Aufstand der Opposition – ernsthafte Krise oder Politposse?

Mit ihrem Rücktritt in corpore wollten die Parlamentsmitglieder der Demokratischen Partei die albanische Politik in ein Dilemma führen – der Plan ist nicht aufgegangen.

Edi Ramas Stern ist am Sinken. Von immer mehr Seiten kommt Kritik an seinem autoritären Führungsstil, die Korruptionsvorwürfe werden immer lauter, die politische Situation im Land ist mal wieder äusserst verzwickt. Nach den Studentenprotesten vom Winter (siehe Beitrag »Demonstranten setzen Regierung unter Druck«) streikt seit Februar die Opposition regelmässig in Tirana – meist friedlich, letzten Samstag aber kam es wieder zu Zusammenstössen mit der Polizei. Trotz des ganzen Drucks sitzt der Ministerpräsident aber nach wie vor Fest im Sattel. Denn die Methoden, mit denen die Opposition an seinem Stuhl sägen möchte, finden nur wenige Unterstützer.

Demokraten spielen nicht mehr mit
Demonstration in Tirana, März 2019:
Demonstranten vor dem Parlament, März 2019

Begonnen hat alles mit der grossen Demonstration in Tirana Mitte Februar. Tausende versammelten sich, um gegen die Regierung zu protestieren. Sie forderten den Rücktritt von Rama und seinen Ministern, die nur dank Verbrechen und der Mafia an die Macht gekommen seien. »Sie haben zwei Albanien geschaffen – eines für die Mehrheit, die von der Aussicht auf ein besseres Leben beraubt und ins Gefängnis geworfen wird, weil sie die Stromrechnung nicht bezahlen kann, und ein zweites Albanien … für diejenigen, die über dem Gesetz stehen,« erklärte Lulzim Basha, Vorsitzender der Demokratischen Partei. Leider ist es bei dieser Demonstration zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. Wütende Demonstranten versuchten den Sitz des Ministerpräsidenten zu stürmen und zerstörten unter anderem Kunstwerke.

Da die Regierung – erwartungsgemäss – nicht auf die Rücktrittsforderung einging, setzten die Demokraten wieder auf die Karte »Erpressung«, mit der sie schon im Frühling 2017 den Politbetrieb über Wochen blockierten und Eingeständnisse ertrotzt haben (siehe Beitrag vom Mai 2018). Dieses Mal kam es nicht zum Hungerstreik oder Boykott der Parlamentssitzungen. Dieses Mal traten die oppositionellen Parlamentarier der Demokratischen Partei und der LSI geschlossen zurück.

Zu verlieren hatten sie nach der katastrophalen Wahlschlappe im Sommer 2017 sowieso nichts mehr.

Ramas Baustellen: Gekaufte Wahlen und andere Vorwürfe
Demonstration in Tirana, März 2019
Demonstranten in den Strassen von Tirana

Der Vorwurf der Korruption ist nicht neu, aber wird immer lauter. Häufiger hört man auch Kritik an Ramas autoritären Gebaren: Andere Meinungen scheint der Ministerpräsident je länger je weniger zu akzeptieren, Projekte werden auch mal auf dubiose Art und Weise umgesetzt, um möglichst schnell mit guten Schlagzeilen punkten zu können.

Im Dezember wurde bekannt, dass der Bürgermeister von Durrës, Vangjush Dako, mit der Mafia zusammengearbeitet habe: Die Verbrecher hätten bei den Parlamentswahlen anderthalb Jahre zuvor Stimmen gekauft und Wähler bedroht. Auch wenn solche Vorkommnisse stark zu verurteilen sind und es nicht verständlich ist, dass Dako noch immer Bürgermeister ist, kann deswegen nicht die ganzen Wahlen in Frage gestellt werden.

Im Verlaufe der Studentenproteste vom letzten Winter hat Rama nach Weihnachten zahlreiche Minister entlassen. Darunter waren seine Stellvertreterin, Wirtschafts- und Finanzminister Arben Ahmetaj, langjährige Weggefährten wie Aussenminister Ditmir Bushati und Kulturministerin Mirela Kumbaro und natürlich Bildungsministerin Lindita Nikolla. Die Umbildung des Kabinetts wurde wiederholt als Ausdruck von Schwäche und Ungewissheit gedeutet. Die Einsetzung von mehreren unbekannten Personen – darunter als Bildungsministerin eine junge Kosovarin – unterstreicht diesen Eindruck.

Das Bild, das die Regierung Rama aktuell bietet, ist nicht gerade das beste und Kritik ist durchaus berechtigt. Aber für eine Stilllegung des Politbetriebs ist nicht ansatzweise genügend Grund gegeben. Die Opposition hat die Spielregeln der Demokratie arg strapaziert.

Grosse Ungewissheit bei den Analytikern

Die Lage war verfahren: Natürlich sind Rama und Co. nicht den Forderungen der Opposition nachgekommen. Dass die demokratischen Abgeordneten zurückkrebsen und ins Parlament zurückkehren – was eigentlich auch gar nicht mehr geht –, konnte auch schnell ausgeschlossen werden.

Bei einem Rücktritt eines Parlamentariers rutscht laut Verfassung die nächste nichtgewählte Person von der gleichen Wahlliste nach. Wenn diese die Annahme der Wahl verweigert, müssen alle anderen Personen auf den Wahllisten der Opposition als Ersatzleute aufgeboten werden – ein Prozess, der Monate dauern kann. Beobachter machten sich Sorgen, was passieren würde, wenn alle Oppositionellen verweigern und Parlamentssitze vakant bleiben. Denn die Verfassung regelt nicht, wie mit dieser Situation zu verfahren ist. Man sah Albanien schon auf ein neues grosses Chaos zusteuern. Ist ein unvollständig besetztes Parlament überhaupt beschlussfähig? Können unter diesen Voraussetzungen überhaupt die Lokalwahlen im Sommer stattfinden? Das Verfassungsgericht kann hierauf auch keine Antwort liefern, weil es beschlussunfähig ist (bis heute gelang es nicht, entlassene Richter, die die Korruptionsüberprüfung nicht bestanden, zu ersetzen).

Demonstranten in Albanien
Demonstranten vor den Ministerien im März 2019

Die andauernden Demonstrationen der Opposition – es wurde angekündigt, dass während jeder Parlamentssitzung demonstriert werde – und die politische Unsicherheit sind Gift für ein Land im Umbruch. Die Beitrittsverhandlungen mit der EU haben noch immer nicht begonnen, die Überprüfung von Richtern und Staatsanwälten (siehe Beitrag zur Justizreform) kommt nur schleppend voran, und auch bei anderen Belangen besteht Reformbedarf. Man befürchtete vor allem, dass die unsichere Lage negativen Einfluss auf die Touristensaison diesen Sommer haben könnte.

Dass eine der Parteien schnell einlenken würde, war nicht zu erwarten. Die Opposition hatte sich aus dem Spiel genommen, und die Demokratische Partei bietet keine realistische Lösungen. Ihre Maximalforderung – typisch albanisch – brachte sowohl sie selbst als auch das System in ein Dilemma.

Für die Regierung kamen weder Neuwahlen noch ein Rücktritt in Frage. Die Bildung einer neuen Regierung unter einem anderen sozialistischen Politiker wäre wohl die eleganteste Lösung gewesen, entspricht aber nicht Ramas Machtanspruch. Denn immerhin war man gewählt worden und hatte eine bequeme Mehrheit im Parlament.

Plan nicht aufgegangen

Zwei Monate später wird immer deutlicher: Der Plan der Opposition ist nicht aufgegangen – aus verschiedenen Gründen.

Ein wesentlicher Grund ist, dass es reichlich Personen auf den Wahllisten der Opposition gibt, die nur zu gerne ins Parlament nachrutschen. Die Sitze der zurückgetretenen Oppositionellen bleiben somit nicht lange leer. Die neuen Parlamentarier begründen ihre »Untreue« zur Partei meist mit ihren verfassungsmässigen Pflichten – und freuen sich wohl insgeheim über die Chancen, die ihnen das Leben da bietet.

Lulzim Basha

In erster Linie fehlt der Opposition aber der Rückhalt bei der breiten Bevölkerung. Gerade Lulzim Basha, Parteichef der Demokraten, wird in breiten Bevölkerungsschichten als wenig kompetent erachtet. Nur wenige sehen in ihm eine bessere Alternative zur aktuellen Regierung. Der blasse und wenig von Erfolg gekrönte Basha und seine Kollegen vermögen den politikverdrossenen Albanern keine wirklich neuen Perspektiven zu bieten. Da in der Demokratischen Partei auch andere Führungspersönlichkeiten fehlen, erachten viele Albaner die grösste Oppositionspartei als unwählbar. Neben dem bescheidenen Leistungsausweis von Basha und seinen Mitstreitern in der Vergangenheit bieten sie auch keine Lösungen: Das politische Programm der Demokraten besteht nur aus Vorwürfen und Forderungen.

Auch die Jugend, die mit ihren Protesten im Dezember grossen Erfolg hatten, distanziert sich ausdrücklich von den politischen Parteien, möchte mit diesen nichts zu tun haben. Der Versuch der Opposition, auf diesen Zug aufzuspringen, misslang.

Innerhalb der Demokratischen Partei wurde zwischenzeitlich auch schon Kritik am Rücktritt laut. Es sei kein Mehrheitsentscheid gewesen, sondern nur in der Parteiführung entschlossen worden. Entsprechend unkoordiniert scheint das Vorgehen der Demokraten während der Proteste zu sein. Weiter wird moniert, Sali Berisha ziehe noch immer im Hintergrund die Fäden und Basha sei nicht fähig, sich von ihm zu lösen.

Zu guter Letzt fand das Vorgehen der Opposition aber auch im Ausland keine Unterstützung. Die westlichen Regierungen haben wiederholt ihre Mühe mit dem Austritt aus dem Parlament zum Ausdruck gebracht. Nach ihrem Demokratieverständnis hat die Opposition eine andere Aufgabe und ihre Geduld mit den Demokraten, die schon vor zwei Jahren während des Parlamentsboykotts und während der Justizreform stark strapaziert worden ist, scheint aufgebraucht. Man ist der langen Verhandlungen mit albanischen Politikern und der nervenaufreibenden Spiele müde.

Die wenigen Demonstranten, die sich regelmässig in Tirana vor dem Parlament treffen und noch immer den Rücktritt der Regierung fordern, stehen also recht einsam da.

Das Leben geht weiter

Die Überschrift zu diesem Abschnitt mag simpel sein, aber fasst die Lage in Albanien gut zusammen. Die wenigsten Albaner interessieren sich für die Politikspiele, die die Berichterstattung in den Medien nur dominieren, wenn es mal wieder zu gewalttätigen Protesten kommt. Wenn man nicht gerade im Stau steht, weil Demonstranten Verkehrswege blockieren oder die Polizei zum Schutz der Institutionen Strassen absperrt, spürt man im albanischen Alltag nichts vom politischen Gezänk.

Eine ernsthafte Krise hat die Opposition nicht ausgelöst. Parlament und Regierung, fest in der Hand der Regierung, arbeiten wie gewohnt weiter. Es stehen Herausforderungen an, Probleme gilt es zu lösen. Aber das ist gewohnter Alltag.

Der Rückzug der Opposition aus dem Parlament ist zwar nicht lustig, wird im Rückblick aber wohl eher als Politposse in Erinnerung bleiben. Zwei Monate später ist klar, dass die Demokraten sich ein Eigentor geschossen haben, das noch lange ihr Ansehen belasten dürfte.

(nlA – Lars Haefner)

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