Schwarz-Weiss Denken macht mir Mühe
Verfasst: Fr, 19. Okt 2007, 21:28
Hallo zusammen, ich hab ein sehr guten Artikel gefunden über eine Albanerin, die sich Gedanken über das "Jugo-Klischee" in der Schweiz macht und uns Albaner so wie es sein sollte in Schutz nimmt, ich bin sehr stolz solche Landsfrauen wie sie zu haben....
«Schwarzweiss denken macht mir Mühe»
Menschen aus Ex-Jugoslawien werden meist nur in Polizeimeldungen wahrgenommen – also negativ. Dass die Realität differenzierter ist, zeigt das Beispiel von Leonora Zajmi. «Saiten»-Redaktorin Sabina Brunnschweiler hat sie für ein Buch mit 20 Porträts interviewt.
Leonora Zajmi wurde 1961 in Gjakova (Kosova) geboren. Ihre Eltern waren Primar- und Sekundarlehrer, der Vater zudem Schuldirektor und Kulturminister der Stadt. Leonora Zajmi studierte Medizin in Pristina und arbeitete anschliessend in ihrer Heimatstadt als Ärztin. 1990 emigrierte sie aus politischen Gründen in die Schweiz, zusammen mit ihrem Mann und den zwei Töchtern Jeta und Besa. Ab 1993 engagierte sich Leonora Zajmi in Zürich und St. Gallen im Aufbau von Suchthilfeprojekten, und seit Oktober 2004 arbeitet sie in der Psychiatrischen Klinik Littenheid. In zwei Jahren wird sie den Titel der Fachärztin Psychiatrie und Psychotherapie FMH erhalten. Leonora Zajmi wohnt mit ihrer Familie in Gossau.
Wie muss man sich den Alltag in Gjakova vorstellen? War er stark anders, als Sie ihn heute in der Schweiz erleben?
Leonora Zajmi: Als ich ein Kind war, regierte Tito in Jugoslawien. Er schaffte es, eine gewisse Balance zwischen den Ethnien des Landes aufrechtzuerhalten. Im Vergleich zu den heutigen Verhältnissen in Kosova hatten wir damals ein gutes Leben. Kosova war aber auch unter Tito benachteiligt – das Stiefkind Jugoslawiens, sage ich immer. Der Staat investierte kaum in unsere Region, und das konnte man meiner Stadt ansehen: Die Strassen waren kaputt, die Infrastruktur blieb allgemein stark unterentwickelt. Für mich als Stadtkind mit gebildeten Eltern, das sogar Ferien im Ausland machte, bedeutete das Leben in der Schweiz aber bestimmt eine geringere Umstellung als für eine Bauerntochter vom Land.
War es in Pristina Ende der 70er- Jahre etwas Besonderes, dass Sie als Frau Medizin studierten?
Zajmi: Im Gegenteil! In meinem Jahrgang gab es sehr viele Studentinnen. Ein Vorteil des Sozialismus war, dass alle Zugang zum Studieren haben sollten. Auch viele Frauen vom Land studierten an der medizinischen Fakultät.
[…]
Erinnern Sie sich gerne an Ihre Studienzeit?
Zajmi: Grundsätzlich ja, wir waren jung und hatten eine gute Zeit. Aber es herrschte grosse Unzufriedenheit unter den Studierenden. Die Universitätsgebäude waren in katastrophalem Zustand, eine Renovation war längst überfällig. Tatsächlich kam es 1981 zu schweren Unruhen: Es fing damit an, dass ein Student in der Mensa sein Tablett auf den Boden schmiss – das Essen war ungeniessbar. Diese Aktion weckte plötzlich den gesamten Universitätsbetrieb. Und während wir eine Woche lang friedlich demonstrierten, schlossen sich Tag für Tag mehr Menschen an – nicht nur Studierende! Viele, die sich seit Jahren unterdrückt gefühlt hatten, nutzten die Möglichkeit, ihren Frust kundzutun. Aus ganz Jugoslawien wurden Polizisten geschickt – stellen Sie sich vor, wie viele das waren! Ich bin zum Glück :-) davongekommen, aber viele Demonstrierende wurden verprügelt, eingesperrt und teilweise zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Das war absolut unverhältnismässig – jedes Land kennt doch Studentenunruhen! Die jugoslawische Regierung handelte, als herrsche Krieg.
[…]
Welcher Umgang mit Ihrer Herkunft wurde Ihnen von den Eltern vermittelt? Waren die Eltern stolz, Kosova-Albaner zu sein?
Zajmi: Sie waren sehr stolz. Ich glaube, als Folge all der Diskriminierungen fühlten wir uns erst recht mit unserer Heimat verbunden. Auch heute noch ist meine ganze Familie stolz, aus Kosova zu stammen.
[…]
Gemäss Umfragen gehören Kosova-Albaner zu den unbeliebtesten Ausländern in der Schweiz. Bekommen Sie das zu spüren?
Zajmi: Ich würde lügen, wenn ich nein sagen würde. Neue Bekannte brauchen meistens eine Weile, bis sie merken, dass ich nicht dem gängigen Bild von Kosova-Albanern entspreche. Und plötzlich ändert sich das Gesprächsklima. Am schlimmsten ist es am Telefon: Versicherungsvertreter zum Beispiel hören meinen albanischen Namen sowie den Akzent und behandeln mich, als hätte ich keine Ahnung. Mittlerweile nenne ich in solchen Fällen ungefragt meinen Beruf samt Arbeitsort. Und prompt reagiert die Person am anderen Ende wie ein umgekehrter Handschuh.
Können Sie sich das schlechte Image erklären?
Zajmi: Es ist auf eine kleine Gruppe zurückzuführen. Noch in den 80er-Jahren galten meine Landsleute als fleissige, zuverlässige Gastarbeiter. Dann, zu Beginn der 90er-Jahre, desertierten viele junge Kosova-Albaner aus der jugoslawischen Armee und flüchteten in die Schweiz. Die Männer kamen allein, und einige liessen sich von Drogendealern blenden, wurden kriminell. Darüber haben Schweizer Zeitungen umfangreich berichtet, und das negative Bild der Kosova-Albaner war schnell konstruiert. Dieses Schwarzweissdenken macht mir Mühe.
Die Zukunftsperspektiven sind für die albanischen Jugendlichen in der Schweiz schlecht. Das tut weh. Sie bilden sich kaum aus und arbeiten oft als Hilfsarbeiter wie damals ihre Väter. Und ständig diese Nachrichten von Gewalt! Ich frage mich, wie stark die Aggressionen mit dem negativen Stempel zusammenhängen, der ihnen von Anfang an aufgedrückt wird. Grosse Verantwortung liegt bei den Familien, aber auch der Staat sollte sich um die Integration der Ausländer bemühen. In der Mehrheit werden diese Jugendlichen schliesslich einmal Schweizer werden.
Gibt es Charakterunterschiede zwischen Schweizern und Albanern?
Zajmi: Ich glaube, die Albaner sind gastfreundlicher. Der Familienzusammenhalt ist bei uns grösser. Wir unterstützen nicht nur die engste Familie, sondern fühlen uns auch für Cousins, Cousinen, Onkel, Tanten und so weiter verantwortlich. Und natürlich haben wir ein anderes Temperament. Wir feiern, tanzen und singen bei jeder Gelegenheit.
Finden Sie das Leben in der Schweiz manchmal langweilig?
Zajmi: Ja, manchmal. Aber andererseits bin ich selber schweizerisch geworden: Ich störe mich zum Beispiel viel schneller an Lärm als früher. Und während ich in meiner ersten Schweizer Wohnung noch irritiert war, dass mich die Nachbarn nicht zum Kaffee einluden, will ich heute selber nicht mehr aufdringlich sein und warte länger, bis ich jemanden zu mir nach Hause einlade.
[…]
Planen Sie immer noch, einmal ganz zurückzukehren?
Zajmi: Das ist die schwierigste Frage. Ich glaube nicht. Jeta studiert heute Psychologie, Besa macht diesen Sommer die Matura. Sie werden ihren Weg in der Schweiz gehen. Es freut mich jedoch, dass sie eine enge Beziehung zu unserem Heimatland haben. Diesen Sommer wollen sie sogar einen ganzen Monat in Kosova verbringen! Sie leben aber schon zu lange in der Schweiz, um ganz zurückzukehren. Mein Mann und ich werden nach der Pensionierung wohl pendeln: einige Monate in Kosova verbringen, dann wieder bei unseren Töchtern in der Schweiz leben.
Interview: Sabina Brunnschweiler
http://www.tagblatt.ch/index.php?artike ... hauptseite
«Schwarzweiss denken macht mir Mühe»
Menschen aus Ex-Jugoslawien werden meist nur in Polizeimeldungen wahrgenommen – also negativ. Dass die Realität differenzierter ist, zeigt das Beispiel von Leonora Zajmi. «Saiten»-Redaktorin Sabina Brunnschweiler hat sie für ein Buch mit 20 Porträts interviewt.
Leonora Zajmi wurde 1961 in Gjakova (Kosova) geboren. Ihre Eltern waren Primar- und Sekundarlehrer, der Vater zudem Schuldirektor und Kulturminister der Stadt. Leonora Zajmi studierte Medizin in Pristina und arbeitete anschliessend in ihrer Heimatstadt als Ärztin. 1990 emigrierte sie aus politischen Gründen in die Schweiz, zusammen mit ihrem Mann und den zwei Töchtern Jeta und Besa. Ab 1993 engagierte sich Leonora Zajmi in Zürich und St. Gallen im Aufbau von Suchthilfeprojekten, und seit Oktober 2004 arbeitet sie in der Psychiatrischen Klinik Littenheid. In zwei Jahren wird sie den Titel der Fachärztin Psychiatrie und Psychotherapie FMH erhalten. Leonora Zajmi wohnt mit ihrer Familie in Gossau.
Wie muss man sich den Alltag in Gjakova vorstellen? War er stark anders, als Sie ihn heute in der Schweiz erleben?
Leonora Zajmi: Als ich ein Kind war, regierte Tito in Jugoslawien. Er schaffte es, eine gewisse Balance zwischen den Ethnien des Landes aufrechtzuerhalten. Im Vergleich zu den heutigen Verhältnissen in Kosova hatten wir damals ein gutes Leben. Kosova war aber auch unter Tito benachteiligt – das Stiefkind Jugoslawiens, sage ich immer. Der Staat investierte kaum in unsere Region, und das konnte man meiner Stadt ansehen: Die Strassen waren kaputt, die Infrastruktur blieb allgemein stark unterentwickelt. Für mich als Stadtkind mit gebildeten Eltern, das sogar Ferien im Ausland machte, bedeutete das Leben in der Schweiz aber bestimmt eine geringere Umstellung als für eine Bauerntochter vom Land.
War es in Pristina Ende der 70er- Jahre etwas Besonderes, dass Sie als Frau Medizin studierten?
Zajmi: Im Gegenteil! In meinem Jahrgang gab es sehr viele Studentinnen. Ein Vorteil des Sozialismus war, dass alle Zugang zum Studieren haben sollten. Auch viele Frauen vom Land studierten an der medizinischen Fakultät.
[…]
Erinnern Sie sich gerne an Ihre Studienzeit?
Zajmi: Grundsätzlich ja, wir waren jung und hatten eine gute Zeit. Aber es herrschte grosse Unzufriedenheit unter den Studierenden. Die Universitätsgebäude waren in katastrophalem Zustand, eine Renovation war längst überfällig. Tatsächlich kam es 1981 zu schweren Unruhen: Es fing damit an, dass ein Student in der Mensa sein Tablett auf den Boden schmiss – das Essen war ungeniessbar. Diese Aktion weckte plötzlich den gesamten Universitätsbetrieb. Und während wir eine Woche lang friedlich demonstrierten, schlossen sich Tag für Tag mehr Menschen an – nicht nur Studierende! Viele, die sich seit Jahren unterdrückt gefühlt hatten, nutzten die Möglichkeit, ihren Frust kundzutun. Aus ganz Jugoslawien wurden Polizisten geschickt – stellen Sie sich vor, wie viele das waren! Ich bin zum Glück :-) davongekommen, aber viele Demonstrierende wurden verprügelt, eingesperrt und teilweise zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Das war absolut unverhältnismässig – jedes Land kennt doch Studentenunruhen! Die jugoslawische Regierung handelte, als herrsche Krieg.
[…]
Welcher Umgang mit Ihrer Herkunft wurde Ihnen von den Eltern vermittelt? Waren die Eltern stolz, Kosova-Albaner zu sein?
Zajmi: Sie waren sehr stolz. Ich glaube, als Folge all der Diskriminierungen fühlten wir uns erst recht mit unserer Heimat verbunden. Auch heute noch ist meine ganze Familie stolz, aus Kosova zu stammen.
[…]
Gemäss Umfragen gehören Kosova-Albaner zu den unbeliebtesten Ausländern in der Schweiz. Bekommen Sie das zu spüren?
Zajmi: Ich würde lügen, wenn ich nein sagen würde. Neue Bekannte brauchen meistens eine Weile, bis sie merken, dass ich nicht dem gängigen Bild von Kosova-Albanern entspreche. Und plötzlich ändert sich das Gesprächsklima. Am schlimmsten ist es am Telefon: Versicherungsvertreter zum Beispiel hören meinen albanischen Namen sowie den Akzent und behandeln mich, als hätte ich keine Ahnung. Mittlerweile nenne ich in solchen Fällen ungefragt meinen Beruf samt Arbeitsort. Und prompt reagiert die Person am anderen Ende wie ein umgekehrter Handschuh.
Können Sie sich das schlechte Image erklären?
Zajmi: Es ist auf eine kleine Gruppe zurückzuführen. Noch in den 80er-Jahren galten meine Landsleute als fleissige, zuverlässige Gastarbeiter. Dann, zu Beginn der 90er-Jahre, desertierten viele junge Kosova-Albaner aus der jugoslawischen Armee und flüchteten in die Schweiz. Die Männer kamen allein, und einige liessen sich von Drogendealern blenden, wurden kriminell. Darüber haben Schweizer Zeitungen umfangreich berichtet, und das negative Bild der Kosova-Albaner war schnell konstruiert. Dieses Schwarzweissdenken macht mir Mühe.
Die Zukunftsperspektiven sind für die albanischen Jugendlichen in der Schweiz schlecht. Das tut weh. Sie bilden sich kaum aus und arbeiten oft als Hilfsarbeiter wie damals ihre Väter. Und ständig diese Nachrichten von Gewalt! Ich frage mich, wie stark die Aggressionen mit dem negativen Stempel zusammenhängen, der ihnen von Anfang an aufgedrückt wird. Grosse Verantwortung liegt bei den Familien, aber auch der Staat sollte sich um die Integration der Ausländer bemühen. In der Mehrheit werden diese Jugendlichen schliesslich einmal Schweizer werden.
Gibt es Charakterunterschiede zwischen Schweizern und Albanern?
Zajmi: Ich glaube, die Albaner sind gastfreundlicher. Der Familienzusammenhalt ist bei uns grösser. Wir unterstützen nicht nur die engste Familie, sondern fühlen uns auch für Cousins, Cousinen, Onkel, Tanten und so weiter verantwortlich. Und natürlich haben wir ein anderes Temperament. Wir feiern, tanzen und singen bei jeder Gelegenheit.
Finden Sie das Leben in der Schweiz manchmal langweilig?
Zajmi: Ja, manchmal. Aber andererseits bin ich selber schweizerisch geworden: Ich störe mich zum Beispiel viel schneller an Lärm als früher. Und während ich in meiner ersten Schweizer Wohnung noch irritiert war, dass mich die Nachbarn nicht zum Kaffee einluden, will ich heute selber nicht mehr aufdringlich sein und warte länger, bis ich jemanden zu mir nach Hause einlade.
[…]
Planen Sie immer noch, einmal ganz zurückzukehren?
Zajmi: Das ist die schwierigste Frage. Ich glaube nicht. Jeta studiert heute Psychologie, Besa macht diesen Sommer die Matura. Sie werden ihren Weg in der Schweiz gehen. Es freut mich jedoch, dass sie eine enge Beziehung zu unserem Heimatland haben. Diesen Sommer wollen sie sogar einen ganzen Monat in Kosova verbringen! Sie leben aber schon zu lange in der Schweiz, um ganz zurückzukehren. Mein Mann und ich werden nach der Pensionierung wohl pendeln: einige Monate in Kosova verbringen, dann wieder bei unseren Töchtern in der Schweiz leben.
Interview: Sabina Brunnschweiler
http://www.tagblatt.ch/index.php?artike ... hauptseite