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Besetzte Botschaften

Im Juni vor zehn Jahren flüchteten Tausende von Albanern in ausländische Botschaften

Das Osteuropa der späten Achtziger war von Begriffen wie Perestrojka, Glasnost, Solidarnosc und dem Mauerfall geprägt. Anders in Albanien: Dort litt die Bevölkerung nach wie vor unter den katastrophalen wirtschaftlichen Problemen. Zwar leiteten die Nachfolger von Enver Hoxha einen geringen Kurswechsel von dessem stalinistischem Weg ein. Aber nur ganz selten kam es zu ersten Ungehorsamsäusserungen gegenüber der Führung der Partei der Arbeit. In einigen albanischen Städten gab es Demonstrationen und immer mehr Südalbaner flohen über die verschneiten Berge nach Griechenland. Eine Familie aus Korça kletterte im Februar 1990 in den Garten der italienischen Botschaft, wo sie während mehrerer Wochen ausharren musste. Andere suchten Rettung in der griechischen Botschaft.

Die Staatsführung suchte einen Zwischenweg zwischen Machterhalt und Liberalisierung, um einem ähnlichen Schicksal wie demjenigen Ceaucescus zu entgehen, und erlaubte mit der Zeit den Bauern, einige wenige Hühner und auch Vieh zu besitzen. Im Mai 1990 kam es dann zur beinahe revolutionären Aufhebung des Religions- und des Reiseverbots. Doch die Ausgabe der Pässe liess auf sich warten, was den Unmut vor allem der jungen Bevölkerung weiter schürte. Viele sahen für sich im eigenen Land keine Zukunft mehr. Verglichen mit den Bildern des italienischen Fernsehens versprach einzig eine Ausreise den verhofften Reichtum - oder zumindest ein Ende des Hungerns.

Im Juni kam es zu weiteren Protesten in der Hauptstadt. Die Angst vor der Sigurimi, der gefürcteten Staatssicherheit, bestand zwar nach wie vor. Die Repression hatte in der letzten Zeit aber stark nachgelassen, so dass doch viele Albaner das Verbotene wagten.

Am 1. Juli 1990 fuhr ein Lastwagen in die Wand, die die deutsche Botschaft umgab. Vier Männer nutzten die entstandene Öffnung, um auf dem Gelände Zuflucht zu suchen. Die Sigurimi schoss und verletzte einen von ihnen. Schon einige Tage zuvor wurde ein Flüchtender getötet, als er beim Versuch, in die französische Botschaft zu gelangen, von der Sigurimi zurückgehalten und vom Zaun aufgespiesst wurde. Schon am nächsten Tag befanden sich mehr als 60 Flüchtende in vier westlichen Botschaften. Am folgenden Tag suchten erneut 77 Menschen Zuflucht in der deutschen Botschaft. Wieder wurde einer durch Schüsse getötet. Bei Demonstrationen an den folgenden Tagen versuchte die Sigurimi verzweifelt, die Aufstände zu unterdrücken. Zwei Demonstranten wurden erschossen und viele verletzt. Durch diese Ereignisse wurde die Weltöffentlichkeit aber auf Albanien aufmerksam. Der Westen protestierte gegen die Gewalt der Staatssicherheit.

Der Stein war ins Rollen gekommen und die albanischen Behörden verloren endgültig die Kontrolle über das Land. Immer mehr Menschen strömten auf die Gelände der ausländischen Delegationen: Allein der deutsche Botschafter Werner Daum beherbergte am 6. Juli 1'500 albanische Gäste. Er berichtet, dass den Botschaften das Wasser abgestellt wurde, sie kein Brot kaufen durften und die Regierung diesen Staaten verbot, Flugzeuge mit Nahrung und Medikamenten nach Albanien zu schicken. Er erzählt von Menschen auf der Strasse, die eine Bäckerei stürmten, um mit dem Brot den Wagen der deutschen Botschaft zu füllen, und von der Geburt eines kleinen Mädchens namens Germana auf dem Gelände der Botschaft.

Als am 8. Juli Giovanni de Mistura, Abgesandter der UNO, in Tirana eintraf, drängten sich bereits 3'199 Flüchtende in der deutschen Botschaft. Neben Wasser und Essen war sogar der Platz zum Liegen und Sitzen knapp geworden. Rund 2000 weitere Albaner suchten in der französischen, italienischen und griechischen Botschaft Zuflucht.

Schlussendlich liess sich die albanische Regierung erweichen. In der Nacht vom 12. auf den 13. Juli wurden alle Flüchtende mit Bussen nach Durrës gefahren, worauf sie mit Fähren das Land verlassen konnten. Sie fuhren nach Italien und wurden in verschiedenen Ländern als Flüchtlinge aufgenommen.

Lars Haefner


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