Wahlen ohne Wahl

Am Wochenende fanden in Albanien Lokalwahlen statt – trotz Verschiebungsdekret des Präsidenten und Boykott der Opposition

Manch ein Albaner fand sich an kommunistische Zeiten erinnert: Es fanden zwar Wahlen statt, aber in vielen Gemeinden gab es nur einen Kandidaten, weshalb der Ausgang auch schon klar war. Entsprechend gering war die Wahlbeteiligung mit rund 20 %.

Boykottierter Urnengang

Die einzige positive Meldung zum gestrigen Tag ist, dass diese Wahlen mehrheitlich friedlich verlaufen sind, was angesichts der politischen Spannungen im Land eher erstaunlich ist.

Die Opposition – primär bestehend aus der Demokratischen Partei und der von Ilir Meta gegründeten »LSI« – boykottierte nämlich den Urnengang. Nach dem Rücktritt aus dem Parlament und monatelanger Proteste war dies der nächste Schritt, um Druck auf die Regierung von Edi Rama auszuüben.

Ohne Opposition gab es in 34 der 61 Gemeinden Albaniens nur einen Kandidaten, der zur Wahl stand. Und auch bei den Stadtparlamenten gab es keine grosse Auswahl – zumindest mussten wiederum die Hälfte der Kandidaten auf der Liste weiblich sein.

Der Aufruf der Parteileitung und der internationalen Beobachter hatte gewirkt: Die Anhänger der Opposition blieben mehrheitlich friedlich. An einigen Orten wurde laut protestiert, an gewissen Orten waren die üblichen Stimmlokale nicht zugänglich, da die lokalen Behörden den Zugang verwehrten, im Vorfeld wurden Stimmzettel verbrannt. Tausende von Polizisten waren aufgeboten.

In den oppositionellen Hochburgen ist kaum jemand wählen gegangen. Die Urnen blieben hier fast leer. Aber auch in anderen Gebieten war die Beteiligung gering.

Der Kampf ums Datum

Drei Wochen vor dem Wahltermin hatte Präsident Ilir Meta bekanntgegeben, dass wegen der andauernden Proteste im Land eine Wahl nicht möglich sei und diese auf später verschoben werde. Das passte natürlich den regierenden Sozialisten überhaupt nicht, die sich nicht erpressen lassen wollen, und Edi Rama beharrte auf den 30. Juni als Wahltermin.

Zwischen Edi Rama und Ilir Meta ist offener Streit ausgebrochen. In den Sozialen Medien beschimpfen sie sich gegenseitig oder unterstreichen ihre Positionen. Edi Ramas Wut auf Meta hat sich zwischenzeitlich so weit gesteigert, dass laut über die Einleitung des Absetzungsverfahrens nachgedacht wird.

Gemäss Verfassung ist es zwar Aufgabe des Staatspräsidenten, den Wahltermin festzulegen. Bezüglich einer Verschiebung schweigt sie sich aber aus. Dafür steht, dass Wahlen alle vier Jahre stattzufinden haben. Das juristische Dilemma konnte nicht vom Verfassungsgericht geklärt werden, da dieses seit 2018 nicht mehr beschlussfähig ist, weil kaum ein Richter die Korruptionsüberprüfung bestanden hat.

Das sozialistisch dominierte Parlament bestätigte den Wahltermin, die Zentrale Wahlkommission und die Regierung hielten am 30. Juni fest. Ein paar Tage vor dem Wahlsonntag erliess der Präsident ein neues Dekret, in dem die Wahlen auf Oktober verschoben würden.

Für die Opposition war Metas Verschiebungsdekret natürlich Grund genug, nicht an der Wahl teilzunehmen. Mehrere amtierende Bürgermeister der Demokratischen Partei und der LSI erklärten auch, ihre neugewählten Nachfolger nicht anzuerkennen und den Sessel nicht räumen zu wollen.

Auswegslose Situation

Die albanische Politik steckt in der grössten Krise seit Langem. Niemand sieht einen Weg aus der aktuellen Situation heraus. Die Opposition versucht, am Rechtsstaat vorbei einen Regierungswechsel herbeizuführen, die demokratisch gewählte Regierung will sich nicht erpressen lassen.

Der Schlamassel, in dem die Oppositionsparteien stecken, ist gross. Seit dem Rücktritt aus dem Parlament haben sie sich in eine Sackgasse manövriert: Der Politik der Sozialisten haben sie nichts entgegenzusetzen ausser Proteste auf der Strasse. Deren Erfolg ist aber bescheiden: Wenn es nicht gerade zu Gewalt-Exzessen kommt, interessiert sich kaum jemand dafür. Und das Ausland hat klar signalisiert, dass es den Weg der Opposition nicht unterstützt.

Bei Ilir Meta stellt sich doch die Frage, inwiefern er im Interesse der Allgemeinheit handelte oder ob es ihm nicht eher darum ging, die von ihm gegründete und bis zur Wahl ins Präsidentenamt geleitete Partei »LSI« aus dem Schlamassel zu retten.

In ihrer auswegslosen Situation hatte die Opposition nur noch eine Möglichkeit. Sie haben die Lokalwahlen als Geissel genommen. Aber auch so konnten sie Edi Rama nicht zu einem Einlenken bewegen.

Ohne Opposition wird der Ministerpräsident immer mehr zum Alleinherrscher, der schalten und walten kann, wie er will.

Die Rückkehr zur Normalität, das Finden einer Einigung ist schwieriger denn je. Vermittler sind auch noch nicht aufgetaucht: Die bröckelnden EU-Perspektiven und die schwächelnde aussenpolitische Strahlkraft der EU und Deutschlands, das Fehlen eines mächtigen amerikanischen Botschafters in Tirana – alles trägt zur aktuellen verfahrenen Situation bei. Oppositionsführer Lulzim Basha ist aber sowieso nicht bereit für einen Kompromiss.

»Das grösste Übel in Albanien ist die starke Polarisierung. Es herrscht ein starkes Schwarz-Weiss-Denken, der Gegner ist stets abgrundtief schlecht, ein Verbrecher oder zutiefst korrupt. Zudem gibt es eine schwach entwickelte Kompromisskultur.«

Südosteuropa-Spezialist Norbert Mappes-Niediek im Interview mit SRF

Wahlen ohne Wähler

Die Politikverdrossenheit der Albaner wird unter diesen Umständen immer grösser. Sie beklagen sich nur über die versperrten Strassen, wenn mal wieder protestiert wird, und die korrupten Politiker, die nur an sich selber denken.

Die Wahlbeteiligung ist beschämend tief – hieraus werden die lokalen Behörden in den nächsten Jahren kaum eine Legitimation ziehen können. Umso mehr ist gute Leistung gefragt. Ob Rama, seine Minister und die Bürgermeister diese erbringen werden, ist offen.

Es droht eine weitere Spaltung des Landes in »funktionierende« Bürgermeisterämter und »nicht-funktionierende« Gemeinden in den Hochburgen der Opposition. Für das Land ist das nicht gut.Zu hoffen bleibt, dass für die kommenden Herausforderungen zumindest auf lokaler Ebene Wege gefunden werden, aus dieser verworrenen Situation herauszufinden.