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Wenn Hände erzählen... Vier Hände erzählen vom letzten Transport der Kantonsschule Enge (Zürich) in der Woche vor Weihnachten, bei dem einmal mehr knapp 13 Tonnen Material an verschiedene Institutionen in Gjirokastër verteilt wurden
Staunend betasten wir den Ledersessel im Flugzeug. Ab und zu halten wir ein Glas, führen es zum Mund, was soll das? Normalerweise sind wir doch in der Vorweihnachtszeit eifrig am Geschenke Einpacken, Briefe Schreiben, Guetzli Backen - und jetzt? »Wenn wir das gewusst hätten«, so sinnen wir bereits einen Tag später, »wir hätten die Stunden des Ruhens noch so richtig ausgekostet.« In Albanien, unserem Bestimmungsland, angelangt, können wir uns nur kurz an die neue Umgebung gewöhnen, denn wir werden hier gebraucht. So viele Hände haben wir schon lange nicht mehr geschüttelt - wir staunen; Gibt es in diesem Land wohl mehr Hände pro Mensch, mehr Menschen oder was ist denn das, dass man uns so viel Bedeutung zumisst? Bereits am Morgen beginnt der Tag mit etwas Aussergewöhnlichem: Das Wasser in Albanien, sofern es überhaupt Fliessendes gibt, kühlt uns ganz schön, zumal es in der Nacht, mangels Heizung unter der dürftigen Decke auch recht kalt war. Dafür sind wir gleich hellwach, denn in der albanischen Familie, in der wir wohnen dürfen, werden wir verwöhnt - nicht mal zum Geschirr Spülen will man uns... Voll im Einsatz sind wir bereits einige Zeit später: Kollegen von uns, gebende Hände aus der Schweiz und England, haben viele Bananenkisten abgepackt, mit Kleidern, Schuhen, Papier, Schokolade und vielem mehr, Liebeszeichen von Menschen, die die Not in Albanien erkannt haben. Unsere schöne Aufgabe ist es, diese zum Teil schweren Schachteln den bedürftigen Albanerhänden übergeben zu dürfen. Oft haben wir Schmerzen, denn die Last ist uns fast zu gross, wir werden rot, erhalten Schwielen, manchmal versagt unsere Kraft; doch es lohnt sich. Die offenen Hände der rund 250 Mädchen im Internat füllen zu dürfen, ist mehr noch, als wir bisher im Monat Dezember unter brennenden Christbäumen erleben durften! Immer wieder staunen wir und denken dankend an alle Hände zurück, die gearbeitet haben, um uns zu füllen, damit wir nun weitergeben können. Zwischendurch werden wir auch gebraucht, um eine Freudenträne abzuwischen - das beglückt uns sehr. Wir sind Hände von Schülern der Schweizer Kantonsschule Enge, die normalerweise zum Schreiben gebraucht werden - darum ist uns diese Albanien-Abwechslung ganz recht. Die Hände einer Ärztin, die auch mit uns reisten, stellten bewegt fest: »Schon viele Menschen haben wir abgetastet, schon manche müde Herzen untersucht, doch kaum noch hat uns etwas so geschmerzt, wie das Befühlen der rauhen, roten, aufgerissenen, geschwollenen Hände der jungen Albanerinnen in jenem Internat.« Von der Kälte, der sie ständig ausgesetzt sind, so verwittert, sind sie trotz allem dringend notwendig für die Schülerinnen. Doch nirgends gibt es die Möglichkeit, Wärme zu erhalten: Heizungen sind zu teuer, die Fenster am Internat sind rausgeschlagen, warmes Wasser existiert nicht, die Decken, die auf den schmalen Kajüttenbetten der Teenager liegen, sind ganz dünn. Handschuhe zum Erledigen von Hausaufgaben sind entweder nicht vorhanden, oder unpraktisch... Beschämt befühlen wir uns, unsere zarte Haut, die selbst noch oft gecremt wird. Natürlich ist Crème viel zu teuer, obwohl es in der Apotheke genügend gäbe; doch wie fast alles in diesem Land ist sie für Durchschnittshände unerschwinglich. Wir werden gefüllt - mit dem besten Essen, das man uns auftischen konnte. Stets wird uns noch mehr angeboten, auch wenn unser Mensch bereits satt ist. Zögernd greifen wir oft ein zweites Mal zu, denn unsere Gastgeber wollen wir nicht beleidigen. Da, mitten im Beschenktwerden, denken wir zurück an die Schweiz - wie oft beschenkten wir schon Ausländerhände aus dem Osten mit einem speziell guten Essen? Am Abend besuchen wir im Internat die jungen Frauen. Etwa 8 Schülerinnen teilen sich ein kleines, kaltes Zimmer ohne Tisch, mit einem kleinen Kasten. Wenn wir an eine Türe klopfen, wird sie stürmisch von albanischen Händen geöffnet, und im Nu umgeben sie uns, streicheln uns, uns wird zwar kalt, denn sie frieren, doch unser Herz erwärmt sich dabei. Albanische Hände zu spüren, das ist unser höchstes Glück; sie sprechen ohne Worte so viel von Armut, Bedürftigsein und noch von vielem Mehr, von Liebe, Zuneigung, Freundschaft und Offenheit. Da ja Advent ist, zünden wir in diesem für uns feierlichen Moment Kerzen an, denn Diskutieren und Händehalten ist für uns gemütlicher im Schein eines Lichtleins - doch sofort werden sie von den Schülerinnen ausgeblasen. Warum? So oft gibt es keinen Strom - herrscht neben der äusseren Kälte auch absolute Finsternis, trotz der starken, menschlichen Liebe, die hier pulsiert - für solche Zeiten wollen die albanischen Hände die wertvollen Kerzen aufbewahren. Und wieder sind wir beschämt - was nur bedeutet uns eine romantische Stimmung? Ist es nicht viel schöner, von lebenden, fühlbaren Händen umgeben zu werden, als alleine Kerzenlicht zu haben? Bald schon ist unsere Woche vorbei, Manches halten wir mit dem Photoapparat fest, zum Beispiel die Bunker, die das sonst so schöne Land nahezu verunstalten, die Esel, die das Strassenblid prägen, die Schweine, die den Müll im Strassengraben gierig verschlingen; wir photographieren Hände von wertvollen albanischen Menschen, doch ist es uns bewusst, dass diese uns zu Hause nicht umarmen bei einem Spaziergang, einzig bleibt dann unsere dankbare Erinnerung an jene Hände, für die wir, alle Hände unseres achtköpfigen Teams der KS Enge, so viel bedeuten. Zu Hause kriegen wir kaum mehr so viele Streicheleinheiten von kalten, aber liebenden Händen, und plötzlich merken wir, dass es auch braune Ritzen in uns gibt, trotz warmen Handschuhen, die uns schützten. Fast sind wir etwas stolz, dass wir unseren albanischen Kollegen schon etwas gleichen. Ob auch wir lernen, soviel Liebe weiterzugeben? Wir kamen gefüllt mit materiellen Reichtümern nach Albanien, nun aber sind wir, wir Hände, übervoll, nämlich mit immateriellen Werten - diese wollen wir nun versuchen, zu Hause, in der Schweiz, weiterzugeben. Miriam und Esther Kipfer, Solidaritätsgruppe Partner für Gjirokaster - Probeabonnements |
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