Die Sozialisten erringen bei den Parlamentswahlen 74 Mandate und die absolute Mehrheit im neuen Parlament
Die Wahlen vom Sonntag wurden zum grossen Erfolg für Ministerpräsident Edi Rama und die Sozialistische Partei. Im neuen Parlament werden sie 74 Sitze einnehmen und so über die absolute Mehrheit verfügen. Für die Demokratische Partei bedeutete der Wahlgang aber eine bittere Niederlage – sie verlieren sieben Mandate. Die LSI kommt neu auf 19 Sitze (+3). Für kleine Parteien ist es nicht einfacher geworden. Drei Kleinparteien sind nicht mehr im Parlament vertreten, darunter die Republikaner (–3) und die Griechen-Partei PBDNJ (–1). Die Çamen-Partei PDIU hat nur noch drei Sitze (–1). Andererseits konnten die Sozialdemokraten in Shkodra ein Mandat gewinnen und sind wieder im Parlament vertreten.
Geringe Wahlbeteiligung
In Albanien zeichnet sich immer mehr eine Politikmüdigkeit ab. Nur 46,72 % der Stimmberechtigten sind an die Urne gegangen. Dies wurde wiederholt mit dem Ende des Ramadan begründet, das am Sonntag gefeiert wurde – andererseits hatten im Gegensatz zu katholischen Gebieten wie Shkodra und Lezha muslimische Kerngebiete wie Kukës, Dibra und Elbasan die höchste Stimmbeteiligung. Im Süden waren die Wählerzahlen besonders tief, am meisten Wähler blieben in Vlora den Urnen fern – vielleicht lag es wirklich am heissen Wetter, vielleicht sind weniger Personen als sonst aus dem Ausland für die Wahl heimgekehrt. Aber primär ist die Ursache für die tiefe Wahlbeteiligung wohl im Verdruss der Bevölkerung zu suchen: Die Albaner nerven sich über die korrupten Politiker und die zu langsamen Veränderungen und haben den Glauben verloren, dass sich die Situation verbessern könnte.
Regieren ohne Koalitionspartner
Es war das erklärte Ziel der Sozialisten ohne Koalitionspartner regieren zu können. Dies wird jetzt möglich sein – auch wenn die Mehrheit mit 74 Sitzen recht knapp ist. Edi Rama ist jetzt am timon, dem Steuer (siehe Wahl-Lexikon). Das heißt, dass er jetzt auch die alleinige Verantwortung zu tragen hat, Möglichkeiten für Ausflüchte gibt es nicht mehr.
Dabei hatte er schon zuvor viel Kritik einstecken müssen: Zu wenig gegen Korruption oder Drogenanbau sei passiert. Andererseits scheint doch anerkannt worden zu sein, dass in den letzten Jahren viel in Strukturen und ordentliche Staatsführung investiert worden ist. Unter den möglichen Optionen scheint Ramas Truppe doch für viele die vielversprechendste Wahl gewesen zu sein. Es ist aber zu bedenken, dass die Mehrheit der Sozialisten auf weniger als einem Viertel der möglichen Wählerstimmen beruht. Einfach wird es für Rama auch mit einer absolluten Mehrheit nicht – die Strasse bleibt holprig und kurvenreich, auch wenn jetzt nur noch einer am Steuer sitzen wird.
Die LSI hat zwar an Stimmen zugelegt. Erstmals seit vielen Jahren ist die Partei jetzt aber in der Opposition. Wie sie mit dieser neuen Rolle umgehen kann, wird sich zeigen müssen. Ob es ihr gelingt, auch ohne Ilir Meta, der neu im Präsidentenamt sitzen wird, ohne Regierungskompetenz und ohne die Möglichkeit, Staatsstellen zu vergeben, ihre Wähler bei Laune zu halten, ist unklar.
Lulzim Basha unter Beschuss
Die Demokraten mussten eine erneute Wahlschlappe hinnehmen, weshalb Lulzim Basha heftig kritisiert wurde. Die Strategie des Parteivorsitzenden ist nicht aufgegangen. Zu lange waren er und seine Partei mit ihrem Protest beschäftigt und haben es unterlassen, sich – zumindest im Hintergrund – auf den Wahlkampf vorzubereiten. Weder die Protesthaltung noch Basha, dem eine begeisterungsfähige Persönlichkeit fehlt, konnten die Massen überzeugen. Und die Zeit zwischen Protestende und Wahltag war für die schlecht organisierten Demokraten allzu kurz.
Wegen des Kompromisses, den Basha mit Rama eingegangen war, kann die PD auch niemandem die Schuld für den Misserfolg zuschieben. Rama hingegen scheint alles richtig gemacht und von den Zugeständnissen nur profitiert zu haben: Das Verfahren wurde zusätzlich legitimiert, er konnte sich kompromissfähig zeigen und die kleinen Parteien wurden weiter zurückgedrängt.
Die PD wird kaum ohne Führungswechsel aus der misslichen Lage kommen. Ende Juli wird die Partei über die künftige Parteileitung entscheiden. Klar ist aber schon jetzt, dass der Generationenwechsel nach dem Abgang von Sali Berisha nicht geklappt hat. Zu sehr war die Partei auf den früheren Vorsitzenden fokussiert gewesen, der es verpasst hatte, einen überzeugenden Nachvollger aufzubauen. Und auch heute fehlt es an Alternativen zu Basha, weshalb der Neustart für die Demokraten herausfordernd werden dürfte.
Unaufgeregter Wahlverlauf
Im Vergleich zu den früheren Urnengängen war der Wahlverlauf dieses Jahr sehr ruhig. Die internationalen Beobachter zeigten sich zufrieden mit dem einigermassen geregelten Verlauf, forderten aber weitere Reformen: Die Wahlkommissionen sind noch immer zu fest mit der Politik verbunden und auch sonst sei der Prozess nicht immer transparent.
Unschön ist auch die Vereinbarung zwischen Rama und Basha von Ende Mai. Es war zwar wichtig, dass die Demokraten ihren Boykott beendeten. Wichtige Entscheide für das ganze Wahlprozedere sollten aber nicht im Hinterzimmer vereinbart werden, sondern müssen öffentlich im Parlament diskutiert werden. Die Vereinbarung war klar zu Lasten der kleineren Parteien gegangen.
Die ruhigen Wahlen zeugen zwar von Stabilität. Die demokratischen Werte bleiben aber – auch mit Rückendeckung der ausländischen Vermittler – noch in manchen Belangen eingeschränkt. Dass jedes Mal vor Urnengängen die Wahlgesetze noch kurzfristig angepasst werden, zeigt, dass das System noch nicht ausgereift und das Wahlverfahren nicht frei von politischer Einflussnahme ist. Kein Wunder, dass unter diesen Umständen ein Grossteil der Bevölkerung darauf verzichtet hat, an den Wahlen teilzunehmen.
Lars Haefner
Ich meine eine sehr treffende Analyse – sage ich als in Albanien lebender Ausländer wie auch OSZE-Beobachter der diesjährigen Wahlen. Gute Arbeit albanien.ch, danke!
Danke für die netten Worte