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Blutrache

Verfasst: Di, 21. Nov 2006, 17:26
von nicechica
Hallo zusammen
Ich besuche zur Zeit die Fachmittelschule und muss für meinen Abschluss eine Arbeit schreiben. Ich habe das Thema Blutrache in Albanien gewählt und wollte mal fragen ob vielleicht jemand von euch etwas tiefergründige Informationen dazu hätte oder sogar jemanden kennt, der selber involviert ist. Ich freue mich über jede Antwort und danke schon im voraus.
Nadia

Verfasst: Di, 21. Nov 2006, 17:40
von carla
Lies doch mal zur Einstimmung "Der zerissene April" von Ismael Kadare.

Verfasst: Di, 21. Nov 2006, 17:42
von nicechica
Danke, aber das habe ich schon gelesen und auch viele Antworten auf meine Fragen bekommen. Doch mein Problem ist, dass ich einen Eigenanteil haben muss wo ich Interviews durchgeführt habe. Danke trotzdem.

Verfasst: Di, 21. Nov 2006, 17:44
von lorenc ukgjini
Liess den Kanun von Leke Dukagjini. Um interviews zu machen müsstest du schon nach Albanien gehen.

Verfasst: Di, 21. Nov 2006, 17:47
von nicechica
ja danke, das werde ich mal machen. Aber ich glaube, dass es auch Leute gibt, die geflüchtet sind und jetzt nicht mehr in Albanien leben. Ich weiss, dass es schwer ist, jemanden zu finden, der etwas darüber weiss.

Verfasst: Mi, 22. Nov 2006, 11:32
von kosovar
ich habe ein interesanten text für dich , der könnte dir weiterhelfen.


"Der, der verzeiht, ist ein besserer Mensch"


– Im Norden Albaniens gehört die Blutrache immer noch zum Alltag

Bonn, 17.8.2004, DW-RADIO, Lindita Arapi


Albanien ist zwar schon seit dem Ende des Kommunismus auf dem Weg zum modernen, demokratischen Rechtsstaat. Doch noch immer gibt es Regionen, vor allem im vorwiegend katholischen Norden Albaniens, wo die Menschen am traditionellen Gewohnheitsrecht - "Kanun" - festhalten. Und das sieht auch Blutrache, (auf Albanisch – MD) "Gjakmarrja" vor. Und die kann über mehrere Generationen gehen. In der Vergangenheit sind sogar komplette Familien umgebracht worden. Zwar hat der Staat die Strafen für Blutrache vor drei Jahren verschärft, und es ist auch gelungen, mehr als 3.000 verfeindete Familien zu versöhnen. Doch ganz verschwunden ist die Blutrache noch nicht. Und selbst diejenigen, die sich für Versöhnung einsetzen, leben gefährlich, wie Lindita Arapi festgestellt hat.


Pal Hila steht jeden Morgen sehr früh auf und raucht seine erste selbst gedrehte Zigarette schon in seinem Schlafzimmer. Was bringt der neue Tag? Was werden die Kinder essen? Das sind seine ersten Gedanken. Das Haus verlassen kann er nicht, seit Jahren schon kann er keiner geregelten Arbeit nach.


Hila: "Den Tag verbringe ich hier drin. Wenn es Strom gibt, gucke ich Fernsehen, lese irgendwann eine Zeitung. Was soll ich sonst machen? Wie kann man, wenn man nicht in die Außenwelt gehen kann, ohne Angst leben? Wenn du mutig bist, kannst du rausgehen - und sterben!"


Seit neun Jahren lebt Pal Hila mit der Angst vor der Blutrache. Sein Zuhause ist ohne richtiges Dach, ohne Wasserleitung, auch die Stromleitungen sind nur schlecht isoliert. Weil er nicht arbeiten kann, versinkt die Familie des 54-Jährigen in Schulden. Die 30 Euro monatliche Hilfe vom Staat reichen bei weitem nicht zum Überleben. Gelegentlich verdient seine Frau etwas Geld mit Putzen. Sie kann sich frei bewegen, denn Frauen sind von der Blutrache ausgeschlossen.


Der Leidensweg der Familie begann 1995, als Pal Hilas Bruder bei einem Streit Mëhill Qyteti tötete. Der Täter kam zwar ins Gefängnis, doch die Familie Qyteti schwor Blutrache. Wie viele andere, die von Blutrache bedroht sind, floh Pal Hila mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen aus dem Gebirge in die Stadt. Mittlerweile hat sich aber dort in der Nähe auch die Familie Qyteti niedergelassen. Und vor zwei Jahren brachten die Töchter des Ermordeten Pal Hilas 17-jährigen Sohn Zefin um, nur wenige Meter vor seinem Haus. Die beiden Schwestern wurden daraufhin ebenfalls zu langen Gefängnisstrafen verurteilt.


Obwohl enge Freunde beider Familien versuchen zu vermitteln, ist die Feindschaft zwischen den beiden Familien noch immer nicht beendet. Pal Hila muss also weiter um sein Leben fürchten. Er selbst will keine Rache für seinen Sohn Zefin. Mit müder Stimme sagt er:


"Der, der verzeiht, ist ein besserer Mensch, ihm gebührt Ehre, er ist sogar stärker."


Die Familie Qyteti will sich zu der Familien-Fehde nicht äußern. Ein Interview lehnt sie ab.


Auch wenn jüngste Statistiken einen deutlichen Rückgang von rund 70 Prozent der Fälle zeigen - Blutrache ist in Albanien nach wie vor präsent. Ursprünglich war sie typisch für die katholische Bergbevölkerung. Aber nach und nach sind auch Moslems betroffen. Die Behörden zählen allein in der Region Shkodra immer noch fast 300 in Blutrache verfeindete Familien. Mehr als 60 gelten als isoliert, das heißt, die männlichen Familien-Mitglieder wagen nicht, das Haus zu verlassen. Die Zahl der Kinder, die nicht zur Schule gehen können, ist in dieser Region zwar gesunken, doch es handelt sich noch immer um 30 Schüler.


Emin Spahija hat bis vor kurzem eine sehr aktive Nicht-Regierungs-Organisation geleitet, die derartige Familien-Fehden zu schlichten versucht: die Liga der Friedensmissionare Albaniens. Warum es nach wie vor Blutrache gibt, erklärte er in einem Interview mit der Deutschen Welle so:


"Die wichtigsten Gründe sind das schlecht funktionierende Rechtssystem und der fehlende Respekt vor dem Gesetz. Der Staat muss das rechtsstaatliche Bewusstsein in der Gesellschaft stärken. Viele haben Angst, ein Verbrechen zu melden, weil sei kein Vertrauen in die Justiz haben."


Anfang August wurde Emin Spahija unter mysteriösen Umständen umgebracht. Musste er seine Mission mit dem Leben bezahlen? Schließlich wagte er es, dubiose Vermittler-Organisationen offen zu kritisieren. Sie betrieben profitable Geldgeschäfte mit der Blutrache, so Spahija:


"Da sind Millionen Dollar im Spiel, die im Grunde an Organisationen gehen, die von der Blutrache profitieren. Diese Organisationen sind sogar daran interessiert, dass es keinen Frieden in Albanien gibt. Wenn es eine gemeinsame Arbeit aller Institutionen gäbe, die für das gemeinsame Ziel arbeiten - nämlich die Abschaffung der Blutrache -, dann wäre das auch ein realisierbares Ziel."


Auch Pal Hila hat mittlerweile das Vertrauen in den Staat und die Versöhnungs-Vermittler verloren. Die Angst, selbst als nächstes ermordet zu werden, hat ihn um Jahre altern lassen. Auch in die Polizei setzt er keine Hoffnungen:


"Die Polizei ist einige Male hier gewesen. Die sagen nur, das was sie sagen müssen. Aber was können sie tun? Die Hilfe vom Staat ist in diesem Fall sehr klein."


Pal Hila und seine Frau Lula haben trotz aller Leiden einen Lichtblick in ihrem Leben:


Sohn Emanuel ist gerade 6 Monate alt. Die stolzen Eltern sagen, er habe wieder Freude in den traurigen Alltag gebracht. (MK)

http://www.dw-world.de/dw/article/0,,1301005,00.html

nichtmal kinder dürfen zur schule gehen und wachsen meistens als analphabeten auf , man kann auch nicht fliehen denn es gab schon fälle wo sich welche nach 50 jahren gerächt haben. blutrache wird auch bei autounfällen angewendet. es lief mal eine sehr interesante reportage auf VOX über die blutrache.

Verfasst: Mi, 22. Nov 2006, 12:44
von nicechica
Vielen Dank für deine Antwort.
Wann lief denn diese Reportage auf Vox? Ist das schon länger her?

für nicechica.: Am Thema noch interessiert?

Verfasst: Mo, 18. Dez 2006, 16:58
von lawyer
Hätte Info für Dich :)

Verfasst: Mo, 18. Dez 2006, 17:03
von Kusho
zum Topic

Blutrache gab es in es in der Familie meiner Mutter vor etwa 20 Jahren.
Gab auf beide seiten tote, je 1 Mann.

Blutrache kommt aber nicht mehr so viel vor, wenn dann in pejë oder Drenicë.

MfG

Blutrache in Basel

Verfasst: Mo, 18. Dez 2006, 18:54
von lawyer
In Basel gab es im April 2000 einen Mord an einem jungen Kosovaren durch dessen Schwiegermutter, weil er deren Tochter (17) nach albanischem Ritus geheiratet hatte, obwohl er bereits in der Schweiz legal verheiratet war. Ich habe mit den Beteiligten gesprochen und die Geschichte des Prozesses (2002) zu einem Tatsachenbericht gemacht, der im Februar bei Orell Füssli erscheinen wird. Die Mörderin wurde nach dem Strafvollzug aus der Schweiz ausgewiesen, wodurch die ganze Familie, die mit vielen Problemen zu kämpfen hatte, schweren Schaden erlitt.

Verfasst: Mo, 18. Dez 2006, 19:08
von nicechica
danke für deine Info lawyer, aber leider schreibe ich über die Blutrache in Albanien, deshalb ist mir das nicht sehr nützlich! Trotzdem vielen Dank!

Verfasst: Mo, 18. Dez 2006, 19:21
von Darleen17
Als wir in Albanien waren, vom 10.11. bis 2.12., wurde eine Frau Opfer von Blutrache.
Ihr Sohn hatte im Ausland (bin mir nicht mehr sicher ob es Spanien oder Frankreich war) einen anderen Albaner erschossen. Daraufhin hat jemand von der Familie des Opfers der Mutter des Täters aufgelauert und sie erschossen. Das war in aller Munde, weil es eben bewusst eine Frau getroffen hat. Einige Tage später hat jemand von der Familie des ersten Täters und der erschossenen Frau, 2 Männer der anderen Familie erschossen und einen anderen verletzt. Das ganze spielte sich in Durres ab. Vielleicht hast du ja davon gehört.

Das Frauen Opfer von Blutrache werden, ist eigentlich nicht die Regel.

Die Familie des ersten Täters hat angekündigt, bis zum Jahresende noch 30 weitere Familienmitglieder der anderen Familie umzubringen. Aber ob es noch mehr Opfer bis jetzt gibt, ist mir nicht bekannt.

Verfasst: Mo, 18. Dez 2006, 19:26
von Lars
Frauen die morden und ermorderten werden - das hat mit dem Kanun aber überhaupt nichts zu tun.

Die Blutrache wäre kaum problematisch, wenn die Leute sich an die Regeln des Kanun halten würden. Aber meist wird der Kanun nur als Vorwand genommen, um irgendwelche Verbrechen zu rechtfertigen.

Verfasst: Mo, 18. Dez 2006, 19:31
von Valon
Ich finde diese Blutrache total unbrüderlich und sollte eigentlich nicht
in unserer Kultur miteinbezogen werden. Das ist sehr traurig und der
Bericht von kosovar hat mich voll schockiert.

Bei uns in der Familie hat es zum Glück nie sowas gegeben.
Und auch sonst so in der Vergangenheit hat unsere Familie nichts
davon mitgekriegt.

Ich weiss nur 2002 in Mitrovica genau auf unserer Straße wurde
ein 19- Jähriger erschossen. Ich habe nur die Schüsse gehört bin
nach draußen hingeganen. Das Auto hab ich zwar nicht gesehn nur
noch die Leiche und seine arme Mutter die ihren toten Sohn fest hielt
mein Onkel und mein Vater gingen natürlich auch sofort raus und brachte
die Frau zu uns rein ich wurde da auch sofort weggeschickt. War schon ein sehr mulmiges Gefühl in dieser Nacht und 3 Tage danach konnte ich weder klar denken noch richtig reden auch heute noch sehe ich die Frau vor mir wie sie ihren Sohn anfleht "zurück zu kehren"... Das noch traurigere ist aber daran das der Junge aus Versehen erschossen wurde die dummen Mörder hatten jemand anderes getötet dabei war die Kugel für jemand anderes gedacht der 2 Häuser weiter Basketball gespielt hat. :x Hat zwar nicht so sehr mit dem Thema zu tun wollte aber auch kurz dieses Erlebnis schildern weil es wirklich traurig ist das Albaner Verbrechen auf ihre eigenen Leute begehen.

Përshendetje.

Frauen und Blutrache

Verfasst: Mo, 18. Dez 2006, 19:31
von lawyer
Ja, Darleen, das ist ganz interessant, was Du schreibst. Ich habe auch gelesen, dass nach dem Kanun die Frauen wie die Geistlichen nicht ins Blut fallen, also nicht Gegenstand der Blutrache sein können. Anderseits ist die ( mehrheitlich feministisch ausgerichtete) Medienberichterstattung ganz auf Fälle ausgerichtet, in denen Frauen, die sich z.B: einer abgekarteten Heirat widersetzen vom Vater oder einem Bruder hingerichtet werden. In dem Fall, den ich untersucht habe,ist auffällig, dass es eine Frau war, welche die "verlorene Ehre der Tochter" gesühnt hat, vielleicht weil der Ehemann in der Schweiz gut ingegriert war und vergeblich auf amtliche Hilfe gehofft und von eigenen Massnahmen abgesehen hatte.

Verfasst: Mo, 18. Dez 2006, 19:32
von nicechica
vielen dank für eure Infos, ich bin froh über jede neue Info!
Darleen17, weisst du vielleicht noch mehr Hintergründe der Blutrache in Albanien oder hast du nur von diesem Vorfall gehört?

Verfasst: Mo, 18. Dez 2006, 19:43
von nicechica
Valon was du geschrieben hast finde ich etwas sehr schlimmes, du warst damals bestimmt noch ein Kind und für die ist es meist noch schlimmer so etwas zu verarbeiten! Ich finde es auch sehr schlimm dass man die eigenen Landsleute töten muss nur der Ehre wegen! Das finde ich einfach nur schrecklich...!! Mein Freund ist auch Albaner und ich bin froh, ist seine Familie nicht von der Blutrache betroffen!

Verfasst: Mo, 18. Dez 2006, 19:48
von Darleen17
Nein, ich weiss leider nicht mehr über die Blutrache. Mein Mann kommt zwar aus der Hochburg der Blutrache, aus Nordalbanien, aber unsere Familie ist davon nicht betroffen. Jedenfalls im Moment nicht.

Aber als wir dort waren, kam in den Nachrichten, das ein Mann von Deutschland ausgewiesen wurde und da in albanischen Nachrichten ja immer die vollen Namen genannt werden, sprangen plötzlich alle auf und lautes Gerede war im Gange. Mein Mann klärte mich auf, das dieser Mann vor Jahren seinen Cousin erschossen hat, woraufhin der Vater seines Cousins den Vater der Familie des Täters erschoss. Nun ist der damalige Täter wieder in Albanien und mein Mann meinte, darauf hat die Familie seines Cousins nur gewartet. Keine Ahnung was jetzt passieren wird.

Aber die genauen Hintergründe zur Blutrache kenne ich auch nicht sonderlich gut.

Verfasst: Mo, 18. Dez 2006, 19:56
von lorenc ukgjini
Jaja, die Blutrache.
Mein Grossvater mütterlicherseits wurde auch ermorden, sogar vor den Augen meiner Mutter, Grossmutter, Onkel ect. darum waren wir Jahrelang "im Blut". Aber naja, aber wir hatten besseres zu tun als den Tod zu rächen, aber verziehen haben wir erst später, ... ist auch recht komich wie das abgeht. Die ganzen Männer versammeln sich im Dorf aber reden nichts. Es sind eins oder mehre Priester anwesend, die besprechen, dann kommen die "Mörder", aber sagen tuhen sie nichts. Und irgendwie Regeln dan die Pfarrer das die Blutrache fertig ist und so weiter und sofort.

Blutrache und Frauen

Verfasst: Mo, 18. Dez 2006, 20:00
von lawyer
Lars, dass Frauen mit der Blutrache nach dem Kanun nichts zu schaffen haben, ist schon richtig. Trotzdem ist es wohl etwas komplexer als dass Du einfach sagen kannst, das hat mit dem Kanun überhaupt nichts zu tun. Aber die Vorstellung, dass der Familienverband sich selbst - vor der staatlichen Macht - rächen muss, ist der Kern des Kanuns und kann auch die Frau ergreifen, gerade wenn sie wie in der Schweiz plötzlich selbst als handelndes Subjekt selbstbewusst erwacht.Der Kanun bleibt natürlich ein verabscheuungswürdiges Regelwerk, auch wenn er wohl gleich wie das staatliche Strafrecht die Abschreckung und Begrenzung des Verbrechens bezweckt.