Di, 04. Mär 2008, 0:18
Ich möchte als krönenden Abschluss dieses wertvoll historischen Tages, sozusagen, euch in meinen Eindrücken und Erlebnissen Einblick gewähren. Ich habe diese Gedanken am 17. und 18. zur später, resp. frühen, Stunde auf Blatt Papier gekritzelt und wusste nicht so recht, ob ich sie hier reinposten soll, weil sie zum Teil sehr persönlich und ausführlich geschrieben sind.. naja aber da es sich um diesen speziellen Tag handelt, ist es mir das Wert! Ich hoffe ich kriege von euch, auch ein paar Schilderungen dieses Tages, zu Gesicht!
Möchte vorweg warnen, dass es sehr sehr lang ist und möglicherweise mag es in einigen Ohren kitschig klingen.. naja
Herannahende Augenblicke der zeitlosen Überschwänglichkeit tilgen die trauerreichen Jahre der Vergangenheit
Es war ein für diese Jahreszeit ungewöhnlich sonniger Samstag gewesen. Gewöhnlich, sind Samstage für mich, nichts Besonderes, nichts Aussergewöhnliches, doch an diesem Tag verspürte ich eine innere Unruhe, die einschneidenden Einfluss auf meine Wahrnehmung und den Verlauf des Tages, einnahmen. Ich lehnte meinen Rücken an die wärmende Heizung und versuchte mich mit Lesen zu beschäftigen. Ich wollte irgendwie nicht an den Zustand und an die Menschen denken, die mir was bedeuteten und auf heimatlicher Erde das Unerwartete erwarteten, weil die Ungewissheit und die möglicherweise eintretende Enttäuschung dieser wenigen Menschen und unserer Heimat, jeden Windstoss meiner Kraft, in eine abgeschwächte Brise umwandelten. Ich las konzentriert und wollte geistige Ströme in einem Kerker des Vergessens verbannen, doch zwischen den Zeilen malte ich die schlimmsten Szenarien aus. Was, wenn alles nur Wunschdenken war? Was, wenn dieser freiheitliche Ausruf in einem Hall von weltlichem Gelächter untergeht?
Verwirrt, legte ich schliesslich nach etlichen Versuchen das Buch zur Seite und wollte die Stille und die erhellenden Sonnenstrahlen, die das Zimmer in einem Würfel der Melancholie umkreisten, stören. Ich begab mich also zum Fenster und schob den Vorhang zur Seite. Die Augen erblickten die ansehnlichen Alpen und eine langsam untergehende Abendsonne, die in ihrer Erscheinung, rötlicher gar nicht sein konnte. Sie erinnerte mich sehr stark an die heimatlichen Sonnenuntergänge, an die Sommerzeit in Kosova, wo Schweissperlen und vertraute Stimmen unter den Fußballspielenden den Rasen mit Leben einhauchten, wo Grosseltern und Verwandte gelassen, vom Balkon aus, auf die grossflächige Wiese Sichtfeld hatten, miteinander plauderten und einen „Soki“ dazutranken. Die aufgeflammte Sehnsucht hatte ihren Tribut. Schwermut stand mir in’s Gesicht geschrieben und Erinnerungen fühlten sich wie ein Halbschlaf unter tausend feinen Nadeln, an.
Der Abend und die damit verbundene Dunkelheit brachen hinein. Irgendwie lösten sich mit jedem Bild der feiernden Bevölkerung in Prishtina, Bedenken und Unsicherheit, in Luft auf. Die Walze von Glücksgefühlen rückte immer näher und auch ich wusste, dass ich wie frisch geteerte Fläche, in Emotionen eingedrückt und von Gefühlsausbrüchen überrollt, in die Strasse der immer näher rückenden Freiheit eingebettet werde. Ich war angespannt und versuchte mich mit dem Fernseher abzulenken. Mein Vater schrie im Minutentakt nach mir, um die unfassbaren Bilder von meiner Heimat mitanzusehen. Ich fühlte mich wie ein in Stress geratener Kellner, der mit seinen Diensten zum einen, meinen Vater, und zum anderen, meine aufgewühlten Gefühle bedienen musste. Zeitweilig, liess ich meinen Gedanken im Forum freien Lauf.
Ich ging an diesem Abend, für meine Verhältnisse, sehr früh in’s Bett. Vielleicht lag es daran, dass ich für morgen fit sein wollte, vielleicht aber lag es einfach nur daran, dass ich mich gedanklich zu sehr verausgabt hatte.
Eine völlige Dunkelheit legte sich auf meinen Augen und die Decke umschlang meinen abgestumpften Körper. In diesem Moment der Stille, setzten sich die Räder der Vergangenheit in Bewegung. Wie in einer Dia Show liefen mir die Bilder von tollkühnen Landeshelden, von getöteten Landsmännern/frauen, von vergossenem Blut, dass unsere Erde nährte, von hungrigen Müttern, deren Brotstücke mit Tränen der Verzweiflung eingetränkt, im Bauch zergingen, einfach von all den Menschen, die keine Scheu davor hatten, für dieses Land, Hof und Leben herzugeben, vor dem geistigen Auge ab. Tränen rieselten in die seitlichen Gesichtspartien runter und bevor ich mich endgültig dem Schlaf hergab, dankte ich all diesen Leuten und dachte an besondere Menschen.
Mein Schlaf war turbulent. kleine Seifenblasen von Träumen, kleine Stürme von Alpträumen, zogen an mir vorbei und hinterliessen rasende Herzschläge, die das Verdutzen der weitaufgerissenen Augen noch intensivierten. So verlief die Macht des Gemüts die ganze Nacht lang.
Endlich war der Morgen da, endlich drangen Sonnenstrahlen durch die dunklen Gardinen durch, endlich vernahm ich die vertraute albanische Fernsehstimme. Ich sprang aus dem Bett mit ungeheuerlichen Erwartungen an den Tag. Heute war irgendwie alles anders, verglichen mit Gestern. Das Freudenfeuer war wohl mit dem Hereinstürmen dieses historischen Tages, entfacht worden. Mein Lächeln war nicht zu übersehen, mein seelisches Feuerwerk der Freude nicht zu überhören. Schon beim „Mirmengjes“ mit den Eltern verspürte ich, wie sich die ersten Schneeflocken eines tiefen Glücks, wie sich die ersten Schneeschichten eines grossen Segens und wie sich eine wahrlich empfundene Begeisterung, über die vertrauten Gesichter, gelegt und aufeinander gereiht hatten.
Ich wühlte aufgeregt nach einem roten Hemd und einer schwarzen Hose in den Kleiderschränken rum, so als würd’ mein Leben daran baumeln. Meine Mutter setzte diesem Treiben ein Ende, als sie mir ein bestimmtes Hemd vor den Augen hielt, was ich noch nie zuvor gesehen hatte. Es war ein in rot gefärbtes Kurzärmelhemd, wo der heilige schwarze Doppelkopfadler hervor stach und beim Anziehen den Platz des pochenden Herzens übernahm. Mit leuchtenden Augen und stolzer Stimme, übergab sie mir mit den Worten „Ketë Këmish babi ytë e ka mbajt në per ton demostrata“ das Hemd. Es war der erste Augenblick an diesem unfassbaren Tag, welch mein Verstand das ausdrucksstarke Flimmern freisetzte und einen Kanal durch das Herzen freischaufelte. Diese Erkenntnis war für mich wertvoller als ein Sack voll Gold. Ich griff nach dem Hemd als würde ich Seide berühren, ich streifte sie über den Oberkörper als würde ich auf frische Wunden Acht geben, ich richtete vorsichtig die Kragen als würde ich Blattgold falten.
Angezogen, lief ich in die Stube, wo mich die Reaktion meines Vaters erwartete. Als er mich in diesem Hemd, in dieser rot-schwarzen Aufmachung, erblickte, spürte ich förmlich die Funken seines Stolzes, solch einen Sohn zu haben, rübergreifen. Er kam vom Staunen nicht mehr weg und alles was er in diesen Momenten sagen konnte, war „Ti me vërtet e dush vendin ton, ti je atdhëtar i vërtet“. Ich habe in seinen Augen seit Langem wieder so etwas wie Tränen gesichtet. Möglicherweise waren es Emotionen der unbegrenzten Freude, möglicherweise waren es aber auch Tränen des Stolzes, ich weiss es nicht, was ich aber in diesem Moment mit Sicherheit sagen konnte, war, dass seine abgeriegelte Talsperre der Heimatliebe, durchbrochen war. Die Erniedrigungen und die Schattenseiten des Lebens hatten ihn zu einem harten Felsen verformt, wo kein Platz mehr für Vaterlandsliebe da war. Er sprang vom Sofa auf und band mir einen roten Schall um meinen Hals. In diesem Moment schossen mir tausende von Erinnerungen durch den Kopf. Früher beschäftigte mich diese eine Frage oft, von wem ich diese ausgeprägte Form einer Vaterlandsliebe vererbt bekommen habe, und ich fand nie eine Antwort darauf. Heute weiss ich es. Unscheinbare Erinnerungen verdeutlichten das Bild. Ich dachte an einem Moment, als ich beim Rasten von der Durchreise auf albanischer Erde, voller Glücksgefühle eine Handvoll Erde aufnahm und nicht mehr loslassen wollte. Mein Vater bemerkte dies und fragte mit einem zufriedenem Lächeln, so, als hätte er in mir, sich selber und seine aufgestaute Heimatliebe ertappt, „A po e don aq shum Kosoven?“ Ich dachte an einen Moment, wo ich in jungen Jahren den goldigen Adler draussen verloren hatte und aufgrunddessen mein Vater bestrebt und stundenlang damit beschäftigt war, die Gegend nach diesem Adler abzusuchen, nur um meine Tränen zu stillen und das Symbol unserer Identität nicht in einem finsteren Schacht, in verdreckten Abwasserkanälen verenden zu lassen. Ich dachte an einen Moment, wo er mir mit niedergedrückten Augen die Worte der Machtlosigkeit kundtat „ A po kujton ti, qe une nuk po du? Nuk e kishna prit kerkan, Una vet ma i pari isha kthye me pas qend kushtet per mu kthy“. Ich dachte an einen Moment, wo meine gestellten Fragen über die albanische Geschichte in endlosen Abenden voller Theoriestunden dahinsausten. Ich war in diesem Moment einfach glücklich, weil ich die Quelle und das Rückgrat meiner Heimatliebe fand.
(nächster Teil morgen)
Gib deine Träume niemals auf. Wenn du sie verloren hast, existiert noch der Körper, aber innerlich bist du längst tot.
Për të gjithë e në të gjitha pikëpamjet kam qenë e jam njeriu kot, i humbur.
Nostalgie wird durch heimatliche Luft gestillt.