Der UÇK-Kämpfer Sahit Jashari, ein Vetter des Freischärlers Adem Jashari, der am 5. März 1998 zusammen mit 23 Familienmitgliedern beim serbischen Blutbad im Dorf Prekaze abgeschlachtet wurde, sagt über die Satellitenverbindung unverblümt: "Der Krieg hier wird nicht so schnell zu Ende kommen, wie man draußen denkt." Den serbischen Zerstörungsfeldzug ergänzt die Bereitschaft der albanischen Intifada zur Selbstzerstörung. Die aktiven Frontkämpfer sind nicht mehr bereit zurückzustecken. "Hier stehen wir, und hier bleiben wir", sagen sie, unterstützt vom Geschützdonner, der bisweilen über das Telefon mitzuhören ist, "wir werden ja ohnehin sterben."
Kampfführung und Massenexekutionen, mit denen serbische Einheiten den Tod ihrer Polizisten aus dem Hinterhalt albanischer Partisanen rächen, lassen für den Einsatz von Nato-Bodentruppen das Schlimmste befürchten. Bei Häuserkämpfen würden zumindest die paramilitärischen Verbände der Serben kaum noch zögern, ihre Stellungen mit verbliebenen Albanern als Schutzschilden anzufüllen. Auch Frauen, Greise und Kinder wären davor nicht sicher.
Unabhängig voneinander schätzen der Journalist Sabit Istogu und der UÇK-Mann Sami Lushtaku, daß die Zahl dieser Unglücklichen allein in der Drenica-Region mindestens 30 000 beträgt. "Wir versuchen sie fast täglich zu verlegen, um den serbischen Milizen auszuweichen", sagt Lushtaku. Der Hunger raubt immer mehr Kräfte. Bis auf etwas Mehl sind in diesen Menschentrauben im Nordosten des Zentralkosovo alle Vorräte längst aufgebraucht. Was sonst gegen den Hunger in den Wäldern bleibt, scheuen sich die Männer am Telefon auszusprechen. "Sie essen in primitivster Weise", sagen sie nur. Gekocht werden kann erst in tiefer Nacht auf kleinen Feuern in selbstgebastelten Holzöfen - etwas Brei, vor allem für Schwangere, Kinder und Alte. Den Tag über würde aufsteigender Rauch die serbische Artillerie alarmieren.
"Wenn die Nato bombt, werden die serbischen Truppen zwar in Deckung gezwungen", heißt es in den Telefonaten aus dieser Kosovo-Region, "doch wenn die Luftangriffe unterbrochen werden, schießen sie dafür nach allen Seiten." Noch ist in Drenica nichts zu spüren vom Optimismus des kommandierenden Generals im Luftkrieg, des Amerikaners Michael Short. Der behauptet inzwischen, die Nato-Attacken hinderten die jugoslawischen Einheiten bereits daran, die albanische Bevölkerung zu terrorisieren.
Für die Fortsetzung der Luftangriffe plädieren aber auch die Freischärler aus ihren Kampfnestern. Und selbst manche der zu Waldmenschen degradierten Bauern wollen eher im Krieg überwintern als den Frieden in der Fremde suchen. Sie sind von der Polizei schon zwei- oder dreimal an die albanische Grenze getrieben worden, aber trotz aller Gefahren wieder zurückgekehrt.
Seit dem 24. März hat es in der Region Drenica nach den übereinstimmenden, wenn auch unüberprüfbaren Angaben aus den verschiedenen Lagern mindestens 1500 Tote gegeben. Neun von zehn Opfern sollen Zivilisten gewesen sein. Südlich von Drenica, in den Berisha-Bergen, kauern nach Aussage des Journalisten Ismet Sopi ebenfalls mehrere zehntausend Menschen in ähnlich verzweifelter Lage.
Viele Ärzte ziehen zwar tapfer mit den Flüchtlingsheeren durch die Wälder, doch es fehlt ihnen an allem, bis hin zu Schmerz- und Betäubungsmitteln. "Medikamente", fragt der Arzt Skender Murati am Telefon, "was für Medikamente? So etwas kennen wir längst nicht mehr." Er ist für eine Art Feldhospital im Einsatz, das die UÇK unter notdürftigsten Bedingungen im Nordosten des Kosovo zu halten versucht. Murati und seine Kollegen betreuen die vertriebenen Einwohner der völlig zerstörten Stadt Podujevo. 80 Prozent seiner Patienten, so gibt er an, seien Alte, Frauen und Kinder, die auf der Flucht Granatsplitter, Querschläger oder Kugeln getroffen hätten. Hilferufe kämen aus 40 Kilometern im Umkreis, doch die Zerstörungen im Land machten jeden Transport zum Himmelfahrtskommando. Bei Geburten unterstützten die Frauen einander inzwischen selber. Murati hat in vier Wochen bei 113 Entbindungen geholfen - in jedem zehnten Fall gab es eine Totgeburt.
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