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Quer durch Albanien

Der Friedenskreis Halle besuchte über den Jahreswechsel Albanien. Neben den Besuchen an verschiedensten Universitäten und im Behindertenheim von Tepelenë, begegneten sie bei dieser Reise auch Benzinschmugglern im Nordern, Strassenkindern in Tirana und vor allem dem albanischen Winter

Tirana, Dezembernacht 1994 - unsere Ankunft. Steif und müde nach der langen Anreise klettern wir aus unseren zwei Minibussen.

»Welcome« und »Mirëbrëma« - richtig warm wird das plötzlich, als uns unsere albanischen Gastgeber umarmen. Die Stimmung ist gut - Wiedersehensfreude bei den einen, Freude, endlich angekommen zu sein, bei den anderen. Und bei allen wohl die Neugier auf bevorstehende zwei Wochen in Albanien.

Am nächsten Tag geht es dann richtig los: Blendi und Alban, zwei albanische Studenten, arrangieren ein Treffen mit dem Vizedekan der Medizinischen Fakultät. Ein schon länger bestehender Vertragsentwurf, vorgeschlagen von Mitgliedern des Studentenrates der Uni Halle sowie ein Brief an die albanischen Studierenden mit dem Ziel der Unterstützung einer unabhängigen Studentenvertretung wird von uns übergeben. Hilfe beim Übersetzen gab es durch Vermittlung der Deutschen Botschaft. Dieser Vertrag bezieht sich auf Austauschprojekte und fachspezifische Zusammenarbeit. Inhalte werden diskutiert und konkrete Regelungen gefunden. Nachdem wichtige Punkte nochmals in einem Interview per Video festgehalten worden sind, verlassen wir Tirana mit dem guten Gefühl, etwas erreicht zu haben. Es ist bei weitem nicht selbstverständlich, daß ein Dekan derartig offen für studentische Initiativen ist - bis vor kurzem besaßen Studenten an albanischen Universitäten keinerlei Recht auf Mitsprache. Und auch jetzt ist dies an vielen Hochschulen des Landes nur pro forma existent.

Dann Elbasan: inmitten von Schlammhügeln wachsen Betonsilos in die Finsternis. Dazwischen Müllberge, streunende Hunde, neugierige Kinder. Irgendwo aus dem Nirgendwo taucht Ingrid Schulte Sasse auf, Lehrerin für Deutsch an der Uni Elbasan. Eiskalt ist es im Uni-Gebäude, wo wir später in den Schlafsack kriechen werden. Strom ist Luxus für wenige Minuten. Die Dunkelheit, in die hinein Ingrid spricht, färbt das, was sie sagt, noch ein wenig bedrückender, als es ohnehin ist. Ein wenig Bitterkeit steht in ihren Zügen - aber müde wirkt sie nicht, obwohl sie sich mit vielem hier einfach abfinden muß.

»Du kannst nicht gegen Windmühlen kämpfen«, sagt sie. Die schlechten Lebensumstände sind das geringste Übel. Schlimmer sind die Mißstände an der Uni. Vetternwirtschaft bei der Lehrstuhlbesetzung, absolutistisch anmutende Herrschaftsansprüche des Rektors. Kritische Kollegen wurden Repressalien ausgesetzt - solange, bis sie das Handtuch warfen und gingen. Die Verbliebenen schweigen stumm, auch dann, wenn bei der Stipendienvergabe mit noch so miesen Tricks gearbeitet wird. Chancen hat hier nicht der, der Leistung bringt, sondern des Rektors Verwandtschaft und Leute, die ihm bei seinen Karrierebestrebungen dereinst nützlich sein könnten. Er steht mit einem Bein in der Politik, was bei gleichzeitiger Ausübung eines Lehramtes nach geltendem Recht eingetlich verboten ist... »Die Korruption ist offensichtlich - dennoch, du kannst nichts dagegen tun.« Aufmüpfige Studenten werden hier keine Prüfung bestehen, im Studentenrat zu sein, ist ein Spiel mit dem Feuer - und genau deswegen gibt es auch keinen mehr. Trotz allem, es schwingt eher Beharrlichkeit als Resignation in Ingrids Stimme. Und eine bestimmte Art Humor, die man braucht, um drei Jahre am Ende der Welt zu leben.

Am nächsten Morgen brechen wir in Richtung Tepelenë auf. Vorher jedoch Stopp in Appolonia. Zwischen knorrigen Olivenbäumen ragen hier antike Ruinen in den grauen Regenhimmel. Dreitausend Jahre alt - und unwahrscheinlich gut erhalten. Viele Kunstschätze ruhen noch in der Erde. Wenigstens entgehen sie so dem Schicksal, eines Tages in einem der größeren Museen Griechenlands zu stehen oder in privaten Sammlungen zu verschwinden. Es gibt nicht viele Dinge, mit denen sich in Albanien Geld machen läßt - antike Kunst zu verschieben ist immerhin lukrativ.

Dann sind wir in Tepelenë. Mitten auf dem Acker steht Carlos Kneipe. Es ist der Silvesterabend, die Tür ist offen und heraus schwappt Gelächter, Rauch und die Hitze, die vier Dutzend albanische Soldaten in den kleinen Raum bringen. Die Gesichter sind gerötet, der Raki fließt in Strömen. Irgendwann ist es ganz normal, fünf, sechs albanische Brüder zu haben und mit übergestülpter Militärmütze auf dem Schoß eines mehr als angeheiterten Offiziers lauthals auf das neue Jahr anzustoßen. Gëzuar vit ineri! Am Morgen darauf wird der Neujahrskater im eisigkalten Fluß ertränkt - ein klarer Kopf ist notwendig, denn eigentlich sind wir in Tepelenë, um das Behindertenheim zu besuchen. EIn Großteil unserer Hilfsgüter ist hierfür bestimmt. Einigen von uns ist gerade dieses Projekt ans Herz gewachsen - in den letzten Jahren war man immer wieder hier, versuchte, den desolaten Zustand des Gebäudes zu verbessern, lernte zu improvisieren, schloß Freundschaft mit vielen Patienten. Behinderte sind nicht nur in Albanien benachteiligt - aber hier bekommt man's ganz besonders zu spüren.

Als wir unsere Busse ausladen, wissen wir sehr gut, daß all die Medikamente, Desinfektionsmittel, das Spielzeug und die Kleider nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Dennoch, wir packen und sortieren eifrig. Und würgen mit Mühe den Kloß im Hals runter, als wir die Patienten sehen. Sicher, Behinderung ist immer schlimm - aber wieviel schlimmer ist dies in Schmutz, Gestank und Kälte. Diejenigen, die nicht apathisch unter dünnen Decken liegen, hocken in sich gekehrt auf den eisigen Steinfliesen. Spastiker, Epileptiker, geistig Behinderte - alles ist vertreten bei den über fünfzig Bewohnern (zwanzig Kinder, dreißig Erwachsene). Das Personal scheint überfordert. Hospitalismus und Infektionen aufgrund der katastrophalen Hygiene sind unvermeidbar.

Bedrückte Gesichter beim Abschied, irgendwie fühlt sich niemand so richtig gut. Bestimmte Bilder brauchen wohl länger, um verarbeitet werden zu können. Auch die stundenlange Fahrt Richtung Norden bringt da nicht genug Zeit. Die Route nach Krumë ist verdammt anstrengend. Es bleibt nicht aus, daß wir uns im Serpentinenlabyrinth verfahren. Schließlich warten wir auf offener Straße total übermüdet auf den Tagesanbruch. Steifgefroren werden wir am Morgen von Bergdorfbewohnern geweckt. Kein Wunder, unsere Busse sind natürlich eine Sensation in dieser abgeschiedenen, aber atemberaubend schönen Region.

Immerhin findet sich ein Lotse, und so sind wir gegen Mittag in Krumë. Tristesse pur: verwahrloste Betonklötze in einem kargen, steinigen Tal. Finstere Gesichter überall. Eingentlich wollen wir hier auf Jens und Sabine treffen, zwei Leute von Kap Anamur. Zunächst jedoch schubst man uns ins Büro des Bürgermeisters. Feierlich verliest dieser eine Rede und ist anschließend ganz erpicht darauf, zu erfahren, welcherart die Hilfsgüter sind, die sich noch in unseren Bussen befinden Am besten, so sagt er, wäre es, alles gleich auszuladen und bei ihm zu deponieren. Ein komisches Gefühl beschleicht uns - und das wird nicht besser, als sich seine Leute in einen schweren, neuen Jeep setzen und vor uns her zum Krnakenhaus brausen. Dort befindet sich die kleine Kap Anamur Station, wo wir schließlich auf Jens und Sabine treffen, er Medizintechniker, sie Krankenschwester. Vieles wird klarer, als die beiden erzählen. Ein leichter Job ist es nicht, den sie hier haben. Die Gegend ist rauh, noch rauher die Menschen. »Trauen können wir hier oben niemandem - geschweige denn Unterstützung bekommen.« Der Distrikt verarmt. Die Leute leben von Dieselschmuggel hoch in den Kosovo. Jeder ist irgendwie daran beteiligt, der Bürgermeister selbst scheint den größten Schnitt zu machen. Fremde, sollten sie überhaupt bis hierher vordringen, sind potentielle Feinde - und dementsprechend begegnet man ihnen. Geklaut wird, was man kriegen kann, das ist fast schon legal. Zehn Monate waren die beiden hier. Sie werden nicht länger bleiben. Nein, als ein Aufgeben empfinden sie es nicht - es ist einfach Einsicht in die Verhältnisse hier. »Nichts von unserer Station wird bleiben, wenn wir hier abziehen..., es tut ganz schön weh, wenn du Tag für Tag spürst, daß du unerwünscht bist.«

Am nächsten Morgen merken wir am eigenen Leib, was Jens damit meint. Ein düstere Menschentraube umringt unsere Busse, wir haben keine Chance, als unsere Blinker und Spiegel abmontiert werden. Ein Polizist steht gelassen daneben. Als die Lage eskaliert und Steine fliegen, bleibt nur die Flucht aus Krumë - wir konnten uns nicht mal mehr von Jens und Sabine verabschieden.

Nach zehnstündiger Fahrt sind wir wieder in Tirana. Die Bilder des kargen Nordens noch frisch im Kopf, wird uns die Gegensätzlichkeit der Extreme verstärkt bewußt. Wir begreifen jetzt auch besser, warum mehr und mehr Einwohner in die Hauptstadt streben - auf der Suche nach dem Glück. Zudem fliehen viele Albaner aus dem Kosovo hierher, um der gefährlichen Situation dort zu entgehen. Die Stadt expandiert rasant. Probleme, wohin du schaust. Es existiert keine Müllentsorgung - zwischen Abfallbergen und chaotischem Verkehr streunen nicht nur Hunde, sondern inzwischen auch rund tausend Straßenkinder.

Denen schließlich ist der verbliebene Teil unserer Hilfsgüter zugedacht, und so ist die letzte Station unserer Fahrt das Haus des Mutter Theresa Ordens (Mutter Theresa selbst ist in Albanien geboren und lebte bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr hier). Die Schwestern sind die einzigen, die sich um die von der Gesellschaft ausgestoßenen Kinder kümmern. Dennoch hat keine der zerlumpten kleinen Gestalten, die durch die nächtlichen Straßen ziehen, noch eine reelle Chance. Klein und schmächtig haben sie die Gesichter von Greisen - und ebensowenig Zukunft wie diese.

Trotz allem gibt es Zeichen der Hoffnung. Und diesen Funken aufgreifend, bleibt nach unserer Rückkehr die Aufgabe umfassender Dokumentation. Je mehr Leute für das stiefmütterlich behandelte Land sensibilisiert werden, desto mehr Wege der Hilfe werden sich finden.

Wr werden wiederkommen..., es gibt Menschen hier, die du einfach nie vergißt.

Stephanie Rößler

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