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Marktwirtschaftlich heilen helfen?

Der Direktor der Farma-Express denkt nach dreijähriger Albanienerfahrung darüber nach, ob es eine Kosten-Nutzen-Rechnung in der Entwicklungshilfe im Bereich Gesundheit geben darf oder kann

Wer, wie der Autor, im Dienste grosser und kleiner Hilfswerke seit Jahrzehnten im Bereich Katastrophenhilfe und Entwicklungszu-sammenarbeit tätig ist, kommt früher oder später nicht um die Frage herum, inwiefern bei grosser Not und beschränkten Ressourcen die Effizienz einer medizinischen Hilfeleistung evaluiert werden kann. Es stellt sich mithin die brutale Frage, wieviel kann und darf denn Prävention, wieviel Therapie, wieviel stationäre Behandlung und letztlich wieviel die Rettung eines Menschenlebens kosten. Eine eindeutige Antwort auf diese Fragestellung wird es jedoch nie geben können, schon deshalb nicht, weil sich aufgrund der Komplexität gesundheitlicher Störungen selten exakt feststellen lässt, welche Intervention mit wieviel Kosten zu welchen Resultaten führt. Die Hilfswerke haben normalerweise bei Kriseninter-ventionen auch keine Möglichkeiten, solche statistischen Erhebungen durchzuführen. Deshalb sind grundsätzliche Erwägungen in den Vordergrund zu stellen, um Hilfspotential möglichst effizient einsetzen zu können.

Entwicklung von Krankheiten und deren sinnvolle Bekämpfung
Sowohl in Normalsituationen, besonders aber bei labiler Gesundheitsverfassung vieler Menschen, die auch in Albanien anzutreffen ist, sind vereinfacht folgende Stationen festzustellen, wobei die eine bei fehlenden Ressourcen zur adäquaten Intervention tendentiell zur nächsten führt:

Gesunde Lebensweise - Prävention - Schwächung - kleine Störung - Einsatz von Hausmitteln (Tee, Umschläge) - Einsatz nicht rezeptpflichtiger Medikamente (Vitamine, Salben) - mittlere Störung - Arztkonsultation und verschriebene Medikamente - stärkere Störung - intensivere ärztliche und medikamentöse Intervention - grosse oder chronisch werdende Störung - Hospitalisierung - Intensivstation und/oder chirurgischer Eingriff.

Hier einige vereinfacht dargestellte Beispiele häufig festgestellter Abläufe:

  • Schwächung - Erkältung - Grippe / Bronchitis - Lungenentzündung
  • Hautverletzung - Infektion - Furunkel - Phlegmose - Blutvergiftung
  • Vaginalinfektion - Uterusinfektion - Ge-bärmutterinfektion - Bauchfellentzündung
Man braucht weder ökonomisches noch medizinisches Fachwissen, um zu erkennen, dass durch eine frühe, geeignete Intervention das Fortschrei-ten der Erkrankung verhindert und durch diese geringen Aufwendungen eine kostengünstigere Heilung ermöglicht wird. Natürlich ist so auch dem Patienten besser gedient.

Selbstverständlich wäre eine gesunde Lebensweise mit adäquater Prävention das geeignetste Mittel, um gesundheitliche Störungen zu vermeiden - doch hierfür ist die Ausgangslage in Albanien nicht gut. Weil die allgemeinen Lebensbedingun-gen angefangen von Fehlernährung über ungeheizte, dichtbelegte Räume bis zu jahrzehntelang verseuchtem Wasser, Luft und Böden derart schlecht sind, kann hier leider keine rasche Verbesserung erwartet werden. Umso wichtiger ist es, auf der nächsten Ebene mit vollem Interventionspotential einzugreifen.

Diese nächste Ebene ist die Verfügbarmachung von Medikamenten. Häufigste Ursachen von Störungen, die unbehandelt die gravierendsten Folgen nach sich ziehen, sind Infektionen. Geeigneten Antibiotika kommt deshalb eine primäre Bedeutung zu.

Auch wenn hier keinesfalls verschiedene Hilfsprojekte gegeneinander ausgespielt werden sollen, so ist immerhin zu bedenken, dass beispielsweise die Sanierung eines Spitals mit einem Aufwand von einer Million Franken vielleicht jährlich 3'000 Patienten zugute kommt. Von diesen würden jedoch viele gar nicht erst der Hospitalisierung bedürfen, wenn in einem früheren Stadium der Erkrankung geeignete Medikamente zur Verfügung stünden. Für den gleichen Betrag könnten gute Medikamente für rund eine halbe Million Menschen verfügbar gemacht werden. Allerdings ist es beim Abschied von der subventionierenden Staatswirtschaft kontraproduktiv, Medikamente (und andere Leistungen) gratis abzubieten, denn wo etwas frei verfügbar ist, kann weder Markt noch Wirtschaft entstehen. Vielmehr ginge es darum, diejenigen Marktteilnehmer zu unterstützen, welche trotz grosser Hindernisse tragfähige Strukturen aufbauen, was in einer Anfangsphase kaum kostendeckend sein kann. Dies heisst, dass neue Formen der Zusammenarbeit und Unterstützung gefragt sind.

Farma-Express
Im Frühjahr 1993 beschloss die albanische Regierung, die staatlichen, ohnehin fast leeren Publikums-Apotheken zu privatisieren beziehungsweise neue Privat-Apotheken zuzulassen. Mangels Kapital, Erfahrung und Beziehungen sowie angesichts der extrem schwachen Kaufkraft wusste niemand, wo die Privatapotheken ihre Medikamente einkaufen sollten. Im April 1993 wurde die Firma Farma-Express gegründet. Das Konzept war von Anfang an, eine Mischung zwischen humanitärer Hilfe und privatwirtschaftlicher Initiative anzustreben, mit dem Ziel, eine dauerhafte, einwandfreie, unabhängige und finanziell selbsttragende Medikamentenversor-gung landesweit aufzubauen. Dieser entwicklungspolitisch modellhafte Kompromiss zwischen reiner Wohltätigkeit (Geschenke) und reinem Kommerz (Profitmaximierung) hat sich im Prinzip bewährt und könnte sogar als voller Erfolg gewertet werden, wären da nicht die Schwierigkeiten, mit denen ausgerechnet das albanische Gesundheitsministerium aufwartet.

Basis-Medikamente
Seit 1993 hat sich nämlich dank einiger Importeure und Verteiler ein leidlich funktionierender Markt mit Medikamenten der Basisversorgung (sogenannte Generika mit Wirkstoff-Namen) entwickelt, so dass die unterdessen fast 400 Privatapotheken über ein ausreichendes Grundsortiment verfügten. Diese Medikamente waren dank Grosspackungen preisgünstig und - jedenfalls was die Produkte der

Farma-Express westeuropäischen Ursprungs anbelang - von guter Qualität. Doch leider muss hierüber in der Vergangenheitsform berichtet werden, denn die Administration hat leichtfertig und schlecht beraten die soeben mühsam aufgebauten Strukturen wieder weitgehend zunichte gemacht. Dies geschah dadurch, dass in Albanien zur Registrierung von Medikamenten, die sich jahrzehntelang weltweit bewährt hatten, die gleich hohen Anforderungen verlangt wurden wie für brandneue, unbekannte Spezialitäten einer ganz anderen Preiskategorie. Eingefordert wurden nämlich - nebst einer für preiswerte Medika-mente fast prohibitiven Gebühr - Dokumen-tationen unendlichen Umfangs inklusive klinischer Studien, obgleich jedes Fach-Handbuch, sogar in albanischer Sprache verfügbar, diese Angaben längst enthält und obwohl die zentralen Qualitätsnachweise ohnehin mit jeder Einzellieferung jedesmal erbracht werden. Da der Vertrieb dieser kostengünstigen Medikamente eben gerade darauf basiert, dass der Absatz stromlinienförmig verläuft, war kaum ein Generika-Hersteller bereit, sich diesem teuren - und überdies nutzlosen - Marathon zu unterziehen, zumal von vielen Dokumenten die Originale oder Beglaubigungen verlangt wurden. Dies führte dazu, dass für diese 200 Produkte umfassende Palette keine Einfuhrgenehmigungen mehr erteilt wurden, weshalb ein grauer Markt unkontrolliert zu blühen begann, was ja nicht Ziel der Vorschriften sein konnte, aber massiv zur »Belohnung« unkorrekter Importeure und zur »Bestrafung« seriöser Marktteilnehmer führte. Die Kranken, wenn sie nicht fragwürdige Ware beziehen wollten oder konnten, wurden dazu verurteilt, von ähnlichen wenn nicht gar identischen Präparaten nunmehr die um ein Vielfaches teureren, individuellen Blisterpackungen zu kaufen. Die Bemühungen um einen preisgünstigen, geregelten und zuverlässigen Markt wurden so zunichte gemacht; während die eingereichten Dokumentationen stapelweise vor sich hinschlummern, zahlt der Patient für diesen aberwitzigen Aufwand. Jetzt allerdings, anfangs Mai 1996, hat man erkannt, dass dieses Verfahren kontraproduktiv ist und erleichterte Prozeduren für die Registrierung angekündigt - allerdings weiss man immer noch nicht genau, was denn nun verlangt wird. Hätten die Albaner rechtzeitig auf die Empfehlungen der Welt-gesundheitsorganisation und die qualifizierten Marktteilnehmer gehört, so hätte sich - einmal mehr - eine gewaltige, unnötige Kalamität vermeiden lassen. Schliesslich ist es nicht einfach, ein zerschlagenes System ein zweites Mal aufzubauen und viele kleine und mittelgrosse Investoren fühlen sich frustriert und verschaukelt.

Spezialitäten
Da die Liste der Basis-Medikamente von der Weltgesundheitsorganisation ursprünglich für aussereuropäische Entwicklungsländer aufgestellt wurde, ist es klar, dass ein Gesundheitswesen wie das albanische darüber hinausgehende Bedürfnisse aufweist. So gibt es bei den »WHO-Essential-Drugs« kaum Produkte für »Minoritätenkrankheiten« (z.B. Diabetes, Parkinson), es fehlen aber auch ganze Wirkstoffgruppen (z.B. Hormone, Röntgenkontrast-mittel) und zielgenaue Präparate (z.B. Antibiotika, Psychopharmaka) sowie qualifizierte rezeptfreie Mittel für den Alltagsgebrauch in Hausapotheken. Darüber hinaus gibt es in Albanien einige Krankheiten, die aus bestimmten Gründen gehäuft auftreten, beispielsweise Defekte beim körpereigenen Eisenabbau. Auch hierfür werden Spezialitäten benötigt.

Für multinationale Unternehmen, für die sich in Osteuropa gerade ein gigantischer Markt eröffnet, ist Albanien eine zu vernachlässigende Grösse. Einzig Glaxo investierte von Anfang an und mit Erfolg, während Ciba-Geigy immerhin ein Informationsbüro unterhielt und einige wenige Präparate über den staatlichen Verteiler absetzen konnte. Im Bestreben, es diesen grossen Unternehmen leichter zu machen, in Albanien Fuss zu fassen, hat Farma-Express nunmehr den Vertrieb der Marken Ciba-Geigy, Roche und Schering übernommen.

Von Ciba-Geigy sind nunmehr 39 Präparate in Albanien erhältlich, von Roche vorläufig 20 und von Schering deren 23. Dabei wurde darauf geachtet, nicht neue Bedürfnisse zu schaffen sondern effektive und bewährte Produkte verfügbar zu machen, die tatsächlich gesundheitsrelevant sind. Die Übernahme der Vertretung zweier weiterer Marken ist noch in diesem Jahr geplant.

Die Apotheken
Während die Spitalapotheken nach wie vor staatlich organisiert sind und nicht gerade zuverlässig funktionieren, hat sich ein Netz von nahezu 400 privaten Publikumsapotheken etabliert. Dieses Netz lässt jedoch insofern zu wünschen übrig, als es sich weitgehend auf die grösseren und kleineren Städte Tiranë, Durrës, Shkodër und Elbasan sowie Vlorë, Korçë, Berat, Fier, Lushnjë etc. konzentriert. Demgegenüber sind die ländlichen und bergigen Gebiete ziemlich unterversorgt. Nach anfänglich beträchtlichen Erfolgen geht es nun jedoch auch den meisten urbanen Apotheken nicht gut, denn ihre Dichte ist - bei nach wie vor bescheidener Kaufkraft - viel zu hoch geworden. Aus diesem Grund ist ihre Ertragslage meist schwach und ihr Überleben gefährdet, zumal ihnen marktwirtschaftlich und gesundheitspolitisch fragwürdige Richtlinien und Vorschriften aufgezwungen wurden.

Was naheliegend wäre und auch schon konkret vorgeschlagen wurde, nämlich die Gründung eines Apotheker-Vereins zur Wahrnehmung gemeinsamer Interessen, scheint in Albanien derzeit undurchführbar. Jeder kämpft allein und steht damit auf verlorenem Posten. Komplizierte Regelverfahren kontrastieren mit illegalen Praktiken und der schnelle Gewinn - man weiss ja nicht, wie es morgen weitergeht - steht im Vordergrund. So durchströmt die albanisch Realität auch das sensible Gewebe des Medika-mentenvertriebs äusserst nachteilig und die Administration trägt das ihre dazu bei.

Gesamthaft gesehen ist die Medikamentenver-sorgung heute auf relativ niedrigem Niveau gesichert; weit besser als 1993, aber auch wesentlich schlechter als sie tatsächlich sein könnte. Die ordnungs- und gesundheitspolitischen Eingriffe der Regierung mögen zwar gut gemeint sein und deren Anlehnung an westeuropäische Vorbilder zukunftsweisend, hingegen lassen sich solche komplexe Regeln nicht mit der heutigen albanischen Realität vereinbaren. Das Gesundheitsministerium wäre gut beraten, mit qualifizierten Marktteilnehmern gemeinsam brauchbare Richtlinien aufzustellen, ihre eigene Administration in einen funktionstüchtigen Zustand zu bringen anstatt korrekt operierenden Verteiler zu schikanieren, und dafür zu sorgen, dass illegale Importe und fragwürdige Praktiken nicht mehr geduldet werden. Das Gespräch wäre dringend nötig, sonst droht ein zweites Mal ein Chaos.

Michael Dym, Farma-Express

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