Eine Hilfestellung für Aussenstehende zum albanischen Wahlkampf
Von Vincent W.J. van Gerven Oei, Tirana
Übersetzung eines zuerst auf exit.al publizierten Artikels
Der albanische Wahlkampf mit all seinen Metaphern, Beleidigungen und obskuren kulturellen und kulinarischen Verweisen ist für Aussenseiter oft nur schwer zu verfolgen. Die immer verschnörkeltere Sprache, auf die die Parteiführer zurückgreifen, um ihre sinnfreien »Programme« und das Fehlen klarer ideologischer Inhalte zu kaschieren, schuf einen blühenden, undurchschaubaren Wortschatz, dessen Figurenbilder sich selbst überschlagen.
Ein anschauliches Beispiel für eine solche metaphorische Dichte ist eine Aussage, die Petrit Vasili, Vorsitzender der LSI, kürzlich machte. [Alle Personen und Parteien (Abkürzungen) werden am Seitenende erläutert.]
Heute ist ein grosser Tag, an dem wir mit unserem Plan den Plan des Kuchenblechs [tepsi] und des Steuerrads [timon] vertreiben werden, um eine Republik der Jugend aufzubauen und nicht die Neue Republik [Republik e Re].
Im Folgenden versuche ich einige der wichtigsten Begriffe zu erläutern, in alphabetischer Rheinfolge:
- Ebola
Buchstäbliche Bedeutung: Ebola.
Ein Begriff, der vom künftigen Präsidenten und LSI-Führer Ilir Meta, eingeführt worden ist. Er erklärte, dass er nicht wolle, dass Albanien länger rrotë më rrotë (in etwa »Kopf an Kopf«, siehe timon) mit Sierra Leone sei, und dass die Rilindja Albaniens wie Ebola sei. Es handelt sich um eine recht neue Metapher, und es wird sich zeigen, ob noch mehr medizinisches Vokabular die Reden der Politiker infizieren wird. - Lali Eri
Buchstäbliche Bedeutung: Bub Eri.
Lali bedeutet im lokalen Dialekt von Tirana »Junge«, »Bursche«, »Kerl« – Eri ist die Kurzform von Erion. Ein verunglimpfender Spitzname für den Bürgermeister von Tirana, Erion Veliaj, der von ihm selber und Ministerpräsident Edi Rama in der Öffentlichkeit verwendet wird. Damit soll seine Bodenständigkeit und sein geselliger Charakter hervorgehoben werden – aber zusammen mit den vielen Bildern, die Veliaj gerne mit jungen Kindern machen lässt, wird es ein wenig gruselig. Veliaj wird auch Fiku genannt, ein Verweis auf seine selbsterklärte »Geschichte bescheidener Herkunft« als Feigenverkäufer auf den Strassen Tiranas. - Peng
Buchstäbliche Bedeutung: Geisel.
Ministerpräsident Rama hat behauptet, dass er und seine Regierung während vier Jahren von të voglat als peng gehalten worden sei. Sein Wunsch, nicht mehr länger als peng gehalten zu werden, ist vergleichbar zu seinem ähnlichen Wunsch, den einzigen Fahrer am timon zu sein. - Republika e Re
Buchstäbliche Bedeutung: Die neue Republik.
Geprägt von Lulzim Basha in den letzten Wochen seines oppositionellen Protests vor dem Ministerpräsidentenamt, nachdem der Schriftsteller Fatos Lubonja sich für eine Republika e Dytë (Zweite Republik) ausgesprochen hatte. Basha verkündete die Republika e Re gegen Rama während einer Wahlkampfveranstaltung am 14. Mai – vier Tage vor seiner Vereinbarung mit Rama. Es ist zwar seither unklar geblieben, was genau Republika e Re bedeutet, aber die Forderung beinhaltet klar, dass Basha am timon sitzt. - Rilindja
Buchstäbliche Bedeutung: Wiedergeburt.
Rilindja war das Wahlkampfmotto der PS bei den Wahlen von 2013. Es wird immer noch als Bezeichnung für die PS verwendet, oft sarkastisch. Die Rilindja hat auch Bashas Republika e Re beeinflusst – und Vasilis Republika e të rinjve (Republik der Jugend), die alle das Element ri/re (»neu«) enthalten. - Shpk
Buchstäbliche Bedeutung: GmbH.
Shpk ist eine Abkürzung, die hinter den Namen albanischer Firmen mit beschränkter Haftung gesetzt wird. Der Begriff wird sowohl von Ministerpräsident Rama als auch von Lulzim Basha verwendet, um auf die LSI von Ilir Meta, dem früheren Parteiführer und künftigen Staatspräsidenten, zu verweisen. Shpk spielt auf die klientelistische Art und Weise an, nach der die LSI angeblicherweise organisiert ist – wie ein Familienbetrieb, der für seine Mitglieder und Wähler Arbeit innerhalb der öffentlichen Verwaltung schafft. - Tepsi
Buchstäbliche Bedeutung: Kuchenbleck.
Ein tepsi ist ein metallenes Blech, in dem Byrek serviert wird. Ein tepsi enthält mehrere Portionen Byrek. Der Begriff wurde zuerst von Ministerpräsident Edi Rama geprägt, wurde aber bereits von Lulzim Basha übernommen. Tepsi ist eine Metapher für den Staatsapperat, zu dem, frisch aus dem Ofen der Wahlen, alle Parteien rennen, um ihren Anteil zu kriegen: ein Ministerium, eine Verwaltungsabteilung oder eine andere Institution.
Ministerpräsident Edi Rama behauptet, dass të voglat sich nur um das tepsi kümmern (also Vetternwirtschaft und Klientelismus) und nicht um die eigentliche Staatsführung. Rama reklamiert das ganze tepsi für die PS, damit er Albanien voranbringen kann.
Der Begriff liess eine Menge verwandter Metaphern entstehen, darunter tezgë. Eine kürzlich von Ilir Meta gemachte Aussage dient als Beispiel: »Die Demokraten wollen keinen Führer mit nur einem Magen.« In der aktuellen politischen Auseinandersetzung wimmelt es von solchen Bezügen auf Appetit, Essen, Hunger und dergleichen. - Të voglat
Buchstäbliche Bedeutung: Die Kleinen.
Eine weitere Erfindung von Ministerpräsident Edi Rama, um auf die »kleinen Parteien« zu verweisen, zu denen seine aktuellen Koalitionspartner LSI (siehe auch shpk) und PDIU (siehe auch tezgë), die neuen Parteien LIBRA und NISMA sowie weitere Kleinstparteien wie PSD und PR gehören. Të voglat sind nur daran interessiert, den tepsi aufzuteilen. - Tezgë
Buchstäbliche Bedeutung: Ladentisch, auf dem Brot oder der tepsi mit Byrek angeboten wird, oder Holzgestell der Marktfahrer, auf dem sie ihre Waren aufbauen.
Oppositionsführer Lulzim Basha erweiterte Ramas Metapher des tepsi zu tezgë, um auf die PDIU anzuspielen. Die PDIU wäre somit eine Partei, auf der der Byrek des Staats serviert wird. Es wird unterstellt, dass die Partei sowohl die Linken als auch die Rechten bedient, solange es der Macht dient. 2013 hat die PDIU zusammen mit der PD den Wahlkampf bestritten, aber 2015 wechselte sie auf die Seite der PS-LSI-Regierung. - Timon
Buchstäbliche Bedeutung: Steuerrad.
Eine weitere Schöpfung von Ministerpräsident Rama, der die Wähler eindringlich bittet, der PS das timon der Regierung zu geben. Wenn man die Metapher erweitert, wird klar: ein Wagen mit zwei Fahrern am timon (also eine Koalition) muss unweigerlich verunfallen. Die Metapher wurde von anderen Politikern übernommen, die Ramas Fahrkünste in Frage stellen. Es sind daraus auch weitere Metaphern zu Strassen, Fahrern und Fahrstilen entstanden, die in die Kampagnensprache einflossen.
Hintergründe, Personen und Abkürzungen
Die letzten Wahlen fanden im Juni 2013 statt. Edi Rama und Lulzim Basha haben vereinbart, die kommenden Parlamentswahlen in Albanien auf den 25. Juni zu verschieben, was einen 90-tägigen Boykott der Opposition beendete.
Regierung seit 2013
- Sozialistische Partei (PS), Ministerpräsident Edi Rama
- Sozialistische Bewegung für Integration (LSI), gegründet und bis vor Kurzem geleitet von Ilir Meta, der im April zum neuen Staatspräsidenten gewählt wurde; seither ist Petrit Vasili Vorsitzender
- Partei für Gerechtigkeit, Integration und Einheit (PDIU), Partei der Çamen, der aus Griechenland vertriebenen Albaner
- weitere einzelne Abgeordnete und Kleinstparteien wie PSD (Sozialdemokratische Partei)
Opposition seit 2013
- Demokratische Partei (PD), Parteiführer Lulzim Basha
- Republikanische Partei (PR)
- weitere Kleinstparteien
Tirana
- Bürgermeister seit 2015: Erion Veliaj (PS), früher Minister, jetzt einer der einflussreichsten Politiker Albaniens
- Bürgermeister bis 2015: Lulzim Basha (PD)
Dr. Vincent W.J. van Gerven Oei (1983) ist ein Philologe, der sich mit Komposition, Sprachwissenschaften, Konzeptkunst und Philosophie beschäftigte. Er veröffentlichte unter anderem einen Katalog über die sozialistischen Denkmäler (»Lapidare«) in drei Bänden. Er leitet das Projektbüro für Kunst und Geisteswissenschaften von »The Department of Eagles« und den mehrsprachigen Verlag »Uitgeverij«. Van Gerven Oei lebt und arbeitet in Tirana, Albanien. Er schreibt regelmässig Artikel über die albanische Politik für exit.al.© des Text bei exit.al/Vincent W.J. van Gerven Oei.
Danke Albanien.ch: Der Artikel war eine Übersetzung wert! Realsatire aus einem Land wo oftmals nur noch Humor weiterhilft…