Nach einem für albanische Verhältnisse sehr unaufgeregten Wahlkampf und einem ruhigen Wahltag liegen Edi Ramas Sozialisten bei den Auszählungen vorn.
Noch nie in den letzten 30 Jahren hat Albanien einen solch ruhigen Wahlkampf erlebt – natürlich ist das auch Corona geschuldet. Aber zu einem guten Teil liegt es an der Politikverdrossenheit der Albaner. Niemand erwartet mehr grosse Veränderungen – weder von den seit acht Jahren regierenden Sozialisten (PS), die es sich in ihren Königreichen sehr bequem eingerichtet haben und den Staat zum eigenen Nutzen ausquetschen, wo sie nur können, noch von den Demokraten (PD), die sich zwar endlich wieder dazu entschlossen haben, am Politikbetrieb nach demokratischen Spielregeln teilzunehmen, aber auch keine Lösungen aufzeigen können.
»Die sind doch alle gleich«
Die meisten Albaner sind sich eigentlich einig, dass es keine Rolle spiele, wen man wähle. Die Politiker seien sowieso alle gleich – gleich korrupt, gleich machtgierig, gleich unfähig. Tatsächlich unterscheiden sich die grossen albanischen Parteien, ob PS, PD oder LSI kaum: die Sozialisten sind nicht besonders sozialistisch, die Demokraten sind nicht besonders demokratisch, die LSI nicht besonders integrierend. Alle reden nur von europäischer Integration, bauen gerne Strassen oder noch lieber Wasserkraftwerke – weil sich da ja gut was abzweigen lässt –, sprechen gerne von Tourismusförderung als Allheilzweckmittel und sind ansonsten recht ratlos, wie sie Albanien voranbringen sollen.
Die Sozialisten rühmten sich, was sie in den letzten Jahren alles für Albanien getan hätten. Viele Versprechungen konnten zwar nicht eingehalten werden: Die »Rruga Arbërit« sei zwar fertiggebaut, der Verkehr darf aber noch nicht rollen, der Flughafen in Kukës ist zwar eröffnet, aber die internationale Zertifizierung fehlt, die Zufahrt nach Tirana ist noch immer eine grosse Baustelle. Trotzdem wurde in den letzten Jahren viel erreicht – nicht nur bei den Infrastrukturprojekten. Generell ist das Leben, der Alltag in Albanien heute normalisirter, regulierter, ordentlicher, normaler und berechenbarer. Auch haben die Sozialisten das Land recht ordentlich durch die Corona-Krise geführt, wie der Rückgang bei den Neuinfektionen in den letzten Wochen und die Erfolge bei der Impfung zeigen.
In Albanien ist es aber Volkssport, sich über die Regierenden zu beklagen. Vieles ist begründet. Meist wird jedoch nicht mit Albanien vor fünf, zehn oder 20 Jahren verglichen, auch nicht mit dem, was in Nachbarländern gut oder schlecht funktioniert – meist wird nur mit Westeuropa oder den USA verglichen und komplett ausgeblendet, wie es in Albanien noch vor wenigen Jahren ausgesehen hat, was sich alles verändert hat.
Immer stärkere autoritäre Tendenzen bei Edi Rama
Kritik ist andererseits natürlich nicht nur angebracht sondern auch notwendig. Der unheilvolle Rückzug der Demokraten aus dem Politikbetrieb wegen nicht erfüllbarer Maximalforderungen – nicht wirklich die Spielregeln einer Demokratie einhaltend – hat zu einem unschönen »Einparteiensystem« geführt: Die Sozialisten hatten alle Ämter, alle Mehrheiten und alle Macht. Keine andere Partei war mehr in den Politikbetrieb involviert und konnte für ein Gleichgewicht sorgen, wie es eine Demokratie benötigen würde.
Die Situation ist dem Langzeitministerpräsidenten Edi Rama immer mehr in den Kopf gestiegen. Sein Auftreten nahm immer autoritärere Züge an, Kritik wurde immer weniger geduldet. Ein neues Mediengesetzt, das kritischen Journalisten einen Maulkorb verpasst hätte, wurde nur nach starkem internationalen Druck abgeschwächt. Und natürlich sind da noch die Verbindungen von vielen sozialistischen Spitzenpolitikern zu korrupten Geschäftsleuten und zum organisierten Verbrechen.
Eine starke Opposition, die den Machthabern die Stirn bieten könnte, aber auch fähig wäre, konstruktive Kompromisse zu schliessen, wäre für das Vorankommen Albaniens wichtig.
Vereinte, aber farblose Opposition
In einem Versuch, die Sozialisten vom Thron zu stossen, hat sich die Opposition vor den Wahlen in einer grossen Koalition gegen die Sozialisten vereinigt. Die Demokraten haben es geschafft, Klein- und Kleinstparteien von ganz links bis ganz rechts hinter sich zu vereinen.
Die Demokraten konnten aber erneut nicht ihrem Wahlprogramm ein deutliches Profil verpassen, das den Wählern eine klare Alternative aufgezeigt hätte. Auch in der internationalen Medienberichterstattung wurden die Demokraten nur am Rande erwähnt. Zu unfassbar sind ihre Wahlversprechen, zu fest haben sie sich mit ihrem Boykott aus dem politischen Leben verabschiedet. Parteipräsident und Spitzenkandidat Lulzim Basha geniesst nur innerhalb der Partei Vertrauen – als ehemaliger Bürgermeister von Tirana und in seinen früheren Ministerämtern konnte er nicht überzeugen.
Für unabhängige Wähler versprechen Basha und seine Demokraten keine Verbesserung – es wären nur andere Köpfe, die ebenfalls in erster Linie in ihre eigenen Taschen arbeiten.
Ruhiger Wahltag – Sozialisten vorn
Wie der ganze Wahlkampf, der Corona-bedingt ohne grosse Veranstaltungen auskommen musste, war auch der Wahltag recht ruhig. Wider Erwarten war die Stimmbeteiligung gar nicht extrem tief, sondern dürfte mit rund 50 Prozent am Schluss etwa im langjährigen Mittel liegen. Wie üblich gab es einzelne kleine Zwischenfälle wie Fotografieren von Wahlzetteln (zur Bestätitgung des Stimmenkaufs), Familienwahl und etwas körperliche Gewalt in und vor Wahllokalen. Es liegen aber keine Berichte vor, die auf eine Verfälschung der Wahlresultate hinweisen würden.
Seit gestern wird jetzt landesweit gezählt. Erste Hochrechnungen und erste Resultate lassen auf einen Sieg der Sozialisten schliessen. Zur Zeit sind rund 40 Prozent der Wahlurnen ausgezählt. Demnach würden die Sozialisten nicht nur rund 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, sondern hätten auch zum ersten Mal den Qark Dibra für sich gewonnen.
Die Demokraten kommen aktuell lediglich auf rund 40 Prozent der Stimmen, gefolgt von der LSI mit sieben Prozent. Die Sozialdemokraten haben wohl als einzige kleine Partei die Wahlhürde von einem Prozent überwunden und könnten in einer Koalition den Sozialisten zur Mehrheit im Parlament verhelfen. (Stand: Montag, 26. April, 13 Uhr)
(Lars Haefner)
Sehr guter, informativer und die Realität beschreibender Bericht.
Gratuliere!
Die Demokraten sehen ihre Fälle wegschwimmen. Ihre Wahlhelfer bei der Auszählung sind erschöpft und bitten immer wieder um Pausen bei der Auszählung 😉 Vielleicht suchen sie auch nach den Wahlurnen, in denen sie noch nicht ausgezählte Stimmen für die DP vermuten…
Interessant wird die Reaktion des Präsidenten sein, der fest davon überzeugt ist, dass nur die alte Opposition gewinnen könne. Ob er andernfalls wirklich freiwillig seinen Hut nimmt?
Hervorragend geschrieben Lars, vielen Dank & Respekt – es ist als wärst du wirklich jeden Tag hier vor Ort & nie woanders! (Wobei der gelegentliche oder auch öftere Blick von Aussen sicher auch seine Vorteile hat..)
Nochmals: tolle Arbeit.