… und was sie über die politische Entwicklung im Land erzählen
Nachwahlen in den sechs Gemeinden Durrës, Shkodra, Lushnja, Dibra, Vora und Rrogozhina wären eigentlich nur eine Randbemerkung wert. Aber der Urnengang ist ein Temperaturmesser für die »aktuelle Aufregung« in der Politiklandschaft Albaniens und gibt ein Update zu den rechtsstaatlichen Zuständen im Land.
A propos Temperatur: In drei kleinen Dörfern in den Albanischen Alpen konnte wegen zu viel Schnee nicht gewählt werden. Andernorts waren die Verhältnisse auch nicht einfach: Es gab keinen Strom und blockierte Wege. Wohl ein Grund, weshalb in Albanien meist im Sommerhalbjahr gewählt wird.
Weshalb Nachwahlen?
Die letzten Lokalwahlen fanden 2019 statt. Die Opposition boykottierte damals den Urnengang. Zudem waren Staatspräsident Ilir Meta und die Regierung sich uneinig über den passenden Zeitpunkt. Die konkurrenzlosen Sozialisten konnten in 60 von 61 Gemeinden den Bürgermeister Ilir Meta und die Demokraten bemühten die Gerichte – erklärten die Wahl für unzulässig.
Zweieinhalb Jahre später erging endlich ein Entscheid des Verfassungsgerichts, das die Wahlen vom Juni 2019 als rechtmässig qualifizierte. Das Urteil hatte so lange auf sich warten lassen, weil es an Verfassungsrichtern fehlte. Die Justizreform von 2016 verlangte die Überprüfung alle Richter im Land. Bei fast allen Verfassungsrichtern wurden Vermögenswerte festgestellt, deren Herkunft nicht geklärt werden konnte, worauf das oberste Gericht des Landes nicht mehr ordnugnsgemäss besetzt werden konnte. Und es dauerte, bis endlich geeignete Kandidaten gefunden waren …
Die gute Nachricht: Das Verfassungsgericht arbeitet wieder und: Nicht jeder, der sich als Politiker oder Richter bestechen oder schmieren lässt, kommt damit auf Dauer durch.
Zwischenzeitlich hatte sich herausgestellt, dass auch der eine oder andere gewählte Bürgermeister nicht ganz »sauber« war. Der PS-Kandidat in Shkodra hatte eine Drogendelikt in Italien nicht angegeben, und die Bürgermeisterin von Durrës war nach einer taktlosen Äusserung zurückgetreten. Andere waren im Amt verstorben. So musste in sechs Gemeinden ein (neuer) Bürgermeister gewählt werden. Dies betraf fast 20 % der Einwohner Albaniens.
Die Resultate
Der Ausgang der Wahl ist in diesem Zusammenhang eigentlich wenig überraschend. Die Sozialisten konnten in fünf der sechs Gemeinden eine Mehrheit finden und können dort weiterhin den Bürgermeister stellen. Die Hälfte ihrer Kandidaten waren Frauen.
In Shkodra haben die Sozialisten verloren. Das ist wiederum wenig überraschend, ist doch die grosse Stadt im Norden schon immer eine Hochburg der Demokraten.
Kandidaten der LSI oder weiterer Parteien standen nicht zur Auswahl – ein deutliches Zeichen für den anhaltenden Abwärtstrend der Partei von Ilir Meta.
Die Wahlbeteiligung war etwas höher als bei den Lokalwahlen vom Sommer 2019, aber deutlich tiefer als bei den Parlamentswahlen vom letzten Sommer.
Welcher Demokrat gewinnt?
Die Lokalwahlen waren ein Stimmungsbarometer für den Streit in der Demokratischen Partei, wo sich Parteigründer Sali Berisha und Parteivorsitzender Lulzim Basha bekämpfen. Nachdem die USA Berisha zur persona non grata erklärt hatten und er von Basha aus der Parlamentsfraktion ausgeschlossen worden war, ist die PD in zwei Lager zerfallen. Im Januar hatte Berisha mit einem Mob versucht, die Parteizentrale zu stürmen und zu übernehmen – Basha und seine Gefolgsleute schlossen ihn darauf aus der Partei aus. Zuvor hatten beide Seiten versucht, in eigenen Parteikongressen eine Mehrheit hinter sich zu binden.
Wie der Machtkampf ausgehen wird, ist weiterhin unklar. Berisha hat jedoch für die Nachwahlen eigene Kandidaten aufgestellt. Unter dem Namen »Haus der Freiheit« (»Shtëpia e Lirisë«) traten sie gegen die offiziellen Kandidaten der Demokratischen Partei an. Für die Sozialisten war es natürlich ein einfaches Spiel, wenn der grösste Konkurrent zerstritten ist.
Aber welche PD-Fraktion hat die Nase vorn? Der Ausgang war recht klar. Der offizielle PD-Kandidat konnte einzig in Rrogozhina mehr Stimmen auf sich vereinen als sein demokratischer Gegenspieler von »Haus der Freiheit«. An allen anderen Orten hat der Demokrat von Berisha gegen den Demokrat von Basha gewonnen. In Shkodra erhielt »Haus der Freiheit« zweieinhalb Mal mehr Stimmen als die PD und gewann sogar das Bürgermeisteramt. In Vora erzielte Berishas Kandidat vier Mal mehr Stimmen als der PD-Kandidat, in Lushnja drei Mal mehr, in Durrës auch mehr als doppelt so viele Stimmen. Nur in Dibra lag der PD-Kandidat nur knapp zurück.
Berisha ist jetzt definitiv zurück in der Politik. Und die Anhänger der Demokratischen Partei können sich eine Partei ohne ihn nicht vorstellen.
Auch wenn diese sechs Gemeinden nicht repräsentativ sind für ganz Albanien: Das Signal ist deutlich. Das Eis wurde dieses Wochenende für Basha deutlich dünner. Wie lange er sich noch gegen seinen Ziehvater wehren kann?
Spätestens im Sommer 2023, wenn die nächsten Lokalwahlen anstehen, werden wir mehr wissen …
(Lars Haefner)