Ein Wachmann in der Nacht auf Montag getötet bei Attacke auf Albaniens grösstes Medienhaus
Noch immer ist unklar, wer hinter der Attacke auf den Fernsehsender »Top Channel« steht. Nach Mitternacht wurde am späten Sonntag mit Kalaschnikow-Gewehren auf das Gebäude des Medienunternehmens geschossen. Rund 25 Schuss wurden abgegeben. Ein Wachmann wurde dabei tödlich getroffen.
Fragile Pressefreiheit in Albanien
Die Tat ist ein brutaler Angriff gegen die Pressefreiheit. Drohungen und Einflussnahme durch Mächtige gehören leider schon länger zum journalistischen Alltag in Albanien. Die Sicherheit von Journalisten ist nicht immer gewährt. Mit der kriminellen Attacke zu Wochenbeginn hat dies aber eine neue Stufe erreicht.
Das Attentat wurde von allen Seiten verurteilt: Journalistenverbände im In- und Ausland sowie alle bedeutenden Politiker Albaniens. Im Gegensatz zu internationalen Beobachtern beurteilte Ministerpräsident Edi Rama in einem Interview gestern die Medienfreiheit in Albanien jedoch als gut: Es sei im Land noch nie besser gestellt gewesen um die Medienfreiheit.
Edi Rama selber wird beschuldigt, in jüngster Vergangenheit Medienschaffende bedrängt zu haben. Wiederholt kritisierte er öffentlich Journalistinnen und Journalisten, zeigte seinen Unmut über regierungskritische Berichterstattung. Letzten Dezember attackierte die Regierung direkt den Besitzer eines anderen Medienhauses, siehe unsere Berichterstattung zum gesprengten Hotel in Golem.
Strafverfolgungsbehörden untersuchen
Trotz der hohen Belohnung, die für Hinweise ausgesetzt wurde, liegen der Polizei und der Staatsanwaltschaft bis heute Abend noch keine Hinweise auf die Täter vor. Die Täter haben das Auto auf der Flucht in Brand gesetzt. Der Range Rover war im Juli 2020 kosovarischen Touristen gestohlen worden, die Kennzeichen wurden vor drei Monaten entwendet. Im ausgebrannten Wagen wurden zwei Maschinengewehre AK-47 gefunden, vermutlich die Tatwaffen, die jetzt forensich untersucht werden.
Motiv unklar
»Top Channel« ist der grösste Fernsehsender Albaniens. Der private Kanal wurde 2001 gegründet. Neben dem Fernsehsender gehören auch weitere Medienprodukte, ein Kabelanbieter und eine Kaffeemarke zum Konzern. Der Sender verurteilte in einer Erklärung die Tat als »terroristische Attacke« und sprach der Familie des getöteten Mitarbeiters ihr Beileid aus.
Über Hintergründe der Attacke ist nichts öffentlich bekannt. Es ist aber wenig wahrscheinlich, dass die Täter dieses aufwändig geplanten Überfalls keine Nachricht hinterlassen haben, nicht eine deutliche Drohung übermitteln wollten. Die Urheberschaft ist vermutlich in diesem Fall nicht in der Politik zu suchen. Das Vorgehen deutet eher auf das organisierte Verbrechen hin. Ob es um eine Abrechnung unter »konkurrierenden Geschäftemachern« geht oder eine unliebsame Berichterstattung verhindert werden soll, ist aktuell wohl nur sehr wenigen Leuten bekannt.
Lars Haefner