die ganze albanische Riviera bis nach Korfu. Himara ist die grösste Ortschaft an dieser Küste. Die Stadt eignet sich bestens als Aufenthaltsort. Zwar ist sie nicht ganz so schön wie die umliegenden Dörfer, bietet aber die erforderliche Infrastruktur, um den Aufenthalt geniessen zu können. Der ganzen Bucht von Himara zieht sich ein schöner, belebter Sandstrand entlang. Wer etwas mehr Ruhe wünscht, kann mit dem Auto oder zu Fuss einsamere bis menschenleere Strände und Buchten in der Umgebung aufsuchen. Die Küste der albanischen Riviera ist von unglaublicher Schönheit. In den Hügeln entlang der Küste befinden sich Burgen und mehrere schmucke Dörfer, die teilweise von Griechen bewohnt werden. Ein Ausflug in die Natur eröffnet unbekannte und abwechslungsreiche Pflanzen- und Tierwelten. In ein- oder zweitägigen Ausflügen lassen sich alle Sehenswürdigkeiten Südalbaniens erreichen.

Viel Platz an traumhaften Stränden
Unsere kleine Gruppe von sieben Leuten (darunter vier Albaner) hat es in ein kleines Häuschen im Zentrum Himaras verschlagen. Die Tage verbrachten wir mehrheitlich an den Stränden - einmal auch eine Nacht. Die Umgebung erkundigten wir meist zu Fuss. Unser Lieblingsstrand lag etwa eine Stunde nördlich von Himara. Der Weg dorthin war ein Erlebnis für sich. Immer wieder wechselte die Vegetation von Olivenhainen zu Wald, zu grossen Büschen, zu kleinen Büschen, zu anderen Büschen, zu Fels. Unter uns brauste die Brandung des azurblauen Meeres. Die unbekannte Natur bot viele schöne Bilder. Neben bereits alltäglichen Eseln, Schafen und Schmetterlingen begegneten uns auch mehrmals Schildkröten. Der Strand selbst war beinahe zwei Kilometer lang und die wenigen Badenden verteilten sich bestens. Zwei kleine Restaurants boten kühle Getränke und frischen Fisch.

Andere, etwas abgelegenere Strände rund um Himara sind ganz menschenleer. Man ist dann ein kleiner König über die soeben okkupierte Bucht. Als solcher lässt sich das Leben in vollen Zügen geniessen: Sonne, Strand, Meer, Ruhe, Erholung. Das Meer ist von unbeschreiblicher Klarheit, die Ruhe wird durch keinerlei menschliche Beeinträchtigungen gestört, die Temperaturen von Wasser und Luft sind angenem bis heiss. Als Untertanen bieten sich dem König aber nur einige kleine Fische. Diese einsamen Buchten sind oft nur per Boot erreichbar. Allerdings ist man in dieser traumhaften Einsamkeit für Verpflegung selbst verantwortlich. Fliessend Wasser gegen den Durst oder das Salz auf der Haut ist natürlich auch nicht vorhanden. Selbst für genügend Schatten muss gesorgt werden, kann es doch oft sehr heiss werden.

Als gäbe es nur eine einzige Küste
Die albanische Riviera, von den Albanern meist einfach nur »die Küste« (bregu) genannt, wurde im nördlichen Teil rund um den Llogara-Pass zum Nationalpark erklärt. Die Region verfügt über das perfekte Klima für Sommerurlaub. Die Temperaturen sinken kaum je unter 30°C. Der Mangel an Niederschlägen führt sogar oft zu einer besorgniserregenden Wasserknappheit. Die Trockenheit hat natürlich auch immer wieder kleinere Buschbrände zur Folge.

Die Küste steigt sofort steil an, so dass sich schon wenige Kilometer vom Ionischen Meer Gipfel von über 2'000 Metern Höhe erheben. Dieses Gebirge trennt die Region vom Landesinneren hermetisch ab. Dank der Abgeschiedenheit der Gegend ist sie von umweltzerstörrerischen Einflüssen grösstenteils verschont geblieben. Lediglich einige Kasernen und viele Bunker trüben die Landschaft. Die Klarheit des Wassers ist einzigartig und übertrifft die Qualität vieler anderer Orte am Mittelmeer. Die Hänge der Hügel wurden während der kommunistischen Zeit mit Oliven- oder Zitrusbäumen bepflanzt. Diese Monokulturen sind heute mehrheitlich vernachlässigt, prägen aber doch noch das Landschaftsbild.

Natürlich lebt man nicht von schönem Wetter und traumhaften Stränden allein. Das verschlafene Himara, das am Tag kaum etwas bietet, verwandelt sich am Abend in ein lebhaftes Treiben. Sämtliche Gäste und die ganze Bevölkerung Himaras scheinen sich an der Uferpromenade eingefunden zu haben. Die kühlen Abendstunden werden zum Vergnügen genutzt. Alle Läden sind bis tief in die Nacht geöffnet. Die Restaurants und Cafés sind bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Kinder stehen vor einer kleinen Eisenbahn Schlange. Die Strasse ist noch lange voll mit Leuten. Erst um elf Uhr wird es ruhiger. Trotzdem haben die letzten Geschäfte noch nicht geschlossen. Und in der Disco hämmern die Bässe noch lange.

Neue alte Hoffnung in den Tourismus
Die weitere Entwicklung des Tourismus an der albanischen Riviera lässt sich nur schwer voraussagen. Trotz aller Schönheiten und obwohl ausländischen Gästen momentan keine grösseren Gefahren drohen als Touristen in anderen südlichen Ländern, werden es kaum Westeuropäer sein, die diese Entwicklung prägen werden. Es werden vielleicht immer mehr Abenteurer nach Albanien reisen, Otto Normal-Tourist wird aber noch lange die bezüglich Infrastruktur besser ausgebauten Ferienorte im Mittelmeerraum bevorzugen, die mit günstigen Flügen erreicht werden können. Dies nur allein schon, weil sich Ferien in Albanien noch nicht bis ins Detail vorausplanen lassen.

Wie in der Vergangenheit werden wohl auch in Zukunft vor allem albansiche Badeurlauber nach Himara fahren, Geld in die Region bringen (neben den Gastarbeitern in Griechenland) und Veränderungen veranlassen. Die Tourismus-Verantwortlichen wurden dieses Jahr bereits gerügt, den inländischen Tourismus nicht genügend gefördert zu haben. Noch ist aber vielen der Weg zu weit. Das könnte sich mit zunehmendem Ausbau der Strassen ändern. Vielleicht werden bald sogar Kosovaren im ionischen Meer baden.

Es ist aber auch zu wünschen, dass »die Küste« von landschaftsveränderndem Entwicklungen verschont bleiben wird. Denn nur so kann sie ihre Reize bewahren. Hier einen tauglichen Mittelweg zu finden, bedürfte einiger Planung und der Durchsetzung von Gesetzen. Davon ist aber kaum etwas zu spüren. Ein erster Sieg konnte der Umweltschutz aber bereits verzeichnen: Einem griechischen Unternehmen wurde die Kozession für den Abbau von Sand, mit dem die Kiesstrände von Korfu verschönert wurden, nach Protesten verschiedenster Umweltorganisationen wieder entzogen. Es bleibt zu hoffen, dass die Politiker auch in Zukunft die Bedeutung der Unversehrtheit der Umwelt bei ihren Entscheiden berücksichtigen werden.

Auch im nächsten Sommer
Auch im nächsten Sommer werde ich wieder an die Küste fahren. Falls auch Sie Lust haben sollten, mit einer kleinen Gruppe von Albanern den Sommer in Himara zu geniessen, nutzen Sie die Gelegenheit und kontaktieren die Redaktion.

Lars Haefner

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