Albanien will 2025 Tiktok verbieten, um die Jugend vor schlechten Einflüssen zu schützen.
Der albanische Ministerpräsident Edi Rama hat vor wenigen Tagen angekündigt, dass Tiktok nächstes Jahr in Albanien gesperrt werden soll.
Wie kam es zum Verbot?
Am 18. November kam es in Tirana ausserhalb einer Schule zu einer Auseinandersetzung zwischen drei Vierzehnjährigen. Einer erlitt tödliche Stichwunden, die beiden anderen musste mit teilweise schweren Verletzungen ins Spital eingeliefert werden. Schnell hiess es, dass dem Vorfall ein »Streit auf Social Media« vorausgegangen sei. Der Angreifer habe nachträglich auch Fotos und Videos von der Tatwaffe und seinen Wunden geteilt.
Der Mord erschütterte die albanische Gesellschaft. Der Präsident des albanischen Fussballverbands sprach sein Beileid aus, da der Tote ein aktiver Jungfussballer war. Und auch Politiker bis zum Staatspräsidenten gaben Stellungnahmen ab. Schnell wurde die Tat auch im Parlament diskutiert.
Wer entschied über das Tiktok-Verbot?
Ministerpräsident Edi Rama unterstreicht, dass die Sperre kein Schnellschuss sei. In der Zeit zwischen dem Mordfall und der Ankündigung des Verbots fanden in ganz Albanien Gesprächsrunden mit Lehrern und Elternvereinigungen statt.
Die Zahlen sind schon fast unglaubhaft kommunistisch: Im November und Dezember will man 1300 Treffen mit 65’000 Eltern durchgeführt haben, bei denen sich 90 % der Eltern für ein Verbot von Tiktok ausgesprochen haben.
Edi Rama erklärte, dass Albanien ein kleines Land sei und keinen Druck ausüben könne auf Tech-Giganten. Und da Tiktok nicht die albanischen Kinder schützen, müsse Albanien die Kinder vor Tiktok schützen. Er wünsche sich, dass Tiktok selber mehr unternehmen würde, um junge Nutzer zu schützen.
Was verspricht man sich von der Sperre?
Eine Umfrage unter Kindern in Kosova vom Frühsommer zeigte, das 78 % der Mobbing in ihren Schulen wahrnehmen. Auf Tiktok ist das Mobbing gleich stark. Auf Snapchat erleben noch mehr als die Hälfte der Schüler Mobbing, auf Instagram und vor allem Facebook deutlich weniger.
In Albanien sei auf Tiktok nur Gewalt und »Dreck« zu sehen, erklärte Rama. Man wolle deshalb den »Gauner im Viertel für ein Jahr verjagen«. Stattdessen sollen Bildungsprogramme angeboten werden, um die Jugendlichen sinnvoll zu beschäftigen. Und auch Eltern sollen mehr Unterstützung erhalten, wie sie ihre Kinder erziehen können.
Die Tiktok-Sperre ist natürlich nur eine von verschiedenen Massnahmen, die Rama angekündigt hatte, um die Sicherheit für Jugendliche im schulischen Umfeld zu erhöhen.
Wie waren die Reaktionen?
Auf Tiktok war nicht viel Positives zu lesen. Viele Jugendliche erklärten, dass ihnen die Plattform zur Unterhaltung diene und nicht schädlich sei.
Auch die Opposition machte der albanischen Regierung Vorwürfe: Es würde die Meinungs- und Pressefreiheit stark eingeschränkt. Sali Berisha erklärte, die Sperre sei ein Akt der Zensur. Er werde das Verbot am ersten Tag als Ministerpräsident aufheben, wenn er im Sommer gewählt werde.
Was meint Tiktok selber zum Verbot?
Tiktok erklärte gegenüber CNN, dass man dringend Klarheit von der albanischen Regierung verlange. Es gäbe keinen Hinweis, dass Täter oder Opfer überhaupt Tiktok-Accounts gehabt hätten. Dafür gäbe es Hinweise, so ein Sprecher von Tiktok zu CNN, dass sie andere Social-Media-Plattformen genutzt haben.
Wie wird die Sperre umgesetzt?
Zur Umsetzung der Sperre gibt es noch viele Fragezeichen. Rama erklärte, dass man in sechs bis acht Wochen so weit sei. Vermutlich gibt es da noch diverse technische und rechtliche Hürden zu nehmen.
Kann das Verbot auch umgangen werden?
Eine solche Sperre kann recht einfach mit VPN umgangen werden. Das kostet aber eine monatliche Gebühr oder benötigt etwas technisches Know-how.
Es ist deshalb eher zu erwarten, dass die Jugendlichen in Albanien auf andere Plattformen ausweichen werden als in Massen das Verbot zu umgehen.
Wen betrifft das Verbot?
Über die Anzahl der Tiktok-Benutzer in Albanien gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Gemäss der Website start.io gibt es in Albanien rund 140’000 Nutzer, in den Medien wird meist der zehnfache Wert von 1,4 Millionen Nutzern genannt (also mehr als die Hälfte aller Albaner). Mehr als die Hälfte sind gemäss start.io unter 24 (wobei die Unterachtzehnjährigen gar nicht ausgewiesen werden). Drei Viertel der Nutzer sind gemäss dieser Quelle männlich. Die Anzahl User sei fast gleich gross wie in Österreich und grösser als in der Schweiz.
Andere Quellen nennen deutlich höhere Zahlen. Darauf deutet auch hin, dass die Fernsehmoderatorin Fabjola Elezaj 440’000 Follower hat. Davon sind wohl nicht alle aus Albanien – aber ihre Inhalte sind albanisch. Modash, einem Spezialdienst für Influencer, weist noch andere Accounts auf mit bis zu 250’000 Followern.
Wie überall auf der Welt ist auch in Albanien das Publikum sehr jung. Es sind also zu einem Grossteil männliche Schüler und Studenten betroffen. Es gibt aber auch Ausnahmen:
Sali Berisha postet regelmässig auf Tiktok und hat 60’000 Follower. Edi Rama hat sogar mehr als doppelt so viele Follower und 2 Millionen Likes generiert. Damit würde er es unter die Top 20 Influencer Albaniens auf Tiktok schaffen.
Soziologen empfehlen Eltern gemäss Euronews Albania, den Jugendlichen mit gutem Beispiel voranzugehen und mit ihnen nicht-digitale Aktivitäten zu unternehmen. Ansonsten wären die betroffenen Jugendlichen einfach frustriert und würden auf andere Plattformen ausweichen.
Betrifft das Verbot auch Touristen?
Ja, auch Touristen werden vom »Tiktok Ban« betroffen sein. Fleissige User sollten sich also vor der Reise um ein VPN-Angebot kümmern.
Gibt es einen wirtschaftlichen Schaden?
Einerseits ist da der Tourismus: Albanian Daily News schrieb im Sommer: »Tourist are making Albania famous on Tiktok«. Mit 3,8 Millionen Posts zu Albanien auf Tiktok sei das kleine Balkanland besser vertreten als wichtige Touristendestinationen wie Griechenland, Italien, Thailand oder Frankreich. Die Posts seien 106 Milliarden mal aufgerufen worden. Tiktok ist somit sicherlich eine gute Werbeplattform für den Brand Albanien, die nicht mehr so funktionieren wird, wenn Tiktok in Albanien nicht funktioniert.
Als Werbeplattform dürfte Tiktok in Albanien weniger stark ins Gewicht fallen. Der albanische Markt ist überschaubar, nicht besonders gross. Tiktok wird zwar von einzelnen Brands für Werbung genutzt, die zum Beispiel mit Influencern zusammenarbeiten. Die Werbetreibenden werden aber wohl schnell auf andere Kanäle ausweichen. So sind es wohl nur einzelne Influencer oder Online-Dienste, die eine wesentliche Einnahmequelle verlieren. So hat der Online-Shop »Buzi Store« auf Tiktok ähnlich viele Follower wie auf Instagram. Andere Tiktoker wie Aleks Visha aus Kukës, der behauptet, auf Tiktok mit Online-Spielen Millionen verdient zu haben, sind vom Verbot kaum betroffen, da ihre Follower mehrheitlich ausserhalb Albanien leben.
Ist Albanien ein Modell für andere Länder?
Tiktok wird immer wieder kritisiert: Es gehe ein Sicherheitsrisiko von diesem Tool aus. Man hat Angst vor Spionage, weshalb Staatsangestellten in vielen Ländern die Nutzung verboten wird. Trump wollte Tiktok schon verbieten.
Nach den Wahlen in Rumänien vom November wurde Tiktok fest kritisiert: Es habe namhafte Beeinflussung gegeben, was nach Wahlgesetz nicht erlaubt sei.
In Kosova finden ähnliche Diskussionen statt wie in Albanien.
Im Gegensatz zu Albanien planen viele andere Länder keinen TIktok-Bann, sondern eine Einschränkung von Social Media allgemein für Kinder und Jugendliche: In Australien wird ab 2026 ein generelles Social-Media-Verbot für alle unter 16 Jahren gelten. Das Verbot soll durch Strafen gegen die Anbieter durchgesetzt werden, die Zugangsschranken einführen müssen. In Florida tritt bereits Anfang 2025 ein Gesetz in Kraft, das Social-Media-Accounts für alle unter 14 Jahren verbietet. Frankreich hat ein Smartphone-Verbot bis 12 Jahre und ein Social-Media-Verbot bis 17 Jahre, überlässt die Durchsetzung aber den Eltern.
Was bringt das Verbot von Tiktok jetzt wirklich?
Das beste am Verbot ist wohl, dass eine Diskussion ausgelöst wurde. Wie viel Zeit sollen Kinder – und Eltern – auf Social Media verbringen? Wie kann man sich sonst beschäftigen?
Ansonsten bringt ein Tiktok-Bann wohl nicht viel: Die Jugendlichen werden auf andere Social-Media-Plattformen ausweichen und dort das machen, was sie zuvor auf Tiktok gemacht haben: blöde Kurzvideos mit Gewalt und anderem Schrott schauen, selber Kurzvideos mit Drohungen und Macho-Gehabe aufnehmen.
Der Nachteil in einer Demokratie ist zwar beträchtlich – gerade in einem Wahljahr: Die Meinungsäusserungsfreiheit wird stark eingeschränkt. Aber schlussendlich stehen genügend andere Social-Media-Kanäle zur Verfügung. Und die Opposition ist auf Tiktok nicht wirklich stark vertreten.
Es braucht also deutlich mehr als ein Tiktok-Verbot: Die Begleitmassnahmen sind aktuell für Albanien wichtiger. Aber vielleicht wird es dank Druck aus grossen Ländern bald auch in Albanien zum Standard, dass die Alterskontrolle für Social Medie konsequent um- und durchgesetzt wird. Insofern regt das Beispiel Albanien vielleicht auch dazu an, dass sich bei den Tech-Konzernen etwas bewegt.
(nlA/Lars Haefner)