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Unbekanntes Filmland

Ende Oktober wurden in Berlin Albanien-Filmtage durchgeführt. Ein Bericht über albanische Filme der Vergangenheit und Gegenwart

Vom 20. bis 23. Oktober 1994 wurde im Berliner »ACUD« eine Retrospektive albanischer Spielfilme gezeigt. Dabei wurde versucht, einen kleinen, doch repräsentativen Querschnitt durch die albanische Kinematographie zu zeigen und dabei alle Zeiträume und zugleich einige der bedeutendsten Regisseure des Landes und seine wichtigsten filmischen Themen zu berücksichtigen. Die gesamte Retrospektive wurde kurz zuvor auf dem »4. Festival des Jungen Osteuropäischen Films« in Cottbus vorgeführt, wobei einige der Filme erstmals ausserhalb Albaniens gezeigt wurden. Für diese Zeit waren der Regisseur Fatmir Kosi sowie die in Albanien sehr bekannte Schauspielerin Rajmonda Bulku und der Studiodirektor von ALBAFILM - Kreshnik Hashorva nach Cottbus eingeladen; letztere standen auch in Berlin für Gespräche zur Verfügung.

Gezeigt wurden insgesamt acht Spielfilme, sechs davon sind unter der kommunistischen Diktatur entstanden. »Tod des Pferdes« und »Grabgesang« wurden nach der politischen Wende gedreht. Gleichzeitig wurde versucht, mit der Retrospektive ein kleines Porträt der in Albanien sehr bekannten Schauspielerin Rajmonda Bulku zu zeichnen.

Rajmonda Bulku, die in Tirana Schauspiel studiert hat, ist in über 25 Filmen aufgetreten und hat mit ihren Filmen gleichsam die widersprüchliche Entwicklung ihres Landes begleitet und ihr darstellerisches Können in den unterschiedlichen Rollen, mit Streifen aus sehr verschiedenen Zeiten unter Beweis stellen können.

Vieles, was produziert wurde, hatte lediglich ideologische Tagesfunktion, dennoch gibt es ein schillerndes Spektrum an Filmen, die, wenn auch stärker ideologisch eingefärbt als in anderen osteuropäischen Ländern, viel Interessantes über das Land, die Menschen und ihre Sitten und die wechselvolle Geschichte Albaniens erzählen.

Kristaq Dhamo's Film »Tana«, gedreht 1958, war zugleich das Spielfilm-Debut der albanischen Kinematographie. »Tana«, ein Film, fast wie ein Märchen aus der Vergangenheit, voller plakativer, oft platter Dialoge über die Zeit eines vermeintlich-sozialistischen Neuanfangs, dennoch einen ehrlichen Optimismus und die Freude am Aufbau nicht verhehlend.

Mit tiefer Liebe zu einem Land, seinen Menschen und seiner reizvollen Landschaft inszeniert.

Dhimitër Anagnosti, Kameramann, Regisseur und Drehbuchautor, heute Kulturminister der Republik Albanien, setzt mit diesem 1976 gedrehten Film nach einer längeren Phase des »sozialistischen Realismus« erste Zeichen eines ernsthaften Kinos.

Albanien während der italienischen Besetzung in den dreissiger Jahren. In einem Waisenhaus sollen die Kinder gleich den Menschen im ganzen Land zur Aufgabe ihrer nationalen Identität gezwungen werden. Hunger und Repression bestimmten das tägliche Leben der kahlgeschorenen Knaben, es soll ihnen eine fremde Kultur aufgezwungen werden, aber die »Zöglinge« werden auch mit dem kommunistischen Widerstand konfrontiert, beginnen selbst mit kleinen »Aktionen« - vor allem gegen den faschistischen Schuldirektor - und finden durch die Zuspitzung der Situation im Heim den Weg in den kommunistischen Untergrund. Ein Propagandafilm mit typischen Freund-Feind-Bildern, der seinerzeit trotz des »üblichen albanischen Filmthemas« - dem kommunistischen Kampf gegen fremde Besatzungsmächte - vor allem durch einen feinfühligen Umgang mit den Helden und die meisterhafte filmische Umsetzung grosse internationale Anerkennung fand. Problematisch erscheint er heute in seiner Funktion als Kinderfilm wegen des offenen Aufrufs zum bewaffneten Terror.

1978 drehte Viktor Gjika, später bis in die 90er Jahre Leiter des Filmstudios »Neues Albanien«, den prämierten Film »Gjeneral Gramafoni« (»General Grammophon«): Nach der Handlung des Films versuchen die Italiener vor der eigentlichen militärischen Aggression mittels italienischer Kultur, Unterhaltungsstrategien und vor allem durch die Musik in die albanische Lebensweise einzudringen und sie ihrer Eigenständigkeit zu berauben.

Der Film, als Warnung vor der ideologischen Infiltration durch das imperialistisch-revisionistische Ausland zu verstehen, besticht durch seine Schilderung des exotisch-schillernden Vorkriegsalbaniens mit all seinen folkloristischen Reizen, allen voran die grandiose Klarinettenmusik.

Aus heutiger Sicht gewinnt dieser Film zusätzliche Aktualität dadurch, dass er in einer Zeit der internationalen kulturellen Nivellierung für eine Bewahrung nationaler kultureller Eigenheiten Stellung nimmt.

Das Buch »Der lange Winter« von Ismail Kadare war die Literaturvorlage für den 1979 entstandenen Film »Ballë për Ballë« (»Auge um Auge«) - er handelt von einer Marinebasis in der Nähe von Vlora, auf der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sowjetische Soldaten stationiert sind - bis zu dem 1961 erfolgten Bruch mit Chruschtschow, einem tiefen und folgenschweren Ereignis, dem die Forderung Albaniens nach Abzug der Russen von Vlora folgt. Konflikte bleiben nicht aus, die bis an den Rand einer militärischen Konfrontation eskalieren.

Dieser Film, entstanden in der Zeit des Bruchs mit der Grossmacht China, wollte offenbar die Stärke und das Selbstbewusstsein Albaniens am Beispiel des - freilich dramatisch-übersteigerten - Konfliktes mit der Grossmacht Sowjetunion um deren Stützpunkt Vlora demonstrieren und die Albaner auf eine lange Zeit der politischen Isolation vorbereiten.

Mit »Vdekja e kalit« (»Der Tod des Pferdes«) war in Deutschland zum ersten Mal ein Spielfilm zu sehen, der die furchtbaren, bis in die jüngere Vergangenheit reichenden Praktiken der kommunistischen Diktatur auf die Leinwand bringt. Ein ehrlicher und emotional aufwühlender Film - eines der wenigen Beispiele der eigenen Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Vergangenheit. Der Film, 1992 vom Samir Kumbaro gedreht, die Handlung ist in den Jahren 1976/77 angesiedelt, kurz vor dem Bruch mit China, der Phase der beginnenden politischen Isolierung und der schärfsten politischen Verfolgungen. Das Land gibt sich in einer Mischung aus überheblichen Selbstbewusstsein und teilweise manischen Bedrohungsängsten.

Ein Gestüt in der Nähe Tiranas wird von Hoxhas Clique zum Zentrum einer militärischen Verschwörung erklärt, es soll aufgelöst werden, ein Pferd wird als vom Feind infiziert und krank erklärt, es soll getötet werden. Agron, Offizier und Jockey gerät mitten in die turbulenten Ereignisse, sein Versuch das Pferd zu retten scheitert, er wird zum Spion erklärt, gefoltert und zu 15 Jahren Haft verurteilt. Der Film handelt von Unterdrückungsmassnahmen stalinistischer Couleur, aber auch von Opportunismus und Karrierismus - in einer Schlüsselszene am Ende des Films begegnet Agron, gerade aus der Haft entlassen, seinem Denunzianten, der als »demokratischer« Abgeordneter Karriere gemacht hat.

Fatmir Koçi's Film »Nekrologji« (»Grabgesang«), der z.Zt. aktuellste albanische Film, 1994 in der Kulisse der in Albanien historisch bedeutenden Burgruine von Kruja gedreht, vermittelt einen Eindruck davon, mit welcher Mühe albanische Künstler versuchen, ihre vierzigjährige Isolation und Diktatur zu verarbeiten. Dargestellt in einer eigentümlich-parabelhaften Welt, untermalt von wunderschöner Klaviermusik Eric Saties, etwas Nachdenkliches über das Verhältnis von Geist und Macht, Kunst und Diktatur.

Das albanische Kino - Der Anfang und der weitere Weg
(Aus einem Interview, welches 1994 in Tirana mit dem albanischen Regisseur Fatmir Koçi geführt wurde)

In Albanien gab es bis zum Ende des zweiten Weltkriegs keine eigene nationale Filmproduktion. 1947 beschloss die albanische Volksversammlung den Aufbau eines eigenen Lichtspiel- und Filmwesens, fünf Jahre später wurde mit sowjetischer Unterstützung das Filmstudio Tirana gebaut. Das albanische Kino ist das jüngste in Europa. Es wurde leider mit strengen Zensurauflagen gestartet, es gab weder Tradition noch Freiheit. Dazu kam die totale Isolation, die grosse Schäden anrichtete, sowohl sozial als auch künstlerisch. Zwei Stilrichtungen prägten die albanischen Filmemacher: die russische Erfahrung und der italienische Neorealismus, trotzdem waren die albanischen Filme keine Kopien des sowjetischen »Sozialistischen Realismus«. Nach diesem hoffnungsvollen Beginn in den Fünfzigern ging es zunächst schleppend weiter, höchstens ein bis zwei Spielfilme entstanden jährlich. Später wurden der Filmproduktion Jahrespläne vorgegeben, es wurde von der Partei ein Thema vorgegeben, welches für Kultur und Kunst richtungsweisend war - es entstand eine grosse Anzahl von Filmen minderer Qualität. Für Jahrzehnte hatte das Kino die politische Mission, die Schaffung des »neuen, sozialistischen Menschen« zu schaffen. Erst Ende der siebziger Jahre gab es erste Zeichen eines ernsthafteren Kinos wie Anagnosti's »Roter Mohn auf der Mauer« Çashku's »Nach dem Tode«. Es gab Filmemacher, die versuchten, die Auflagen der Partei zu umgehen oder zumindestens aufzuweichen, derartige Filme mussten nachträglich verändert werden.

Koçi gehört zu der Generation von Filmemachern, die erstmals ab 1987 eine albanische Filmhochschule absolvieren konnten, welche später aus Geldmangel wieder geschlossen werden musste. Seit der politischen Wende wurden vier Langmetrage-Spielfilme gedreht. Saimir Kumbaro's »Tod des Pferdes«, ein Kinderfilm von Besnik Bisha, »Die Vergewaltigung« von Spartak Pecani und Koçi's »Grabgesang«. Momentan gibt es im albanischen Film eine grosse Krise, es gibt nicht eine einzige Koproduktion, das Geld für die Filme ist zu knapp und die Laboratorien sind zu alt. Koçis »Grabgesang« konnte nur entstehen, weil Filmmaterial genutzt werden konnte, dass unter Hoxha für den Fall eines Krieges eingelagert worden war.

Der Regisseur kann schwerlich eine Hoffnung für das albanische Kino erkennen, solange ausschliesslich die Mechanismen des Staates das Kino finanzieren.

Das albanische Kino wird nicht sterben, aber es muss zunächst die Hölle der Mittelmässigkeit hinter sich bringen.

Jörg Schmidt

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