Das wohl heftigste Erdbeben seit 30 Jahren hat am Samstag, 21. September 2019 Mittelalbanien erschüttert.
Das Beben am Samstagnachmittag um 16:04 Uhr erreichte 5,8 Punkte auf der Richterskala, ereignete sich in acht Kilometern Tiefe und hatte sein Epizentrum am nördlichen Stadtrand von Durrës.
Schäden halten sich in Grenzen
Das Erdbeben war in ganz Albanien zu spüren. Besonders betroffen war die Region in Mittelalbanien rund um Durrës und Tirana bis Elbasan im Süden. Die Menschen sind auf die Strasse gerannt und entfernten sich möglichst von Häusern, weil vielerorts Fassadenteile auf die Strasse fielen.
Rund 600 Häuser wurden beschädigt, in Hëlmes bei Kavaja sollen einige Gebäude eingestürzt sein. Mehr als 100 Menschen wurden in die Notaufnahmen eingeliefert – die meisten Verletzungen ereigneten sich aber eher indirekt: Viele verletzten sich bei der Flucht aus den vielstöckigen Gebäuden auf den Treppen.
Beim Felsen Shkëmbi i Kavajës zwischen Durrës-Plazh und Golem kam es zu Felsabbrüchen.
Die internationale Berichterstattung wurde dominiert von Bildern des Gebäudes der Fakultät für Geologie und Bergbau der Universität Tirana, wo Fahrzeuge von herabfallenden Gebäuddeteilen zerstört wurden. Das Gebäude am Rand des Grossen Parks wurde in den 1940er Jahren von den Italienern errichtet und hatte schon einige Beben überstanden.
Weitere Bilder zeigen Neubauten, die von vertikalen Rissen gespaltet wurden. Und dann sind da natürlich noch die vielen Bilder von heruntergefallenen Haushaltsgegenständen und von Waren, die in Läden aus den Gestellen gefallen sind.
Die Elektrizitäts- und Wasserversorgung fielen kurzzeitig aus. Das Telefonnetz brach aufgrund der vielen Personen, die sich nach dem Verbleib von Angehörigen erkundigen wollten, zusammen.
Nachbeben terrorisieren Bevölkerung
Auf das Erdbeben folgten Hunderte von Nachbeben, viele davon durchaus heftig. Das stärkste erreichte 5,3 Punkte auf der Richterskala. Auch am Sonntag-Abend gab es noch ein Nachbeben mit 4,5 Punkten.
Die Menschen im Grossraum Tirana-Durrës verbrachten deswegen unruhige Stunden und eine unruhige Nacht. Viele getrauten sich nicht, in ihren Häusern zu schlafen.
Für Personen, die nicht in ihre Häuser konnten, wurden in Durrës – zum Beispiel im Fussballstadion – vom Militär Zelte aufgestellt. Auch Nahrungsmittel und Medikamente wurden verteilt. In Tirana mussten Menschen davon abgehalten werden, in ihre Häuser zurückzukehren, nachdem sie von Bauinspektoren als einsturzgefährdet beurteilt wurden.
Schulen und Kindergärten bleiben am Montag geschlossen.
Unschön ist die Verbreitung von Fake News und anderen Unwahrheiten. Einzelne Medien kündigten den Zeitpunkt schwerer Nachbeben an. Eine Abgeordnete setzte die Erdbeben mit der Klimaerwähnung in Zusammenhang.
Hohe Erdbebengefahr
Da Albanien in einer tektonisch sehr aktiven Zone liegt, wo die Afrikanische Platte unter die Eurasische Platte geschoben wird, besteht ein hohes Erdbebenrisiko im Land. In der Vergangenheit ist es so immer wieder zu schweren Erdbeben gekommen, die ganze Städte zerstört und viele Menschenleben gefordert haben.
Jahr | Ort schwerer Erdbeben |
1153 | Butrint |
1851 | Berat, Elbasan, Tirana, Vlora |
1879 | Durrës |
1905 | Shkodra – 6,6 |
1920 | Tepelena |
1927 | Durrës |
1930 | Himara |
1931 | Korça |
1962 | Mittelalbanien |
1967 | Dibra, Librazhd – 6,7 |
1988 | Tirana |
1979 | Ulqin (Montenegro) – 6,9 |
Das nächste grosse Erdbeben war deshalb nur eine Frage der Zeit.
Über die Erdbebengefahr haben wir schon im Jahr 2000 hier einen Artikel publiziert.
In Albanien gehört es schon fast zum Alltag, dass die Erde rüttelt. In den letzten Jahrzehnten waren die meisten Erdbeben eher sanft, weshalb die Albaner mit heftigen Ereignissen weniger vertraut sind.
Die wenigen heftigen Erdstösse, die in den vergangenen Jahrzehnte verzeichnet wurden, haben sich meistens in ländlichen Gebieten ereignet. In den schwach besiedelten Regionen waren die Schäden meist nicht gross: einige Verletzte, einige eingestürtzte ältere Häuser.
Ein Beispiel ist das Erdbeben vom 1. Juni dieses Jahres mit 5,3 Punkten auf der Richterskala, das sich im abgeschiedenen Bergland westlich von Korça ereignete. Rund 60 Häuser wurden damals beschädigt.
Das Erdbeben vom Samstag war schwerwiegend, aber es drohen noch immer grössere Ereignisse, wie sie es in der Vergangenheit schon gegeben hat.
Glück gehabt
Insofern kann man durchaus sagen, dass Albanien nochmals Glück gehabt hat. Die Erdstösse waren nicht allzu heftig. Zum Glück sind keine Personen ernsthaft verletzt worden oder sogar verstorben, zum Glück sind keine grossen Häuser eingestürtzt. Viele Leute verbrachten den sonnigen Nachmittag im Freien.
Verteidigungsministerin Olta Xhaçka wird zitiert, dass zum Glück keine Ölquellen beschädigt worden seien. Auch sonst scheint die Infrastruktur – zum Beispiel Brücken oder Strassen – kaum beschädigt worden zu sein. Die vielen Dämme im Land hielten.
Angeischts der verbreiteten Korruption im Land war auch zu befürchten, dass bei vielen Neubauten bei der Erdbebensicherheit gespart worden ist. Aber anscheinend scheinen bei den meisten Häusern die Grundregeln des erdbebensicheren Bauens eingehalten worden zu sein.
(Redaktion, div)