Demonstranten setzen Regierung unter Druck

Albaniens Politkrise – hochgekocht oder ein fundamentales Dilemma?

In Tirana und vielen anderen albanischen Städten gehen Studenten auf die Strasse – und auch andere Proteste setzen die regierenden Sozialisten unter Druck

2018 ist in Albanien das Jahr der Demonstrationen. Nicht die gewohnten politischen Proteste, mit denen die Opposition versucht, das politische System zu blockieren. Sondern Proteste von wirklich aufgebrachten Bürgern. Im März protestierten Bürger aus Kukës – gewaltsam und erfolgreich – gegen eine neue Strassenmaut.

Zehntausende Studenten auf der Strasse

Protestierende Studenten heute auf dem Hauptboulevard

Diesen Dezember protestieren Studenten – heute bereits den neunten Tag in Folge und teilweise unterstützt von Schülern der Mittelschulen. Ein neuer Beschluss der Regierung, mit dem Gebühren für Wiederholungsprüfungen eingeführt wurden, hat die Studenten in Tirana und in vielen anderen Städten auf die Strasse getrieben. Es ist aber nicht wirklich diese einzelne Gebührenerhöhung, sondern der Zustand des ganzen Systems, der den Zorn der Demonstranten weckt.

Die Demonstranten stören sich an einer immer stärkeren Kapitalisierung des Bildungswesens. Der Staat finanziere private Universitäten von Parteifreunden des Ministerpräsidenten, anstatt Geld in die öffentlichen Institute zu stecken. Sie fordern, dass jeder Zugang zu einer ordentlichen und bezahlbaren Bildung haben solle. Von den erhöhten Gebühren würden nicht die Universitäten profitieren, sondern korrupte Politiker und Funktionäre. Gerade die Universität Tirana hat mitunter sehr schlechte Bewertungen erhalten.

Weitere Forderungen sind eine Reduktion der Studiengebühren, Investitionen in die Unterrichtsräume und die Studentenheime und eine Vertretung der Studenten in den Leitungsgremien der Universitäten. Mit der Zeit kamen noch mehr Forderungen hinzu, wie die Ausstellung von Studentenkarten, eine Erhöhung der Ausgaben für das Bildungswesen und mehr finazielle Mittel für Forschung und universitäre Aktivitäten.

Rama lenkt ein

Protestierende Studenten heute vor dem Ministerratssitz

Nach ein paar Tagen Totschweigen und Ignorieren lenkte die Regierung gegenüber den Studenten ein: Der Beschluss über die Zusatzgebühr für Wiederholungsprüfungen wurde rückgängig gemacht. Das stellt die demonstrierenden Studenten aber nicht zufrieden. Sie fordern die bedingungslose Annahme aller ihrer Forderungen. Die Regierung spielt auf Zeit und möchte verhandeln.

Wer länger durchhalten wird, ist noch offen. Die Studenten zeigen Durchhaltewillen und Einigkeit und erhalten viel Verständnis aus der Bevölkerung. Aber zu viel Einlenken macht die Regierung verletzlich gegenüber anderen Forderungen.

… und Proteste gegen Strassenbau

Bagger am Platz »Zogu i Zi« – November 2018

Zu Strassenblokaden führen aber nicht nur die Protestumzüge der Studeten. Auch am westlichen Stadtrand von Tirana blokieren aufgebrachte Bürger seit Wochen immer wieder Strassen. Sie wehren sich gegen Enteignungen: Ihre Häuser sollen breiteren und neuen Verkehrsachsen Platz machen.

Mit neuen Brücken und Unterführungen und breiteren Strassen am »äusseren Ring« versucht die Stadt Tirana dem immer grösser werdenden Verkehrschaos Herr zu werden. Das Monument des schwarzen Adlers am Eingang in die Stadt musste schon weichen, weil bald eine Brücke den Verkehr über den Kreisel führen soll.

Dieser Protest der Anwohner ist für viele lästig, die jetzt noch mehr im Stau stecken, und erfährt wenig Unterstützung in der Bevölkerung. Deswegen werden sich die Bagger und Bulldozer bald durchgesetzt haben und die Protestierenden irgendwann den neuen, breiten Strassen weichen müssen.

Ramas Stern am Sinken

Die Kritik gegen den Ministerpräsidenten in der Bevölkerung wird immer lauter, die Unzufriedenheit grösser. Edi Rama dürfte durchaus beunruhigt sein – schon einmal haben die Studenten Tiranas bewiesen, dass sie ein System stürzen können, wenn sie zusammenhalten. Die Forderungen sind zum Teil die gleichen wie vor 28 Jahren. Auch dieses Mal zeigen die Studenten Einigkeit und Entschlossenheit.

Die Regierung der Sozialisten bewegt zwar viel in Albanien – aber den meisten Albanern geht es nicht schnell genug. Die Zustimmung zu Edi Rama ist nicht mehr so gross wie im Sommer des letzten Jahres, als er einen deutlichen Wahlerfolg feiern konnte. Viele Albaner nehmen Rama als immer autokratischer wahr, als wenig offen für Kritik und als korrupten Politiker, der seinen politischen Freunden attraktive Geschächte und Staatsaufträge zuspielt.

Mit originellen Sprüchen gegen die Politiker

Der Studentenprotest ist bis jetzt friedlich geblieben. Unterstrichen werden die Forderungen der Demonstranten von vielen handgeschriebenen Plakaten, mit denen die Demonstranten ihrem Unmut Ausdruck geben. Auf dem Untenstehenden erklärt eine Studentin: »Wir sind nicht arm, wir werden bestohlen.«

 

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#mestudentet #studentëtpërstudentët

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Disa nga pankartat me te bukura nga levizja qe na ka dritheruar te gjitheve. #mestudentet

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Bilder von den Demonstrationen

(Lars Haefner)

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One comment on “Demonstranten setzen Regierung unter Druck
  1. Heute hat Edi Rama eine größere Umbildung des Kabinetts angekündigt. Auch die Bildungsministerin Lindita Nikolla muss gehen, so wie alle Minister, die schon lange im Amt sind. Ob es ihm damit gelingt, dem Druck der Studenten auf die Regierung und das Sinken seiner Popularität zu stoppen?

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