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Trekking in den nordalbanischen Alpen

Ein Fluch laste auf diesen Bergen, so sagt zumindest deren Name. Tatsächlich gehört der Gebirgsteil »Bjeshket e Namuna« zu den wildesten Albaniens. So erstaunt es nicht, dass die Leute dort geheimnisumwobene Sagen über die Gefahren in diesen Bergen zu erzählen wissen. Wir hatten uns in den Kopf gesetzt, in diese Berge zu steigen

An einem Montagmorgen im Juli beginnt unsere Reise in Shkodër. Wir haben jemanden gefunden, der uns mit einem Geländewagen nach Theti fahren kann und uns dort am Donnerstag wieder abzuholen verspricht. Alles ist bereit, wir steigen - noch mit einem etwas mulmigen Gefühl - ein und fahren los. Mit dabei sind Fahrer, Beifahrer und Marcel und Gezim, zwei Kollegen von unseren Bekannten in Shkodër. Im Gepäck sind die nötigen Karten und ein Empfehlungsschreiben eines Geographieprofessors aus Shkodër.

Holprige Hinfahrt
Wir rollen auf der asphaltierten Ausfallstrasse dem See bei Shkodra entlang Richtung Westen. Respektvoll aber freundschaftlich grüsst der Fahrer die diensttuenden Polizisten an der Strassensperre nach den letzten Häusern. Von weitem erkenne ich den Veleçikut, ein Berg bei Racem, den wir vor zwei Jahren bestiegen haben, und zeige ihn dem Fahrer. Er ist überrascht, dass ein Fremder »seine« Berge kennt und freut sich. Das mulmige Gefühl ist verflogen. In Koplik biegen wir nach Norden ab. Die Kiesstrasse führt nach Boga, ein kleines Dorf mit ein paar Dutzend hinter Mauern und Hecken versteckten Häusern. Da und dort knabbert eine Ziege am Gras, die Felder sind geackert. Über dem Dorf liegen ein zum Teil stark gelichteter Waldgürtel und auf den Schultern des Trogtales Alpweiden.

Von da steigt der Talboden an, und die Strasse windet sich in unzähligen Kurven in die Höhe. Die Kalktürme, die sich links und rechts erheben, kommen uns näher. Nun ist definitiv kein anderes Auto mehr in Sichtweite. Plötzlich sind wir auf dem Pass, und der Blick öffnet sich: eine Aussicht wie aus einem Flugzeug auf das Tal von Thethi. Direkt unter uns liegt eine Alp, bei deren Häusern die typischen Dächer aus Laubästen sehr gut zu sehen sind. Im Sommer ist hier kaum Regen zu erwarten.

Ein Zimmer in Thethi
Nach gut drei Stunden holpriger Fahrt kommen wir in Thethi beim empfohlenen Haus an und verabschieden Fahrer und Beifahrer. Das zweistöckige Haus stammt aus der kommunistischen Zeit, als viele ein Anrecht auf zwei Wochen Ferien hatten. Es hat mehrere kleine Zimmer, die von einem Balkon aus zugänglich sind und auf jedem Stock zwei kombinierte Steh-WC/Duschen.

Der Besitzer, Lek Frasneri, schlägt vor, dass er für uns bei benachbarten Bauern Frischprodukte und im einzigen Laden in Thethi Kolonialwaren kaufen könne, und seine Frau lässt uns fragen, ob sie für uns kochen könne. Wir nehmen beide Angebote gerne an und sind auch froh darüber, dass Lek am folgenden Tag mit uns kommen will, um uns den Weg in die Berge zu zeigen. So kommen wir diesen Abend zu Spaghetti mit Tomaten, frischem Käse und Brot. Gegen Abend spielen die Nachbarn und andere Feriengäste Volley-Ball auf dem Feld vor dem Haus. Wir lassen uns auch zu einem Fussballspiel überreden.

Anhand der Karten Masstab 1:50'000, die wir mitgebracht haben, besprechen wir die Tour, die wir für den nächsten Tag planen.

Später sitzen wir im flackernden Licht der schwach glimmenden Glühbirnen auf der Terrasse mit Blick auf den Sternenhimmel und die Lichter der anderen Gehöfte. Wir fragen Lek, ob es hier auch Wölfe oder Bären gebe. Er bejaht, es gebe viele Wölfe und Bären hier, sie seien sehr scheu und kommen nur selten in die Nähe der Menschen. Wenn man so lange hier lebe wie er, habe man vielleicht schon einen Wolf gesehen, jüngere Leute jedoch kaum.

Aufbruch im Morgengrauen
Um vier Uhr morgens, im Morgengrauen, brechen wir auf und gelangen entlang von kleinen Bewässerungskanälen, die an Bissen im Wallis erinnern, zu den letzten Häusern von Thethi.

Dort überqueren wir den Fluss und gehen im breiten, nun weitgehend ausgetrockneten Flussbett talaufwärts. Die hohen Felswände, welche Thethi im Norden umgeben und das Tal abschliessen, liegen nun direkt vor uns. Noch ist es nicht ersichtlich, wo ein Weg durch diese Wand führen könnte.

Bei einer Quelle, die rundherum von Moos umgeben ist, füllen wir unsere PET-Flaschen noch einmal. Dann steigt der Weg durch einen Föhrenwald im Zickzack immer steiler an, führt auf ein Felsband hinaus und schliesslich über Geröll zu einem Pass. Der Weg führt an einem kleinen See vorbei auf eine Kuppe, wo wir frühstücken. Inzwischen ist es bereits halb acht geworden und die Sonne beginnt zu wärmen.

Fusha e Runicës
Nun öffnet sich vor uns der Blick auf ein Tal, welches in eine schmale Lücke bei der Grenze zu Montenegro mündet. Wir kommen bei einer Alp vorbei, bei der gerade die Kühe versammelt werden. Eine Talstufe tiefer, wieder unterhalb der Waldgrenze, liegt ein weicher grüner Talboden. Neben Alphütten weiden Pferde.

Wir setzen uns in den Schatten eines grossen Steines in der anderen Ecke der taufrischen Wiese, um uns etwas auszuruhen. Die Kinder der Alp spielen Fussball. Etwas später, als die Sonne stärker wird, kommen sie zu uns und beginnen mit Lek und uns zu plaudern.

Die Grenze
Ob wir zur Grenze wollten, fragt uns Lek, es sei nicht weit. Wir beschliessen, noch bis zur Geländekante am Rand der Wiese zu gehen. Von dort aus sehen wir in den nächsten Talkessel hinab. Lek zeigt uns die Lichtung, durch die die Grenze läuft. Dahinter verbirgt eine Biegung den weiteren Verlauf des engen Tales.

Etwas vom besonderen Gefühl ist zu spüren, welches vor allem die beiden Shkodrianer in unserer Gruppe erfüllt, die auch zum ersten Mal hier sind. Während fünfzig Jahren wäre hier der letzte albanische Militärposten gewesen und hätte jedem mit allen Mitteln den Durchgang verwehrt, erklären sie. Nun ist niemand mehr hier und wir könnten - aufrecht, so wie wir sind - zur Grenze gehen. Wir bleiben noch etwas sitzen und geniessen die friedliche Ruhe auf der Blumenwiese zwischen diesen Föhren. Lek geht schon zurück. Nachher, beim Pflücken der hier wachsenden Erdbeeren, erkennen wir die Steine der Mauer, bei welcher der letzte Posten gestanden hatte.

Wir gehen zurück und Gezim ruft über die ganze Alp: »Lek, o Lek« - wie bei Asterix. Lek tritt aus einem der dunklen Zelte hervor und wir begrüssen die beiden älteren, in Trachten gekleideten Frauen, die ihn verabschieden. Auf dem Rückweg gehen wir nicht mehr genau den selben Weg; wir folgen etwas mehr dem Schatten und erreichen bald die Waldgrenze.

Bei einer Quelle im Bachbett füllen wir nochmals die Flaschen und kommen nun direkt bei der oberen Alphütte in Stanet e Pejës vorbei. Die Hirten wollen uns unbedingt zu einem Kaffee mit Raki einladen oder wenigstens etwas Käse auf den Weg mitgeben und sind fast etwas verärgert, als wir dankend ablehnen, da wir rasch weiter wollen.

Majë Arapit - karge Karstlandschaft
Kurz darauf kommt der Felsturm Majë Arapit wieder in unser Blickfeld. Von der Passhöhe her wäre er zu Fuss erklimmbar. Vor zwei, drei Jahren seien Alpinisten in eine der Wände eingestiegen, um sie zu erklettern. In der kargen, verkarsteten Landschaft machen wir anhand der Karte den Weg aus, der mitten über diese Felsformen hinweg nach Vukli, in ein anderes Tal, führen soll.

Wir halten noch einmal an und Lek erzählt von einem Mädchen aus Thethi, in das sich einst ein junger Mann verliebt habe, als er auf der Wanderschaft im Tal vorbeigekommen sei. Da er jedoch aus Vukli stammte und seine Leute mit denen aus Thethi seit langem verkracht gewesen seien, habe der Vater des Mädchens einer Hochzeit nicht zugestimmt. Die jungen Leute hätten sich jedoch im Dunkeln davon gemacht und in der Einsamkeit dieser damals fruchtbaren Berge geheiratet. Als der Vater davon gehört habe, habe er einen Fluch ausgestossen und damit diese Gegend zur lebensfeindlichen Einöde gemacht.

Der Abstieg zurück durch die Felswand hindurch gestaltet sich beschwerlich. Durch die dünnen Sohlen der Turnschuhe beginnen die Shkodrianer die spitzen Steine zu spüren und die Sonne brennt. So sind wir froh, als wir den Talboden und dort die moosumwachsene Quelle erreichen. Kurz nach vier Uhr nachmittags kommen wir dann guten Mutes wieder beim Ferienhaus an.

Wasserfälle
Nun haben wir die Bedeutung des Wassers in einer Karst-Landschaft kennengelernt und freuen uns am nächsten Tag auf den Besuch eines Wasserfalles. Wir gehen auf der teils gepflästerten Strasse von Thethi unter Bäumen talabwärts, vorbei an Gehöften im relativ engen Trogtal.

Zu Fuss brauchen wir etwa anderthalb Stunden. Dann verlassen wir die Strasse und überqueren auf einer Holzbrücke eine kaum 4 m breite, aber über 10 m tiefe Schlucht, die sich der Fluss hier eingeschnitten hat. Auf der anderen Seite sehen wir den Wasserfall. Er springt über eine hohe, von Büschen und Moos überwachsene, steile Wand.

Das Wasser ist kühl, kommt es doch direkt vom 2414 m hohen Maja Boshit, und wir geniessen die Sonne, die heissen Steine, die Gischt und das kühle Wasser. Im Bachbett liegen besonders helle und dunkle Steine. Wir spielen Mühle. Lek kennt das Spiel und lässt uns im Direktvergleich keine Chance. Wir warten, bis der Regenbogen in der Gischt zu sehen ist.

Auf dem Rückweg gehen wir auf der anderen Talseite. An einem Baum hängen Früchte, die ich noch nie gesehen habe. Sie sehen aus wie längliche Brombeeren, sind aber fast weiss und wachsen an Stielen auf dem Baum. Lek pflückt uns einige: Sie sind gut - ziemlich süss sogar. Von Schatten zu Schatten gehen wir über Holzbrücken, entlang von Trockensteinmauern und geflochtenen Zäunen.

Rückfahrt
Am Donnerstag pünktlich um 9 Uhr werden wir wieder abgeholt, fahren über den Pass nach Boga und sind kurz nach 12 Uhr zurück in Shkodër.

Peter Waldner

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