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Der Kanun ist zurück Reflexionen eines Albaners über die Rückkehr des »Kanun Lek Dukagjini«, dem jahrhundertealten, ungeschriebenen Gewohnheitsrechts der Albaner
Heute müssen nach offiziellen Angaben die Männer von über 10000 Familien in Nordalbanien zu Hause bleiben, weil sie riskieren, Opfer der Blutrache zu werden.
Rückkehr und Konsequenzen des Kanun
Die Rückkehr des Kanun hat gewisse Einflüsse auf das Leben des ganzen Gebiets und des ganzen Landes, aber wenn er wieder auflebt, bedeutet das, dass es einem gewissen Teil der Bevölkerung gefällt und er gemäss ihm weiterleben will. Das sind teilweise die Hochland-Albaner, die in diesen Bruderkrieg zurückgekehrten sind, wo sie einander töten nach den Normen und Regeln des Kanun, ohne weiter zu denken. Die sehen nur Blut, Sühnenahme und Blutrache nach den Kanunsregeln »Blut für Blut und Wunde für Wunde« oder »Blut für Blut und Busse für Busse« und das ganze läuft unter dem Ehrbegriff. Für die Albaner ist Ehre ein Bestandteil des Lebens. »Man verliert das Leben, aber nicht die Ehre« sagt der Kanun. Aufgrund dieses Satzes setzen sie heute den Bruderkrieg fort, sonst glauben sie, sie können nicht mehr leben. Und wenn ein Herr des Blutes (das ist die Person, der das Recht zusteht, den getöteten Verwandten zu rächen) nicht einverstanden ist mit diesen Regeln und damit Schluss machen will, ist er einem hohen Druck von der ganzen Gesellschaft ausgesetzt und muss entweder aus dem Land ausreisen und irgendwo anders »ehrlos« leben, oder Sühne nehmen, das heisst, den Blutschulder töten und dann warten, bis er oder ein anderer Familienangehöriger tot ist, und so geht dieser endlose Bruderkrieg weiter.
Einfluss der Kommunisten
Warum ist der Kanun zurück?
Historisch gesehen, entstand der Kanun in einer Zeit, als das albanische Volk überleben musste. Damals mussten die Albaner im Gebirge leben und ihr Leben nach einer eigenen gesellschaftlichen Ordnung einrichten. Das war die einzige Möglichkeit zum Überleben. Aber heute sind viele Konditionen anders. Albaner haben ein eigenes Land nur für sich, eine eigene Regierung und eigene Gesetze. Es hat wirklich keinen Sinn, einander zu töten in einer Zeit, in der das Land das ärmste in Europa ist. Oft gibt es Fälle, wo die Leute nicht wissen, warum sie einander töten müssen: Manchmal ist es etwas Altes aus der Geschichte, und sie müssen ihren Freund, ihre Verwandten, ihre Nachbarn erschiessen, weil jemand sagt: »Du musst ihn töten, weil er oder sein p-Familiengehöriger, vor n-Jahre Deinen x getötet hat, sonst verlierst Du die Ehre und bist kein Mensch«. Und oft genügt ganz wenig, um mit jemandem im Blut zu sein, ein Wort, eine falsche Bewegung oder sogar nur ein unbewusster Unfall. Das Ergebnis vom Ganzen ist, Hunderte Tote, Tausende in Häuser Isolierte, wo sogar die Kinder nicht mehr in die Schule gehen dürfen, das ganze Land paralysiert, wo nur die Frauen raus gehen dürfen, um Wasser oder Lebensmittel zu holen. Jetzt kommt die logische Frage »Was nützt das ganze?«. Es gibt verschiede Meinungen. Einige sagen, das sei ihr Recht zu leben, wie sie wollen, das sei die Demokratie, oder das sei der natürliche Krieg ums Überleben. Als ich jemanden fragte, der von diesem Gebiet kam und etwa 5 Jahre in Tirana studiert hatte: »Was sagst Du dazu?«, sah er mich völlig überrascht an und sagte »Ich, nichts! Das ist nicht meine Sache. Die wollen das machen, und das ist ihr Recht«. Und als ich fragte, was er machen würde, wenn seine Familie in einer Blutrache wäre, sagte er: »Ich würde machen, was alle tun«. Aber es gibt auch viele andere, die denken, dass es nur ein Bruderkrieg ist, eine Schiesserei, die so bald wie möglich einen Schluss haben soll. Für das wurden die sogenannten »Friedens Kommissionen« (Alb. Komisionet e Pajtimit) eingerichtet, die einiges geschafft haben, einige Familien sind jetzt in die Normalität zurückgekehrt. Aber wenn die Zahl der Fälle zunimmt, bedeutet das, dass die Arbeit von diesen Kommissionen nicht genug ist. Auch die Regierung muss diesen Bruderkrieg stoppen. Der Grund dafür ist klar: »Du hast jemandem getötet, Du bist ein Killer, Du musst ins Gefängnis, für denn Rest Deines Lebens.«
Die Frauen im Kanun
Man merkt heute einen »grossen« Unterschied auch zwischen Nord- und Südalbanien. Und das ist nicht nur das Klima oder die Landschaft, sondern auch der Lebensstandard, das Lebenskonzept und die Ökonomie. Der grösste Unterschied sind die Leute selbst: In Südalbanien gibt es kaum Blutrache, und die Leute wohnen zusammen in Frieden, ohne Angst, dass jemand sterben könnte, wenn er raus geht.
Welche Zukunft hat der Kanun?
Nach dieser und andere Angaben ist klar, dass der Kanun zu Ende geht. Es kann heute im 20. Jahrhundert nicht funktionieren mit Gesetzte des 13.Jahrhundert. Die Welt ist völlig anders. Wenn der Kanun weiter leben will, muss er unbedingt revidirt werden, wobei ich hoffe, dass nur die »guten« und aktuellen Regeln übernommen werden. Ich hoffe, die junge Albaner werden bald diese schwierige Aufgabe übernehmen. Aber wie gesagt, es ist das albanische Volk, das über seine Zukunft entscheiden wird.
Renato Çumani, aus Tirana, macht zur Zeit ein Nachdiplomstudium am Geographischen Institut der Universität Zürich
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