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Auf der Suche nach Orikum Johannes Heretsch berichtet von seiner letzten, sehr aufregenden Alba-nienreise im Auftrag der AG Albanien des »Eine-Welt-Haus Halle e.V.« Immer ist irgendwas dazwischen gekommen. Dieses Mal, auf meiner 14. Albanienreise wollten wir es wissen und finden. Die antike Stadt Orikum war selbst auf unserer in Deutschland gedruckten, relativ exakten Straßenkarte von Albanien eingezeichnet. 20 Kilometer südlich von Vlora zwischen der Bucht von Vlora und der Halbinsel Karaburunit, da muß sie laut Karte und Auskunft von Ortskundigen liegen. Wir sind zu zweit unterwegs, Christian Sieblist zum ersten Mal im Land der Shqipetaren. Nach einer eher abenteuerlich-aufreibenden Anreise von Thessaloniki in Griechenland mit Bus und Taxi, zu Fuß und auf LKW-Pritschen an die albanische Grenze, machten wir uns auf den Weg zum eigentlichen Ziel der Reise, dem Ort Dhërmi an der ionischen Küste. Ein Funktelefon und Blutdruckmeßgeräte wollten wir dem dortigen Bürgermeister und den Einwohnern übergeben. Aber jetzt interessierte uns erst einmal Orikum. Als wir am 5. Oktober früh morgens in Vlora ankamen, fanden wir einen freundlichen Familienvater, der uns in einem mittelhäßlichen, kleinen Betonblock-Ort absetzte. »Orikum« war der Name. Die Einheimischen bejahten unsere Frage nach der antiken Siedlung und wiesen uns augenzwinkernd in Richtung Halbinsel. Nach etwa anderthalb Kilometern Fußmarsch entlang des Ufers (es war immerhin noch 28° warm), wurden wir von uns überholenden Uniformierten freundlich darauf hingewiesen, daß wir am Ende der Uferlinie nicht weiterkämen: »Militärisches Sperrgebiet, Marine!« Das wollten wir erst einmal sehen, jetzt wo wir uns dem Ziel so nahe wähnten. Unsere Hartnäckigkeit sollte recht behalten. Plötzlich tauchte ein klapperndes Bus-Ungetüm chinesischer Bauart auf. Auf unser Winken hielt man prompt an. Aus dem glaslosen Fensterrahmen drängten sich neugierig-dreinblickende, kurzgeschorene Soldaten- und Offiziersköpfe. Nach unserem Begehr um Mitfahrt gab es wilde Gestikulationen und erheitertes Gelächter. Eine Minute später fanden wir uns und unser Gepäck auf hölzernen Munitionskisten inmitten des Busses wieder. Erstaunt wurden wir sogleich gefragt, was wir gerade hier suchten. Eine zerknitterte Visitenkarte unserer Arbeitsgruppe und die geäußerte Gewißheit, sich in unmittelbarer Nähe eines der bedeutendsten Kulturdenkmäler Albaniens zu befinden, ließ auf albanischer Seite blitzschnell alle Sicherheitsbedenken militärischer Geheimnisse verschwinden. So ins Gespräch gekommen, waren wir, schneller als erwartet, mitten im Marinestützpunkt angelangt. Nun wiederholten wir unser Anliegen noch einmal mit überzeugter Mimik und Gestik vor dem persönlich erschienen Befehlshaber. Wir fühlten uns hier wie in ein Strafbataillon zur Zeit des Ersten Weltkrieges versetzt. Baufällige Gebäude, ausgemergelte Gesichter, schrottreife Fahrzeuge. Im Hafen lagen einige traurig rostende U-Boote russischer Bauart. Nun erfuhr unsere Hoffnung einen starken Dämpfer: Orikum sei vor Hunderten von Jahren schon im Sumpf versunken. Aber als Trost erlaubte man uns, die Shkëmbi Gramateve (Höhle der Buchstaben) zu besichtigen, die am äußersten Zipfel der etwa 35 Kilometer langen Halbinsel, auf der wir uns jetzt befanden, liegen soll. Shkëmbi ist eine ganz besondere Höhle, die mit einer Höhe von 35 Metern vor 2000 Jahren von Julius Caesar persönlich mit seiner Galere aufgesucht worden sein soll, um in ihr Schutz vor der stürmischen See und illyrischen Piraten zu finden. Ein schmaler Pfad führe am Ufer der felsigen Halbinsel bis zur Höhle, die auch sonst nur über das Meer erreichbar sei. Nun entschlossen wir uns für die nötige, neunstündige Wanderung. Von den Soldaten, die uns für exotisch.verrückt erklärten, erhielten wir als Wegzährung noch zwei Literflaschen Wasser und ein altbackenes Kastenbrot. Wir hatten die Militärbasis längst hinter uns gelassen, da erblickten wir drei Motorboote in Ufernähe. »Das wäre die Lösung!«, dachten wir uns und winkten. Daraufhin näherte sich eines der Boote. Sogleich war für uns die großen Außenbordmotoren und die für Albaner ungewöhnliche Zurückhaltung auffällig. Schließlich waren wir an Bord, nachdem man sich bereit erklärte, uns zur Höhle zu bringen. Wir versuchten, ein Gespräch mit den abenteuerlichen, etwas verwegen dreinschauenden jungen Männern zu beginnen. Ich fragte sie, ob sie Fischer seien. Daraufhin verneinten sie und erwiderten: »Refugees për Italia« Endlich begriffen wir: »Menschenschmuggler!« Mit der Polizei gäbe es eigentlich keine Probleme, sie hätten immer ihre Kalaschnikows dabei. Zur Bestätigung hob einer eine geladene MG aus einer Kiste. Da wurde uns flau im Bauch. Wenn das mal gut endet mit der Höhle! Wir erfuhren, daß diese Männer mehrmals im Monat nachts pakistanische, rumänische und andere Flüchtlinge nach Italien bringen. Zwei Stunden brauchen sie für die 130 Kilometer bis nach Italien. Der gesamte Bootsboden war als riesiger Tank umgebaut. Nun hieß es für uns gute Mine zum bösen Spiel zu machen! Schon schipperten wir an der malerischen Küste der als militärisches Sperrgebiet proklamierten Halbinsel entlang. Plötzlich kam uns ein Motorboot entgegen und nahm Fahrt auf unseres auf. Zwei Zivilisten wurden erkennbar, der eine hielt einen Ausweis in die Höhe, der andere hatte ein Gewehr im Anschlag. »Policia! «, rief einer unserer Leute und befahl, begleitet von Flüchen, uns flach auf den Boden zu legen. Das taten wir dann alle, während der Wortführer im Liegen das Boot steuerte und im nächsten Augenblick dröhnten die Motoren mit ohrenbetäubendem Lärm. Das Boot richtete sich um 45° auf und schoß vorwärts. Der Fahrtwind drückte uns ans Deck, während das Polizeiboot und das zweite Boot der Banditen uns folgte. Die Halbinsel flog an uns vorbei und bald waren wir auf dem offenem Meer. Maschinengewehrfeuer ertönte. Offenbar bekamen wir jetzt Begleitschutz. Die Kugeln pfiffen über unsere Köpfe. Wir glaubten, unser letztes Stündchen sei nun gekommen, und wir waren völlig hilflos ausgeliefert... Irgendwann drehten die Verfolger ab. »Um Verstärkung zu holen?« Tausend Fragen hämmerten mit dem Herzschlag in unseren Köpfen um die Wette. Endlich stoppten die Männer die Motoren. Das Boot schaukelte zwischen den teilweise meterhohen Wellen. Die Küstenlinie war nur noch schwer im Dunst zu erkennen. Die Männer ließen eine Flasche Raki herumgehen und aßen Brot, legten sich lang und begannen einen Schlummer. Zurück könne man jetzt nicht, wegen der Patrouille, erklärten sie lakonisch. Vielleicht nachts. Nachdem wir uns wieder etwas gesammelt hatten, beschloß Christian, einen eptileptischen Anfall zu simulieren. Er stöhnte und krümmte sich auf dem Boden. Tatsächlich wurde er seekrank und so fiel ihm dieses Spiel nicht schwer. Den Banditen war das aber völlig gleichgültig. Mit all meinen Albanischkenntnissen konnte ich schließlich die Männer davon überzeugen, uns wenigstens an die äußerste Spitze der Halbinsel zu bringen. So tuckerten wir mit einem Tempo von ca. drei Srundenkilometern in Richtung Küste. Immer auf der Hut vor der Polizei. Eine höhere Geschwindigkeit wäre zu auffällig, erklärten sie uns. Die nun folgenden zwei Stunden waren die bisher längsten in meinem Leben. Schon war die Küste und Höhle nur noch einige hundert Meter entfernt. Da schoß aus dem Nichts erneut ein Polizeiboot und näherte sich uns. Mit weißen Knöcheln klammerten wir uns am Bug fest, während das Boot mit rasender Schnelligkeit direkt auf die felsige, zerklüftete Küste zuschoß. Jetzt ging es um Sekunden! Offenbar wollte man uns jetzt so schnell wie möglich loswerden. (Nach Jahren ertappte ich mich wieder einmal beim beten!) Etwa zwanzig Meter vor der zweieinhalb Meter hoch aufragenden, zerklüfteten Küste wurde das Ruder plötzlich herumgerissen. Jetzt mußte alles blitzschnell gehen: Während einer der kräftigen Männer unsere Rucksäcke in hohen Bogen gegen die Steil ansteigenden Felsen warf, wo sie in einem Spalt hängenblieben, erhielten Christian und ich einen gewaltigen Stoß von hinten. So landeten wir ziemlich zerschrammt, blutend, aber unversehrt nur wenige Meter neben der gewaltigen Höhle. Nur wenige Minuten später tauchte ein alter, graubärtiger Fischer mit seinem Holzkahn, der nur noch etwa zehn Zentimeter über der Wasserlinie lag, auf. Er bot an, uns mit seinem Boot direkt bis ins Innere der Höhle zu bringen und anschließend nach Vlora. Während ich diesen glücklichen Zustand nicht hoch genug schätzen konnte, war mein Freund eher skeptisch. »Willst du jetzt wirklich noch diese verdammte Höhle sehen?«, fragte er mich... In Dhërmi konnten wir dem Bürgermeister Kristos Markos und den Einwohnern das Funktelefon und die Blutdruckmeßgeräte überreichen. Diese waren für die Verbesserung der sozialen Lage des Dorfes dringend notwendig. Das Telefon kann über eine griechische D-Netz Telefonkarte betrieben werden, die von den in Griechenland lebenden Angehörigen der Dorfbewohner finanziert wird. Im Ort erfuhren wir wieder einmal mehr von den großen Problemen bei der medizinischen Versorgung. So wurde uns berichtet, daß ein Zahnarzt aus der 70 Kilometer nördlich liegenden Stadt Vlora einmal pro Woche die schlecht ausgestattete Medizinische Station für zwei Stunden öffnet. Aufgrund seiner Ausbildung kann er aber nicht die medizinische Versorgung der größtenteils alten Menschen im Ort gewährleisten. Außerdem kann sich die Bevölkerung diese private, kostenpflichtige Behandlung kaum leisten. Die Versorgung mit den vom Arzt verordneten Medikamenten ist das zweite, große Problem. Deren Beschaffung ist ausschließlich über die Verwandten in Griechenland möglich. Im Rahmen unseres Aufenthaltes statteten wir auch der Schule im Ort einen Besuch ab. Sie wird auch von den Kindern der vier umliegenden Orte besucht. Viele der Kinder müssen zu Fuß einen täglichen Schulweg von zehn Kilometern zurücklegen. Mobiliar und Schulmaterial ist so gut wie nicht vorhanden. Der Unterricht kann deshalb nur in eingeschränktem Maß stattfinden. Zur Verbesserung der allgemeinen Bedingungen an der Schule versuchen wir, eine Schulpatenschaft und die Bereitstellung von einigen Lehrmitteln für 1996 zu organisieren. Für das Projekt des Deutsch-Albanischen Begegnungszentrums in Dhërmi besichtigten wir zusammen mit dem Bürgermeister einige in Frage kommende Objekte. Er wurde für die Vergabe und Verwaltung von Liegenschaften im Verwaltungsbezirk Dhërmi vom Staat beauftragt. Hilfe bei der baulichen Verwirklichung des Projektes ist uns von der dort ansässigen Baufirma angeboten worden. Wir versprachen, bei der Beschaffung von benötigten Baumaschinen behilflich zu sein. Deren Finanzierung und Transport wird seitens der Firma abgesichert. Auf dem Rückweg machten wir noch Station in Tirana. Dort trafen wir Vertreter der albanischen Kunstszene und führten erste Gespräche zur Realisierung der »Woche der albanischen Kunst« im nächsten Jahr in Halle. Außerdem überbrachten wir einen Brief des Elisabeth-Gymnasiums in Halle an den Direktor des Gymnasiums des nördlich von Tirana liegenden Ortes Lezha, das um die Vermittlung einer Schulpartnerschaft gebeten hatte. Johannes Heretsch - Probeabonnements |
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