Gesucht wird ein Land, das die syrischen Chemiewaffen vernichten könnte. Albanien habe ja Erfahrung damit, meinen die USA.
Die neue albanische Regierung, erst etwas mehr als zwei Monate im Amt, sieht sich schon mit heftigen Bürgerprotesten konfrontiert. Hunderte protestierten vor dem Amt des Ministerpräsidenten und erinnerten die Regierung an ihr Wahlversprechen: Kein Müll nach Albanien.
Langer Streit um Abfallimporte
Der frühere Ministerpräsident Sali Berisha wollte sich immer wieder bei den italienischen Nachbarn beliebt machen, indem er Vorschläge zur Lösung italienischer Probleme unterbreitete. Mit albanischen Atomkraftwerken wollte er die Stromknappheit im Nachbarland minimieren, obwohl Albanien selbst oft genug unter Stromausfällen litt. Und auf albanischen Deponien wollte er italienischen Müll entsorgen, obwohl Albanien nicht fähig ist, die eigene Abfallentsorgung in Griff zu kriegen. Umweltaktivisten und die Opposition protestierten damals.
Wohin mit den syrischen Chemiewaffen?
Jetzt wollen die Amerikaner in Albanien Abfälle entsorgen und haben die neue Regierung angefragt, ob sie nicht die 1290 Tonnen syrische Chemiewaffen entsorgen könnten, für die sie verzweifelt einen Abnehmer suchen. Alle anderen angefragten Staaten haben bis jetzt ablehnend reagiert. Und auch in Albanien formiert sich auf der Strasse Widerstand gegen das Vorhaben. Die Protestierenden haben Angst, vergiftet zu werden, und sehen ihr Land lieber als eine Tourismusdestination denn als Destinatär von chemischen Kampfstoffen. Auch auf Avaaz werden schon Unterschriften gegen diesen Plan gesammelt, weil es dem instabilen Albanien an Möglichkeiten fehle, solchen Müll zu lagern.
Erfahrene Entsorger
Albanien gilt zwar nicht als führende Nation in der Entsorgung von Kampfstoffen. Doch trotz fehlender Expertise hat das Land Erfahrung damit. 16 Tonnen Chemikalien aus Beständen der kommunistischen Armee wurden im Jahr 2001 in Albanien entsorgt, womit das Land chemiewaffenfrei wurde. Das Know-how hierfür kam aus der Schweiz – das Labor Spiez des VBS leitete die Operation im Auftrag der NATO. Diese verhältnismässig kleine Menge kann somit auch nicht viel mehr sein als ein Anknüpfungspunkt, um die syrischen Chemiewaffen nach Albanien bringen zu wollen.
Gibt Amerika den Ton an?
Gesucht wird für die Entsorgung ein Land mit stabilen politischen Verhältnissen, vermutlich auch möglichst neutral und nicht allzu weit entfernt von Syrien. Die Türkei, Jordanien und Norwegen beeilten sich, die Anfrage abzuschlagen. Auch Schweden und Belgien hatten Ausreden parat. Den Albanern scheint es schwieriger zu fallen, den Amerikanern eine Absage zu erteilen. Denn die USA sind nicht nur enge Verbündete, grosses Vorbild und eine Art moralische Instanz, sondern bestimmen eigentlich schon lange, was in Tirana geschieht. Immer, wenn die albanischen Politiker wieder verstritten waren und von alleine keinen Ausweg mehr fanden, waren es die Amerikaner, die vermittelten und den Streithähnen die Leviten lasen.
Enge Verbündete
Es wäre auch nicht das erste Mal, dass Tirana der Übermacht aus Amerika aus der Patsche helfen würde: 2006 nahm Albanien lange vor anderen Ländern wie der Schweiz fünf uigurische Männer auf, die zuvor unschuldig in Guantanamo festgehalten worden waren. Denn Albanien fühlt sich den USA immer noch zu Dank verpflichtet – die Amerikaner hatten den Krieg gegen Milosevic angeführt und die unterdrückten Albaner in Kosova befreit.
Albanische Probleme bei der Entsorgung von Waffen
Ob Albanien dieser Aufgabe wirklich gewachsen ist, darf durchaus bezweifelt werden. Müll, der ganze Landschaftsstriche verschandelt, zeugt davon, dass das Land die eigene Abfallentsorgung nicht im Griff hat. Auch bei der Vernichtung von Waffen – es gibt noch immer grosse Bestände aus kommunistischen Zeiten – gab es eine Reihe schwerwiegender Unfälle. 2006 gab es bei einer Explosion in einem Waffenlager nördlich von Tepelena einen Toten. 2009 ist eine Arbeiterin im Rahmen von Entsorgungsarbeiten bei einer Munitionsexplosion in Poliçan ums Leben gekommen. Besonders tragisch war die Explosionskatastrophe von Gërdec, als im März 2008 26 Menschen starben und über 300 Verletzte und 2300 beschädigte und zerstörte Gebäude zu beklagen waren. Auch dieses Unglück war die Folge unsachgemässer Entsorgung von Munition.
Win-Win-Situation für alle gesucht
Ob die Albaner noch immer in der amerikanischen Schuld stehen und die Regierung sich gegen den Willen des Volkes für die Entsorgung der Kampfstoffe entscheidet, steht noch in den Sternen. Eine grosszügige finanzielle Entschädigung, die der gebeutelten Staatskasse des armen Balkanlandes sicherlich zugute käme, könnte hier ins Gewicht fallen. Zudem würde das kleine Land – noch immer Empfänger ausländischer Hilfe – sich wohl durch das Entgegenkommen auf dem internationalen Parket Achtung verschaffen. Muss also Ministerpräsident Edi Rama nur noch einen Weg finden, wie er dies seinem Volk als grossen Gewinn verkaufen kann, der auch das Brechen von Wahlversprechen rechtfertigt.
nlA