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Menschenrechte in Albanien

Seit Frühling 93 verfügt Albanien über ein modernes Gesetz über Grundfreiheiten und Menschenrechte, welches gemäss Expertenurteil den Vergleich mit internationalen Standards nicht zu scheuen braucht. Wie sieht nun aber die konkrete Menschenrechtssituation aus?

Stand der Gesetzgebung
Das Versprechen der speziell dafür gebildeten Verfassungskommission, bis Juni 1993 eine formelle Verfassung auszuarbeiten, wurde bis anhin nicht eingelöst. Immer noch bilden deshalb die acht Erlasse bezüglich der Kompetenzen von Parlament, Präsident, Ministerrat (als Regierung) und Lokalregierungen sowie bezüglich der Organisation des Justizwesens, gemeinsam mit dem Menschenrechtsgesetz eine Art »Übergangslösung«, die sich jedoch zunehmend zu etablieren scheint. Die Differenzen über die Form einer neuen Staatsordnung - zur Diskussion stehen die präsidiale und die parlamentarische Demokratie - sind offenbar fast nicht zu bereinigen. Weitere Streitpunkte liegen in der Entscheidung, wer einen Verfassungsentwurf legitimieren könnte - das Volk (was sehr teuer wäre), ein 700-köpfiges Gremium aus allen politischen und wirtschaftlichen Gruppierungen oder das Parlament mit einem qualifizierten Stimmenmehr?

Das Fehlen einer formellen Verfassung ist für Albanien auch im Zusammenhang mit der erstrebten Vollmitgliedschaft im Europarat von Bedeutung. Während westliche Regierungen dazu neigen, die Annahme des Antrages an den Erlass einer formellen Verfassung zu knüpfen, um dadurch mehr Druck auf die albanische Regierung ausüben zu können, neigen die Oppositionskräfte zum Argument, erst durch die Vollmitgliedschaft Albaniens hätte der Europarat auch tatsächlich das Recht und die Kraft, Bedingungen zu stellen und auch durchzusetzen.

Ein anderes Grundproblem ist die fehlende Kodifikation des geltenden Straf- und Strafprozessrechts. Wohl wurde das aus der kommunistischen Zeit stammende Strafrecht verschiedentlich revidiert, doch führt dies eher zu einer mehr und mehr um sich greifenden Rechtsunsicherheit. Auch sind aus Mangel an ausgebildeten jungen Juristen noch immer die alten Polizeikräfte, Richter und Staatsanwälte im Amt, oder es wurden Studenten einer Kurzausbildung von sechs Monaten unterzogen - mit wenig überzeugendem Resultat, wie es aus Kreisen des Kassationsgerichtshofes heisst. An der Universität werden zudem noch heute die kommunistischen Lehrinhalte vermittelt, ebenfalls in Ermangelung neuer Lehrkräfte und zum Teil auch guter Lehrbücher.

Die Rolle der Gerichte
Die albanische Gerichtsverfassung kennt wie viele westlichen Staaten einen dreistufigen Aufbau von erstinstanzlichen Gerichten, Berufungs- und Kassationsgericht, sowie ein besonderes Verfassungsgericht. Als Besonderheit kommt in Albanien jedoch ein »Oberstes Richterliches Konzil«, dessen Vorsitzender Präsident Berisha ist. Als solcher ernennt er einen Teil der Richter auf sämtlichen Stufen und hat damit die Oberaufsicht über sämtliche Gerichte des Landes inne. Damit wird das oberste Gebot eines Rechtsstaates - die Trennung von Gesetzgebung, vollziehender Behörde und Rechtssprechung - missachtet. Verschiedene Vorfälle, die hier im Sinne von Beispielen aufgeführt werden sollen, belegen die darin schlummernden Gefahren.

So wurde der ehemalige Generalstaatsanwalt Maksim Haxhia zu einer Befragung durch das Parlament beordert, nachdem er sich öffentlich für die Unabhängigkeit der Gerichte ausgesprochen hatte - mit dem Ergebnis, dass er allein durch die Stimmengewalt der Demokraten, welche im Parlament über die erforderliche Stimmenanzahl verfügen, seines Postens enthoben werden konnte. Als der auf ihn folgende Generalstaatsanwalt durch die sozialistischen Parlamentarier zu einer Befragung durch das Parlament bezüglich des äusserst umstrittenen »Falles Nano« aufgerufen wurde, hielt er das Parlament während fünf Monaten hin mit der Begründung, dieses sei nicht berechtigt, seine richterliche Tätigkeit zu beurteilen! Er erschien erst, vor dem Parlament als
1) Fatos Nano, Vorsitzender der Sozialistischen Partei, erhielt, als er am 19. März 1994 auf Einladung eines französischen Menschenrechtskommittees nach Paris reisen wollte und dabei am Flughafen Tirana von der Polizei festgehalten wurde, von Seiten des Innenministeriums nur die lapidare Erklärung, es habe sich um einen Irrtum der Polizei gehandelt.
der »Fall Nano«1) bereits abschliessend behandelt war. Hier ist anzumerken, dass diese Haltung vom rechtsstaatlichen Standpunkt aus durchaus korrekt war, nur zeigt die unterschiedliche Behandlung in den beiden Beispielen, wie relativ solche eigentlich absolut gültigen Prinzipien ausgelegt werden konnten.

In verschiedenen Fällen wurde bekannt, dass den Angeklagten ihr Recht zur Akteneinsicht verwehrt wurde, womit sich eine erfolgversprechende Verteidigung sehr erschwert.

Richter wurden mit ihrer Entlassung bedroht, wenn sie in bestimmten Fällen nicht in der erwarteten Weise entscheiden würden. Im September 1993 wurden vierzehn Staatsanwälte entlassen, einige davon aus politischen Gründen, wie es heisst. Als das Parlament ein Gesetz verabschiedete, welches 92 aus kommunistischen Zeiten bekannten Anwälten das Recht zur Ausübung ihres Berufes entzogen hätte, erklärte der Verfassungsgerichtshof den Erlass als verfassungswidrig und damit als ungültig.

Alle diese Beispiele, sowie die Tatsache, dass die Löhne der Justizbeamten sehr niedrig sind, wirken auf deren Korrumpierungsbereitschaft anregend...

Menschenrechtssituation konkret
Gemäss der Europäischen Menschenrechtskonvention hat jeder Mensch unter anderem das Recht auf Leben, Freiheit, körperliche Unversehrtheit, auf ein faires Verfahren in Zivil- und Strafsachen sowie auf eine zweitinstanzliche Nachprüfung eines Strafverfahrens. Weiter werden das Recht auf Wahrung seiner Privatsphäre, die Meinungsäusserungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit postuliert.

Auch Albanien hat sich durch sein Menschenrechtsgesetz diesen Werten grundsätzlich verpflichtet. Trotzdem tauchen vermehrt Klagen über dessen Verletzungen auf.

Persönliche Freiheit und Versammlungsfreiheit
Vor allem die Polizei bedient sich weiterhin der alten Methoden, um mit Rechtsbrechern umzugehen. So wurde bekannt, dass in fünf Fällen in Korça, Fier, Lushuja, Laç und Saranda Menschen bei ihrer Verhaftung oder im Laufe von Verhören von Polizeikräften erschossen oder erschlagen wurden.

Immer wieder beklagen sich Mitglieder der Sozialistischen Partei - der grössten Oppositionspartei Albaniens - über Behinderungen durch die Polizei, bei Wahlveranstaltungen oder Versammlungen. Sei es, dass den Interessierten der Zutritt zu den Vereinslokalen verwehrt wird, sei es, dass Demonstrationen, für welche Bewilligungen vorliegen, im letzten Moment doch noch von der Polizei verhindert werden, oder, dass auf vielfach wiederholte Bewilligungsansuchen erst gar keine Antwort erfolgt. Ebenso ist es vorgekommen, dass Mitglieder der Opposition auf Reisen, die sie in die verschiedenen Distrikte des Landes vornehmen wollten, durch die Polizei festgehalten wurden.

Im Parlament wurde die Diskussion um die Neuverteilung von offenen Mandaten unter den Oppositionsbewegungen kurzerhand von Sitzung zu Sitzung vertagt - womit den Oppositionskräften die Stimmgewalt genommen wurde. Auch willkürliche Verhaftungen von Oppositionsmitgliedern und deren Familienangehörigen sind keine Seltenheit. Abhören oder Unterbrechen von Telefonlinien durch den Secret Service, Absetzen von Regierungsmitgliedern, die sich öffentlich gegen das Vorgehen der Polizei aussprachen, sowie ohne richterliche Verfügung vorgenommene Hausdurchsuchungen - unter dem Vorwand, man suche nach illegalen Waffenbesitzern - erweitern die Liste der Verletzungen von Freiheitsrechten.

Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit
Mit dem Vorwurf, ein Staatsgeheimnis verraten zu haben, wurden im April 1994 der Chefredakteur und ein Journalist des parteiunabhängigen Oppositionsblattes »Koha Jone« (Unsere Zeit) in Untersuchungshaft genommen2), ohne dass Verdunkelungs3)- oder Fluchtgefahr bestanden hätte - normalerweise
2) Es ging um die Veröffentlichung eines als geheim titulierten Erlasses, der den Offizieren verbot, in den Ferien eine Dienstwaffe zu tragen.
3) Das ist die Gefahr, dass Beweismittel zerstört oder beiseite geschafft würden- was bei einer x-fachen Auflage der Zeitung beinahe lächerlich erscheint...
Voraussetzungen für eine Inhaftierung. »Koha Jone« ist ein Blatt mit angriffigem Stil, welches die Regierung wiederholt - und nicht ganz unberechtigterweise, wie es heisst - der Korruption bezichtigte. Es hatte auch schon früher mit häufigen strafrechtlichen Verfolgungen - insgesamt 34 Verfahren bis April 1994 gegen den Chefredakteur - zu kämpfen, welche z.T. mit Freisprüchen, z.T. mit Bussen und in einem Fall mit einem 35-tägigen Hausarrest endeten.

Ebenso mussten auch der Chefredakteur des Parteiorgans der Sozialisten »Zeri i Popullit« (Stimme des Volkes) und dessen Familienangehörige (!) sowie selbst ausländische Journalisten behördliche Einschüchterungsversuche erdulden, unter anderem den Verlust des Arbeitsplatzes, wiederholte Inhaftierungen, und im Falle eines Journalisten des »Corriere della Sera« auch Misshandlungen durch die Polizei.

Zu diesen Angaben ist es unerlässlich, einige Hintergründe zur albanischen Presselandschaft zu kennen. So hat sich das öffentliche Leben Albaniens einer starken Politisierung verschrieben. Die Presse bietet dabei den Rahmen, innerhalb welchem die Machtkämpfe der verschiedenen Gruppierungen ausgetragen werden. In den Zeitungen werden daher nicht in erster Linie Sachfragen erörtert, wie etwa, welche Reformen für Staat, Gesellschaft und Wirtschaft gewinnbringend wären, sondern vor allem Polemiken gegen Regierungsvertreter und ihre gesellschaftlichen Stützen geführt.

Andererseits ist zu beachten, dass nach wie vor die Informationspolitik der Regierung mangelhaft ist, womit ein idealer Nährboden für Verdächtigungen und Polemiken geschaffen wird.

Auf diesem Hintergrund ist das am 11. Oktober 1993 verabschiedete Pressegesetz zu beurteilen. Darin werden den Strafverfolgungsbehörden äusserst weit gefasste Bestimmungen bezüglich der Konfiskation von Druckerzeugnissen zugestanden. Die darin vorgesehenen Bussen von umgerechnet zwischen 1000-8000 US$ können für ein albanischen Unternehmen ohne weiteres den Ruin bedeuten.

Abschliessende Beurteilung
Liest man diese Ausführungen mit einem »mitteleuropäischen Auge«, so entsteht leicht der Eindruck, in Albanien stehe es äusserst schlecht um die Einhaltung der Menschenrechte. Dies entwirft jedoch ein verzerrtes Bild. Gemäss den Aussagen ortsansässiger Beobachter westlicher Vertretungen, ist eine klare Besserung der Situation gegenüber dem alten System unbestritten. So gesehen ist das bisher Erreichte als beachtlich einzustufen.

Allerdings bleibt auch weiterhin viel zu tun, und die Frage, ob der begonnene Weg beibehalten wird, beschäftigt viele europäische Regierungen vor allem im Zusammenhang mit der Beantwortung des albanischen Gesuches um eine Vollmitgliedschaft im Europarat.

Zudem muss bei einer Beurteilung Albaniens nicht nur dessen Ausgangslage berücksichtigt werden, sondern es darf die Tatsache nicht vergessen werden, dass auch in vielen westlichen Ländern immer wieder einzelne ungeahndete Übergriffe auf Menschenrechte vorkommen...

Christiane Tureczek, Verein Jusstudentinnen und -studenten für Albanien

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