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Albanien: „Haben noch harte Arbeit vor uns“
Mit einer Flat Tax von zehn Prozent sollen Investoren ins Land gelockt werden.
TIRANA. Drande Kolgropçaj muss nicht lange nachdenken. „Was mein größter Wunsch ist? Dass wir ordentliche Straßen bekommen – und eine Wasserleitung.“ Die 54-jährige Frau wohnt in Bratash, einem Weiler nahe des nordalbanischen Ortes Kastrat. Noch vor Monaten mussten die Frauen von Bratash stundenlang mit Eseln zu einer Wasserentnahmestelle marschieren. Jetzt gibt aber einen neuen Brunnen, der viel rascher erreichbar ist. Er wurde in der Gemeinde Kastrat errichtet, gleich am Platz bei der Kirche, inmitten der niedrigen Häuser mit den roten Dachschindeln. Gebaut wurde der Brunnen mit Hilfe aus Österreich. Die „Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit“ (OEZA) finanziert zahlreiche Projekte zur Wasser- und Stromversorgung in Albanien.
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„Wir kommen nur schwer raus“
Trotz all der Schwierigkeiten im Dorf haben sich die Lebensbedingungen in den vergangenen Jahren verbessert, sagt Kolgropçaj. Nur das Familienleben gestalte sich heute komplizierter. „Fast alle unsere Söhne sind weg und arbeiten im Ausland. Die meisten sind in Italien. Wir sehen sie nur einmal im Jahr.“ Auch ansonsten ist Besuch eher selten: „Neue Straßen würden für uns wirklich einen großen Unterschied machen. Es kommt fast niemand hierher, und wir kommen nur schwer hinaus.“
Um aus Kastrat hinauszukommen, muss man enge Schotterwege passieren, vorbei an Hirten, die ihre Schafe über die felsigen Hügel treiben – und vorbei an der Silhouette des Shkodra-Sees. Das gleichnamige Städtchen verströmt heute mediterranes Flair. Jugendliche tummeln sich in den Lokalen und Eissalons. Nichts erinnert mehr an die drückende Stimmung von 1999, als nur wenige Kilometer entfernt, auf der anderen Seite der Grenze, Krieg tobte und zahllose Flüchtlinge aus dem Kosovo Unterschlupf gesucht hatten.
Auch in Albaniens Hauptstadt Tirana hat sich viel verändert. Die „wilden“ Verkaufsstände und Müllberge in den Straßen sind längst verschwunden, die Gebäude im Stadtzentrum wurden mit knalligen Farben bemalt. Mit den Behausungen der Roma hat man auch das sichtbarste Zeichen der Armut aus dem Zentrum entfernt – jedoch ist das eine optische Maßnahme. Denn jetzt leben viele völlig mittellose Roma an anderen Orten der Stadt, etwa im Stadtteil „Kinostudio“.
Doch in Tirana stehen einander nicht mehr nur extrem Arme und Reiche gegenüber. Eine zwar noch relativ kleine, aber wachsende Mittelschicht genießt hier das Nachtleben – im „Flex“ und zahlreichen anderen Lokalen im Zentrum der Stadt. Wer etwas mehr Geld hat, geht am Abend ins „Taiwan“, und lässt sich vor einem in buntes Licht getauchten Springbrunnen Cocktails schmecken.
Zwar gehören die Löhne in Albanien noch immer zu den niedrigsten in Europa. Das Land kann sich aber über ein Wirtschaftswachstum vom fünf Prozent freuen. Die Inflation liegt bei etwa zwei Prozent, die Arbeitslosigkeit bei offiziell 13,9 Prozent. Wie viele Albaner am Staat vorbei in der Schattenwirtschaft tätig sind, ist schwer einzuschätzen.
Viele österreichische Investoren
Albaniens Premier Sali Berisha zeigt sich jedenfalls optimistisch. „Wir haben das Wirtschaftsklima im Land zum Positiven verändert“, berichtet der Regierungschef in seinem Amtssitz gleich neben dem Hotel Rogner der „Presse“. Rogner zählte zu den ersten österreichischen Unternehmen, die in Albanien Fuß gefasst hatten. Mittlerweile folgten andere wie Raiffeisen, Uniqa, EVN und VA Tech.
Man habe die Zeit, die es braucht, um einen Betrieb anzumelden, von 42 auf acht Tage verkürzt, schwärmt der Premierminister. Dazu komme eine neue Flat Tax von zehn Prozent. Berisha verspricht sich von diesen Maßnahmen einen Anstieg der ausländischen Investitionen. Dass es für Albanien noch viele Probleme zu lösen gibt, gesteht aber auch er ein: „Wir haben noch harte Arbeit vor uns.“ Es gelte, den Kampf gegen Korruption und die Reform der Institutionen zu konsolidieren.
Im Juni vor einem Jahr unterzeichnete Albanien das Assoziierungsabkommen mit der EU. Der Betritt zur Union bleibt auch das Fernziel des südosteuropäischen Staates. Auf Spekulationen über ein mögliches Beitrittsdatum will sich Berisha im „Presse“-Gespräch aber nicht einlassen: „Wir werden früher beitreten, als ich das jetzt vorhersehen könnte.“
Bei allem Aufschwung hat Albanien noch eine weiten Weg zurückzulegen. Selbst die neue Nightlife-Idylle in Tirana wurde zuletzt immer wieder empfindlich gestört – durch Stromausfälle. Albaniens Energiewirtschaft ist reformbedürftig. Das Stromnetz ist veraltet, viele Albaner zweigen Elektrizität ab, ohne zu bezahlen.