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Lasgush Poradeci

»Sch... haben sie gewollt«. Der albanische Dichter Lasgush Poradeci gehört zu den bedeutendsten Klassikern albanischer Lyrik

Lasgush Poradeci ist das Pseudonym von Llazar S. Gusho, geboren 1899 in Pogradec am Ohër-See (bei uns bekannter als Ohrid-See). Er besuchte rumänische und griechische Schulen in Bitola und Athen, ab 1921 betrieb er ein Studium der Literatur und der Schönen Künste in Bukarest. 1924 ging er nach Graz zum Studienabschluss in Romanistik und Germanistik. Seine auf Deutsch verfasste Promotion über den rumänischen Nationaldichter Mihai Eminescu liegt noch in der Universitätsbibliothek in Graz. Von 1934 an war er Zeichenlehrer in Tirana. Nach dem Kriegsende war er zunächst Mitarbeiter am Institut für Wissenschaft, dann arbeitete er im Verlag »Naim Frashëri« und musste ebenso wie der gleichfalls dorthin gesteckte Mitrush Kuteli (Pseudonym von Dhimitër Pasko, 1907-1967; einer der bedeutendsten Autoren der albanischen Literatur) Lyrik und Prosa nach dem Diktat einer quantitativen »Norm« übersetzen.

Materie und Leben

Stoff unvermengt, Stoff roh und rein.
Bin ich gewesen, werd ich sein.
So schwer und tief und alle Zeit,
Ein Wunder bin ich, keinem gleich ...

Empfange Schweres auf der Erd.
Empfange Tiefes unter Erd.
Hoch oben von dem reinen Sein
Empfang und geb ich Ewigkeit.

 
Es dämmert der See

Am Waldgestade herbstlich rund
Der schlummernd See liegt unbegrenzt,
Er ist entflammt am tiefen Grund
Dem Feuer gleich und goldgekränzt.

In Flammenpracht erglüht der Quell,
Der zaubrisch funkelnd blitzt und blinkt,
Wenn auch sein Stern, der tags so hell,
In Ruh und Liebe nun versinkt.

Am Bergesfuss verlischt er ganz,
Die Stadt in düstres Schwarz sich hüllt.
Und sacht erglimmt der Sterne Glanz,
Von Rätseln, Schönheit ganz erfüllt!

Versinkend alles nun vergeht,
Mein Auge sich daran berauscht,
Das neue Sehnen nur versteht
Des Dichters Geist, der trunken lauscht.

Lasgush verfügte über umfassende philosophische und literarische Interessen und Kenntnisse. Er beschäftigte sich eingehend mit der Theosophie, las ­ jeweils im Original ­ die Veden (er hatte Sanskrit gelernt) ebenso wie rumänische, deutsche und französische Literatur von der Klassik über die Romantiker, Parnassisten und Symbolisten bis hin zu den Zeitgenossen. Zeitlebens steckte er in gesundheitlichen und materiellen Nöten. Er veröffentlichte etwa 100 Gedichte in zwei Büchern: »Vallja e yjve« (Der Reigen der Sterne; Bukarest 1933) und »Ylli i zemrës« (Der Stern des Herzens; Constantza 1937). Danach hat er bis zu seinem Tod 1987 kaum noch nennenswerte Lyrik veröffentlicht. Dafür hat er der albanischen Kulturwelt »nur« unvergleichliche Übersetzungen aus der Weltliteratur hinterlassen (Lyrik von Heine, Goethe, Brecht, Puschkin).

Lasgush Poradeci, wie Martin Camaj (1925-1992) ein Jahrhundertdichter und ein zu Zeiten des totalitären Systems lebender Klassiker dieses Jahrhunderts, verstummte, als die politische Diktatur und die Sachwalter der diktatorischen Literaturbürokratie des Sozialistischen Realismus in Albanien ihr kunst- und lebensfeindliches Regiment führten. Gefragt, warum er denn, zum Abliefern »sozialistischer Poesie« aufgefordert, so jämmerliche Texte abgeliefert habe, sagte er: »Scheisse haben sie gewollt, Scheisse habe ich ihnen gegeben.«

Jede Literatur kennt wohl mindestens zweierlei Kategorien von Klassikern: Die »offiziellen«, die in der betreffenden Nationalliteratur eine herausgehobene Position einnehmen, von besonderer Bedeutung für die spezifische Entwicklung dieser Nationalliteratur sind und einen vorzeigbaren oder für vorzeigbar gehaltenen Höhepunkt dieser Entwicklung darstellen (im Fall der albanischen Literatur Naim Frashëri und Gjergj Fishta), und die »heimlichen« oder auch eigentlichen Klassiker, deren Texte von derart überragender künstlerischer Qualität sind, dass sie auch ausserhalb des Kontextes ihrer Nationalliteratur einen klassischen Rang einnehmen würden. Die beiden, in diesem Sinne, heimlichen Klassiker der albanischen Literatur sind wohl Martin Camaj und Lasgush Poradeci.

Brunnen unsres Dorfes

I.
Brunnen unsres Dorfes, reines Wasser,
Quillst murmelnd herab aus hohen Bergen.

Mädchen kommen und kommen, Wasser zu schöpfen,
Tragen gestickte Tücher seitlich am Kopf;

Tragen weisse Tücher, rote Tücher,
Liliengleich ihr Hals, wie Knospen die Lippen.

Wie sie Wasser schöpfen ­ welche Anmut!
Kehren dann zurück mit bräutlichem Schritt,
Ihre Stirnen flammen heiligen Sternen gleich.

II.
Brunnen unsres Dorfes, silbern schimmernd,
Quillst sprudelnd hervor am Fuss des Berges.

Burschen kommen und kommen, Wasser zu trinken,
Tragen gestickte Mützen seitlich vom Augą.

Tragen reine Mützen, beschmutzte Mützen,
Ihre Lippen lachen... oder seufzen...

Abends, wenn das Wasser sachte murmelt,
Kommt der Bursch, zwei Worte dem Mädchen zu sagen.

Das edle Mädchen, das zur Quelle kommt,
Grüsstą ich nur, doch gleich, von Scham beklommen,
Senktą den Kopf ich ­ wie ein Mädchen ­ und ging fort.

III.
Brunnen unsres Dorfes mit acht Rohren,
Bist der beste Brunnen in acht Landen;

Hast nicht deinesgleichen auf der Welt,
Du heilst unsre Wunden, unsre Augen.

Brunnen unsres Dorfes, am grünen Berg,
Reissender Strom, ruhig strömende Quelle ­
Wie des Herzens Sehnsucht in der Brust:

Reissender Strom, ruhig strömende Quelle,
Wie des Mädchens Sehnsucht, heimlich brennend,
Wie des Burschens Sehnsucht, lauthals tosend,
Ach, wie Sehnsucht, die auf ewig nicht vergeht.

Poradeci galt zu Zeiten des Sozialistischen Realismus in Albanien als »steril und gekünstelt«, »formalistisch und gezwungen«, »von krankhafter Thematik«, «weiblich«, «ohne nationales Kolorit«, »ohne Nationalbewusstsein«. Ihm wurde vorgeworfen, er sei »kein sozialer Dichter«. Die Verehrer von Lasgush Poradecis Kunst lieben seine wunderbare Sprache, die perfekte Schönheit seiner Verse und die gedankliche Tiefe, die er ­ von mystischen Versen Naim Frashëris abgesehen ­ als erster in die albanische Lyrik eingebracht hat, die sich vor und nach ihm in grossem Mass nationalen statt universalen Themen verschrieb. Einem relativ breiteren Leserkreis wuchs Poradeci mit der Nähe eines grossen Teils seiner Gedichte zum südalbanischen Volkslied ans Herz.

Ewigkeit

I
Bin heut,
Wie vorąges Jahr,
Wie nächstes Jahr,
Wie immerdar.
Im Leib bin ich,
Im Geist und Herzen dir.
Bin ich im Körper dir,
Bin ich Notwendigkeit
Und ausserhalb bin ich an sich:
In jeder Frucht, die dir Aroma schenkt,
Im Falter, dessen Flügel du berührst,
In Blumen bin ich, deren Duft du riechst.
Vereinen wolltą ich dies im Körper hier
Mich selbst doch-ausserhalb des Körpers dort:
Ich bahntą den Weg-Vereinigung im Leib:
Denjenigen des Mundes, perlenvoll,
Denjenigen der Hand, so lilienhell,
Denjenigen der Nase, kerzengrad.
Du schmeckst daher die Frucht-die Süssigkeit,
Berührest mit der Hand die Falter-Zier
Du atmest froh den Duft-geheimnisvoll:
Auf dem Weg-Vereinigung, weisst selbst nicht wie,
Vereinst du drinnen dich mit Aussenwelt,
Vereinest tief dich mit der Ewigkeit.

II
Bin heut wie vorąges Jahr,
Bin nächstes Jahr wie immerdar.
Im Leib,
Im Herz bin ich,
Im Geiste dir.
Bin ich im Herzen dir,
Bin ich an sich
Und ausserhalb bin ich Notwendigkeit:
In Wäldern bin ich, die dein Aug erblickt,
In Liedern, die dein Ohr vernimmt.
Vereinen wolltą ich dies im Herzen hier
Mich selbst doch-ausserhalb des Herzens dort:
Ich bahntą den Weg-Vereinigung durchs Herz:
Denjenigen des Auges, der hell blitzt,
Denjenigen des Ohres, voller Klang.
Du siehst daher ein Bild-die Schönheit gar,
Du hörst daher ein Lied-das Grauen gar,
Dein Herz spürt ein Gefühl-geheimnisvoll.
Auf dem Weg-Vereinigung, weisst selbst nicht wie,
Vereinst du drinnen dich mit Aussenwelt,
Vereinst du draussen dich mit Innenwelt,
Verschmilzt, vereinet, mit der Ewigkeit.

III
Bin heut,
Bin vorąges Jahr,
Bin nächstes Jahr,
Bin immerdar.
Im Leib,
Im Herz,
Im Geiste bin ich dir.
Bin ich in deinem Geist,
Bin ich Notwendigkeit
Und ausserhalb bin ich an sich:
Im Berggrat, der dir den Verstand verwirrt,
Im Abgrund, wo sich dein Verstand verirrt,
Im Meer - vergeht entsetzt dir der Verstand,
Im Himmel, der dir den Verstand umspannt,
In der Sonne, die dir den Verstand besonnt,
Auf Erden, die dir erdet den Verstand.
Vereinen wolltą ich dies im Geiste hier
Mich selbst doch-ausserhalb des Geistes dort:
Ich bahntą den Weg Vereinigung durch Geist:
Den Weg des Denkens, ungetrübt und rein,
Ach! den des Denkens, voller Dunkelheit ...
Und du verstehst, ach! du verstehst nun nicht,
Ein Berg-und Schlucht-ein Meer-ach! grauenhaft,
Und Himmel-Sonne-Welt ach! rätselhaft.
Auf dem Weg-Vereinigung, weisst selbst nicht wie,
Vereinst du drinnen dich mit Aussenwelt,
Vereinst du draussen dich mit Innenwelt,
Vereinst dich-wächsest mit der Ewigkeit.

Das Leben Lasgush Poradecis ist nicht glücklich verlaufen. Das Bild seiner Persönlichkeit ist unklar. Dem Image des närrischen Exzentrikers, das ihm anhaftet, widersprechen beispielsweise seine beiden noch lebenden Töchter. Dem Werk Poradecis erging es nicht viel besser als dem Autor. Im kommunistischen Albanien ist das damals bekannte, ohnehin schmale Werk in keiner einzigen Ausgabe vollständig veröffentlicht worden. Erst 1978 ist eine erste Gesamtausgabe in Prishtina erschienen. Einer 1999 begonnenen Edition der Gesamten Werke und Schriften Lasgush Poradecis im Onufri-Verlag kommt zwar das Verdienst zu, auch bisher Unveröffentlichtes zu bieten, sie hat jedoch die Chance verpasst, eine textkritische Ausgabe mit einem wissenschaftlichen Apparat zu veranstalten. Ausser einem ausgesprochen entbehrlichen Vorwort von Ismail Kadare wird diesbezüglich nichts geboten. So stehen nach wie vor undifferenziert geäusserte Meinungen über Poradecis »Eklektizismus« und Einflüsse durch diverse Autoren (unter anderem Eminescu, Rilke, Baudelaire) im Raum und zur Debatte und es scheint sich auch heute noch die 1929 vom grossen Albanologen Eqrem Çabej getroffene Feststellung zu bewahrheiten, bislang habe sich niemand mit der Ästhetik der Lyrik Lasgush Poradecis beschäftigt. Es steht zu hoffen, daß dieser oder ein anderer Verlag in einem Materialienband Kenner und Fachleute wie Aurel Plasari, Emin Kabashi, Sabri Hamiti, Ardian Kyçyku zu Wort kommen lässt.

Selten tritt die Unzulänglichkeit von Übersetzungen so klar zutage wie beim Werk Poradecis. Es ist in der Spezifik seiner Textgestalt und Komplexität eigentlich unübersetzbar, kaum in eine andere Sprache verpflanzbar, und so ist jede Übersetzung von Gedichten Lasgush Poradecis mehr noch als alle andere Übersetzungen lediglich ein Versuch und ist auch als solcher anzusehen.

Der Tod des Pelikans

Voll Feuer sprech ich ..., an Feuer reich.
Ein Grab grub ich in meiner Brust ...
Geb Hoffnung ihr-und nehm sie gleich ...

Ich flieg am See, der jähen Flut,
So glücklich bin ich, lilienrein,
Mein Herz indes verströmt sein Blut:

Denn hungrig flattert meine Brut,
Ich nähre sie mit meiner Liebe -
Die schrecklich ist in ihrer Glut:
Ich schlage, ach! mir an die Brust...
Und öffne, ach! - den Busen mir ...
Und sättąge sie und sterb mit Lust!...

Da tost erbittert mir einher
In tollem Gram der öde See.
Die Welle türmt sich wie im Meer.

Es öffnet sich des Sees Mund,
Es ist ein Schwanken, Beben wild,
Reisst auf vom Schlund bis an den Grund.

Da meine Seele sich verhaucht,
Sagt mir der See: oh sieh, wie tief
Mein Schoss ist, dem du einst enttaucht ...
... Voll Feuer sprech ich, an Feuer reich.

Hans-Joachim Lanksch

© Übersetzungen Hans-Joachim Lanksch


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