Fr, 05. Jun 2009, 10:45
Grenzüberschreitende Angebote gefragt
Tourismus in Albanien, Montenegro und Mazedonien
Eine Fact-Finding-Mission Tourismuswirtschaft unter Leitung von Hans-Jürgen Müller, Deutsch-Albanische Wirtschaftsvereinigung, sondierte vom 5. bis zum 8. Mai die Entwicklungsmöglichkeiten der Tourismuswirtschaft in Durrës und Tirana in Albanien, im südlichsten Küstenort Ulcinj in Montenegro sowie am Ohrid-See in Mazedonien.
Als wichtigster Tourismusort mit guter Straßenanbindung an den Flughafen Rinas und die albanische Hauptstadt erlebt Durrës zurzeit einen Bauboom mit positiven und negativen Konsequenzen. Das montenegrinische Ulcinj mit einem außergewöhnlichen, rund 13 Kilometer langen Sandstrand hatte im alten Jugoslawien einen guten Ruf bei deutschen Urlaubern. Das „mazedonische Meer“, der Ohrid-See, bietet außerordentlich klares Wasser und weist gleichzeitig für kulturorientierten Tourismus und naturnahe Erholung ein bedeutendes Potenzial auf.
Ziel der Delegationsreise war es, integrierte Tourismusprojekte in allen drei Ländern anzuregen, in Ansätzen zu konzipieren und die Chancen für grenzübergreifende Kooperation in diesem wichtigen Wirtschaftssektor zu evaluieren. Die Voraussetzungen für den Tourismus in Albanien haben sich seit einigen Jahren substanziell verbessert. Der Flughafen Tirana, erbaut von Hochtief Airport als BOOT-Modell von 2004 bis 2007, seither als Konsortialführer weiterentwickelt und betrieben, braucht bereits eine Erweiterung, die seit August 2008 zügig vorangeht. Die Dynamik in der albanischen Wirtschaft beschränkt sich nicht allein auf den Verkehrssektor.
Deutsches Engagement in Albanien
Die Teilnehmer der Fact-Finding-Mission konnten gleichzeitig die Gründungveranstaltung der Deutschen Industrie- und Handelsvereinigung in Albanien (DIHA) mit Sitz in Tirana wahrnehmen. Sie ist ein lebhafter Ausdruck für die gewachsene Notwendigkeit, die Interessen der aktiven deutschen Unternehmen in Albanien zusammenzufassen und damit die Entwicklung der albanisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen voranzutreiben.
Es bestand Einigkeit zwischen Gastgebern und Gästen, dass gerade in der weltweiten Finanzkrise vermehrter Handlungsbedarf besteht. In diesem Sinne wollten die Veranstalter der Fact-Finding-Mission (BGA, AHK Belgrad, OMV) sowie weitere Einrichtungen die Möglichkeiten ausloten, wieweit Albanien, Mazedonien und Montenegro bereits reif für ein überregionales Tourismuskonzept sind.
Albanien hat in rund 20 Jahren 800 Millionen Euro deutsche Unterstützung erfahren, es laufen Kraftwerksprojekte der RWE, und im Handelssektor steht der erste Praktiker-Baumarkt vor der Eröffnung.
Bisher beschränkt sich der Ausbau des Straßennetzes noch auf die Verbindung der Hafenstädte Durrës-Tirana mit Abzweigung zum Flughafen Rinas, die Autobahn Richtung Prishtina ist weiterhin in Planung und noch nicht fertiggestellt.
Bauboom in den Städten
Ungeachtet dessen kennzeichnet ein Bauboom die städtischen Zentren in der Küstenebene Richtung Shkodra im Norden. Die Kultivierung des Landes erscheint durchaus erfolgreich und selbst in Kleinstädten wie Lezhë ist es möglich, mit deutscher Unterstützung ein interessantes Projekt zur Mülltrennung durchzusetzen und es praktisch weiterzuentwickeln. Auch die Verarbeitung zu Sekundärrohstoffen, etwa für PET-Flaschen, hat bisher gute Resultate gebracht (Kontakt: über OMV-Geschäftsstelle).
Der Grenzübertritt nach Montenegro erwies sich als völlig unproblematisch. Im Kleinen funktioniert bereits eine grenzübergreifende Zusammenarbeit. Besonders vor dem Hintergrund, dass Montenegro erst seit 2006 als unabhängiger Staat besteht, darf die wirtschaftliche und politische Stabilisierung des Landes als Erfolg gewertet werden. Der Vizeminister für Tourismus verwies auf die bisher ungebrochenen Wachstumsraten im Tourismus (8,6 Prozent im vergangenen Jahr). Ziel sei es, die Saison auf acht Monate zu verlängern, was klimatisch sicher kein Problem darstellen dürfte.
Serbische Touristen dominieren
Der Tourismussektor in Montenegro wächst zwar, doch kommen bisher die meisten Touristen aus Serbien (37 Prozent). Der Tourismus hat weiterhin für Montenegro vorrangige Bedeutung mit einem Anteil am nationalen BIP von rund 22 Prozent. Die Flugverbindungen zum montenegrinischen Flughafen Tivat sind aus der Sicht des Vizeministers unbefriedigend, die deutschen Partner werden gebeten, sich für eine ganzjährige Flugverbindung mit günstigen Fluglinien einzusetzen. Die Modernisierung des Tourismussektors vollzieht sich vorrangig im Bereich privater Vermieter, ähnlich wie nach Wiederbeginn der Tourismuswirtschaft in Kroatien. Die landschaftlichen Attraktionen Montenegros sind unverändert herausragend: Bis 1987 besuchten jährlich bis zu 200.000 deutsche Touristen die Region. Mit den Kriegsfolgen ist dieser Besucherstrom abgebrochen.
Von deutscher Seite wurde darauf verwiesen, dass es einerseits einen Generationswechsel im Tourismus gibt: Diejenigen Touristen, die vor 1987 in die Region gefahren sind, sind abgelöst worden durch neue Generationen von Reisenden, die andere weltweite Ziele kennengelernt haben. Für Montenegro sei es wichtig, naturnahen Tourismus zu entwickeln, Erlebnistourismus anzubieten und nicht nur den Badeurlaub zu favorisieren. Eine genaue aktuelle Zielgruppen-Analyse potenzieller Touristen aus Mitteleuropa ist für künftige Marketingmaßnahmen von entscheidender Bedeutung. Um den Tourismus stärker zu entwickeln, sollte nicht zuletzt die Abfallwirtschaft und die Strandpflege besser organisiert werden, wenn man Touristenpotenziale dauerhaft binden will.
Schwieriger Grenzübergang
In Mazedonien konzentriert sich der Tourismus auf das „Mazedonische Meer“, den Ohrid-See und den höher und südlicher gelegenen Prespa-See. Die Anfahrt über Tirana und das Krab-Gebirge erwies sich noch immer als sehr zeitraubend, der Grenzüberübertritt am Übergang Qafa e Thanes dauerte 50 Minuten, was nicht wirklich tourismusverträglich ist.
Die zuständigen Fachleute der Investmentagentur Mazedoniens verwiesen auf die Stabilität des Landes, die selbst unter Krisenbedingungen problemlos aufrechtzuerhalten war. Mazedonien ist über ein Freihandelsabkommen mit der EU verbunden. Die Währung Denar ist an den Euro gekoppelt. Die Investitionsagentur funktioniert als One-Stop-Shop, die Löhne sind weiterhin sehr konkurrenzfähig, und Investitionen im Tourismussektor werden gern aufgenommen. Ein hochinteressanter Ansatz zur regionalen Zusammenarbeit zwischen Mazedonien, Albanien und Griechenland findet am Prespa-See statt, wo die GTZ maßgeblich zur Finanzierung beigetragen hat.
In Albanien entwickelt sich der Tourismus strikt privatwirtschaftlich in den großen Zentren Durrës und Saranda. Die albanische Regierung beabsichtigt, einen Masterplan für die touristische Entwicklung zu erstellen, wie Genc Ruli, Minister für Wirtschaft, betonte. 2008 besuchten rund 38.000 deutsche Touristen das Land, was bezogen auf das Potenzial vergleichsweise wenig ist. Der Leiter der deutschen Delegation, Hans-Jürgen Müller, riet in der Abschlussveranstaltung in Tirana dazu, Missverständnisse und Fehleinschätzungen zu vermeiden. Es müsse darum gehen, diejenigen Touristengruppen zu definieren, die die spezifischen Wettbewerbsvorteile Albaniens wahrnehmen wollten.
In Mitteleuropa suche man verstärkt nach Möglichkeiten, Erlebnisurlaub in mehreren Balkanstaaten zur verbinden, weil die Tourismusziele über alle Länder verteilt sind und der Zugang für ausländische Touristen gewährleistet sein muss. Grenzübergreifende Kooperation ist also dringend notwendig, wenn alle Länder ihre Tourismuswirtschaft weiterentwickeln wollen. Man erhofft sich Investitionen in großem Stil, die allerdings nur dann stattfinden, wenn der Investor sich konkreten Gewinn verspricht und die Gäste das international übliche Leistungsniveau erwarten dürfen. Mit dem Tourismusstandard der 80er Jahre erreicht man den mitteleuropäischen Touristen des Jahres 2010 voraussichtlich nicht mehr. Aus deutscher Sicht besteht vor allem in Montenegro ein unscharfes Bild von den Erwartungshaltungen der deutschen Touristen.
Identifikation der Zielgruppen
In allen drei besuchten Staaten müssen die touristischen Zielgruppen konkret identifiziert werden, um die passenden Angebote zu entwickeln. In mancher Hinsicht bot sich in Mazedonien die bessere Ausgangslage als in Montenegro, während Albanien zwar den regionalen Tourismus sehr stark hat ausbauen können und dadurch auch im größeren Umfang stabile Einnahmen erzielt und damit weitere Investitionen tätigen kann, doch fehlt es noch an spezialisierten Angeboten für zentraleuropäische Touristengruppen.
Abgeschlossen wurde die Mission mit einer Sitzung im albanischen Ministerium für Tourismus. Trotz hochrangiger Eröffnung blieben leider nur vergleichsweise wenige albanische Fachleute lange genug, um das Resümee der grenzübergreifenden Mission der Deutsch-Albanischen Wirtschaftsgesellschaft und ihrer Partnerorganisationen aufzunehmen sowie die Erfahrungsberichte einer Ost-Ausschuss-Delegation, die nur Südalbanien bereist hatte, zu diskutieren.
Ansatz stellt sich als sehr positiv heraus
Der grenzübergreifende Ansatz, Tourismus als Wirtschaftsfaktor zu analysieren, erwies sich als sehr fruchtbar: Er deckte die Potenziale für einen regionalen Tourismus insgesamt auf, die für einen dauerhaften Erfolg der Tourismuswirtschaft in der Region ausschlaggebend sind. Die Treffen mit den zuständigen Regierungsverantwortlichen in Montenegro und Mazedonien sowie in Albanien klärten die Voraussetzungen für die Weiterentwicklung des Tourismus, wobei die Verbindung der Fact-Finding-Mission mit der Gründung der Deutsch-Albanischen Industrie- und Handelsvereinigung in Tirana eine ausgezeichnete Voraussetzung für die weitere umfassende Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen darstellt.
Sehr hilfreich erwies sich die Mitwirkung der deutschen Botschaften in Podgorica (Montenegro), Skopje (Mazedonien) sowie selbstverständlich in Albanien, nicht zuletzt, weil die Gründungsveranstaltung der DIHA im Beisein des albanischen Ministerpräsidenten Sali Berisha und des Wirtschaftsministers Genc Ruli festlich begangen wurde. pd
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