Zamira hat geschrieben:Als Nichtbetroffener ist es leicht, von Moral, Vergebung, Sinnlosigkeit etc zu reden...
Als Betroffene/r hat man eine ganz andere Sichtweise...und ich kann sie verstehen.
Sie ist in einem Umfeld aufgewachsen, wo genau dieses Prinzip: "Auge um Auge" gelebt wird...und da ist es nur rechtens, dass sie dieses Prinzip auch für sich in Anspruch nimmt.
Das Gesetz hat ihr ja auch in dem Urteil die Rache zugesprochen.
Und vielleicht ist es wirklich eine Warnung für andere Männer, in Zukunft genau zu überlegen, welche Folge so ein Säureattentat aus verschmähter Liebe oder gekränktem Ego für sie selber haben kann.
Seh ich ein wenig anders.
Dieses Auge-um-Auge-Prinzip gilt in diesen Gesellschaften normalerweise nur für die Männer. Frauen haben sich in ihr Schicksal zu ergeben. Von daher ist es schon eine kleine Sensation, dass sie überhaupt Anklage erheben konnte und dann auch noch Recht bekommen hat.
Aber: Die Gesetzessprüche der Scharia umfassen unter anderem auch Steinigungen, Folterungen oder Todesurteile. Nur weil es möglich ist und dort legitimiert, ist es nicht automatisch auch rechtens.
Mit meinen Moral- und Wertvorstellungen ist dieses Urteil nicht zu vereinbaren. Sicher, im ersten Moment wenn einem so etwas passiert, dann wünscht jeder demjenigen die Pest an den Hals. Aber seit dem Attentat ist viel Zeit vergangen und man kann nun wohl nicht mehr von einer Impulshandlung sprechen.
Sie sollte sehen, dass sie durch die Öffentlichkeit, die ihr Fall bekommen hat, ihr Ziel bereits erreicht hat. Menschen diskutieren über verstümmelte Frauen und ihr als Frau wurde von einem Gericht in einer patriachalischen Gesellschaft Recht zugesprochen. Das ist eine großartige Leistung. Wenn sie das Urteil jetzt vollstreckt, macht sie diese Leistung zunichte.
Dass es abschreckend sein soll, glaube ich nicht. Die Todesstrafe hat die Anzahl der Straftaten in keinem Land verringert. Und auch aufgrund dieses Urteils werden die Verstümmelungen von Frauen sicher nicht weniger werden.
Ich möchte gerne etwas weniger blöd sterben als ich geboren bin.
André Heller