Erneutes Erdbeben

Ein weiteres schweres Erdbeben mit 6.4 Punkten auf der Richterskala hat diese Nacht Mittelalbanien erschüttert.

Schäden des Erdbebens vom 26. November 2019 (Bild: Erald Guri)
Schäden des Erdbebens
(Bild: Erald Guri)

Das Epizentrum des Erdbebens in dieser Nacht lag etwas nördlich von Durrës (Gjiri i Lallzit). Das Beben war im ganzen Küstenbereich Mittel- und Nordalbaniens zu spüren. Schäden wurden insbesondere in Durrës und der Küstenregion zwischen Tirana und Lezha verzeichnet. In der Region Durrës hob sich der Boden um zehn Zentimeter.

Es handelt sich um das schwerste Beben seit vier Jahrzehnten in Albanien. So sind dieses Mal auch zahlreiche Todesopfer zu beklagen.

Steigende Opferzahlen

Medien berichteten am Morgen noch von vier oder fünf Toten, bis zum späten Abend stieg die Zahl auf 24 Personen, die von einstürzenden Häusern begraben wurden. Mindestens zwei Kinder sind darunter. Am Abend des Folgetags war schon von 31 Toten die Rede. Berichte von Opfern stammen unter anderem aus Durrës, der Region Kurbin in Nordalbanien und Thumana, einem Dorf nördlich von Fushë-Kruja. Es ist zu erwarten, dass die Opferzahlen noch weiter steigen werden – mehrere Personen werden noch vermisst.

Erdbeben November 2019: Helfer in Thumana
Helfer bergen Trümmer bei einem verschütteten Haus in Thumana
(Bild: © Albanisches Rotes Kreuz)

In Durrës sind mehrere mehrstöckige Häuser eingestürzt – darunter ein achtstöckiges Hotel am Strand im Süden, das drei Personen unter sich begrub. Auch weitere Hotels in Durrës-Plazh stürtzten ein. In Thumana sind ebenfalls zwei mehrstöckige Wohnhäuser eingestürzt. Hier wurden bis jetzt 13 Opfer geborgen.

Rund 50 Personen konnten von den Hilfskräften bis jetzt lebendig aus den Trümmern geborgen werden. Die Suche geht weiter – noch immer werden viele Menschen vermisst. 600 Verletzte mussten sich in Spitalbehanldung begeben.

Neben den zerstörten Gebäuden in Durrës und Nordalbanien zeigen Bilder Schäden aus dem ganzen Westen des Landes: Strassenzüge und Treppenhäuser voll von Schutt von heruntergefallenem Verputz, Wände mit breiten Rissen.

Internationale Hilfe

Erbeben im November 2019: beschädigtes Haus
Eines von vielen beschädigten Häusern in Tirana (Bild: zVg)

Aus Rumänien ist am Mittag ein Flugzeug mit 50 Notfallhelfern eingetroffen. Über 100 Polizisten aus Kosova sind unterwegs nach Albanien, um beim aktuellen Notfall zu unterstützen. Auch aus Italien, Griechenland, Frankreich, Israel und der Türkei sind im Verlaufe des Tages Teams angereist, um bei der Suche nach Verschütteten zu helfen. Der griechische Aussenminister traf am Nachmittag zusammen mit zwei Such- und Rettungsteams in Tirana ein. Montenegro und Serbien haben ebenfalls Hilfe angekündigt. Am Abend reisten auch Helfer des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe nach Albanien. Hundestafeln helfen bei der Suche nach Verschütteten und Schweizer Experten prüfen die Stabilität beschädigter Gebäude.

Ein Hund eines kosovarischen Suchteams soll schon drei Menschen lebendig in den Trümmern geborgen haben.

Während noch am Dienstagabend Kinder aus Durrës nach Kosova gebracht wurden, um dort in Sicherheit Erholung zu finden, spendeten viele Kosovaren und Albaner in Mazedonien Kleidung und Essen für die Erdbebengeschädigten in Albanien. Dutzende von Transportern machten sich in der Nacht aus den Nachbarländern auf den Weg nach Albanien.

Der 27. November wurde zum nationalen Trauertag erklärt.

Laufend Nachbeben

Die Menschen in den betroffenen Gebieten wurden Mitten in der Nacht von einem ersten, schwächeren Erdbeben geweckt. So waren viele noch wach und konnten schnell die Gebäude verlassen, als sich eine halbe Stunde später das schwerste Beben ereignete.

Ständige Nachbeben verunsichern die Bewohner in der Region zwischen Tirana, Durrës und Lezha. Viele getrauen sich nicht, in ihre Häuser zurückzukehren. Im Stadion von Durrës wurden wieder Zelte aufgebaut. Andere bereiteten sich ein Nachtquartier im Auto oder Freien zurecht. Den Albanern stand eine unruhige Nacht bevor.

Zudem ist in den vom Erdbeben am schwesten betroffenen Gebieten der Storm ausgefallen. Hilfswerke versorgen die Menschen mit Essen, Wasser, Decken und Hygieneartikel.

Die Regierung hat für die Qarqe Durrës und Tirana den Notstand ausgerufen. Die gesetzliche Grundlage hierfür fehlt aber: Ein Notstand ist nur für Unruhen oder Angriffe vorgesehen, die die verfassungsgebende Ordnung gefährden.

Hohe Erdbebengefahr

Da Albanien in einer tektonisch sehr aktiven Zone liegt, wo die Afrikanische Platte unter die Eurasische Platte geschoben wird, ist das Erdbebenrisiko im Land hoch. In der Vergangenheit ist es so immer wieder zu schweren Erdstössen gekommen, die ganze Städte zerstört und viele Menschenleben gefordert haben.

Das nächste grosse Erdbeben war aber nur eine Frage der Zeit. Dass es zweieinhalb Monate nach dem September-Erdbeben, dem stärksten seit Jahrzehnten, ein noch stärkeres geben würde, war doch überraschend.

JahrOrt schwerer Erdbeben
1153Butrint
1851Berat, Elbasan, Tirana, Vlora
1879Durrës
1905Shkodra – 6,6
1920Tepelena
1927Durrës
1930Himara
1931Korça
1962Mittelalbanien
1967Dibra, Librazhd – 6,7
1988Tirana
1979Ulqin (Montenegro) – 6,9

In Albanien gehört es schon fast zum Alltag, dass die Erde rüttelt. In den letzten Jahrzehnten waren die meisten Erdbeben eher sanft, weshalb die Albaner mit heftigen Ereignissen kaum vertraut sind. Weil es in den letzten Jahren erstaunlich lange ruhig war, haben die Menschen die Gefahr verdrängt.

Über die Erdbebengefahr haben wir schon im Jahr 2000 hier einen Artikel publiziert.

Die wenigen heftigen Erdstösse, die in den vergangenen Jahrzehnte verzeichnet wurden, haben sich meistens in ländlichen Gebieten ereignet. In den schwach besiedelten Regionen waren die Schäden meist nicht gross: einige Verletzte, einige eingestürtzte ältere Häuser.

Ein Beispiel ist das Erdbeben vom 1. Juni dieses Jahres mit 5,3 Punkten auf der Richterskala, das sich im abgeschiedenen Bergland westlich von Korça ereignete. Rund 60 Häuser wurden damals beschädigt.

Auffallend ist, dass Albanien nicht besonders gut vorbereitet war auf dieses schwere Ereignis. So gibt es im Land zum Beispiel keine Suchhunde. Die rund 1 Million Franken, die ein solches Tier kostet, konnte sich der albanische Staat bis heute nicht leisten, berichten Medien. Zum Glück konnten schnell Hundeteams aus Kosova nach Albanien gebracht werden, die auch erfolgreich Vermisste unter den Trümern bergen konnten.

(nlA)