Guten Abend
Ich möchte euch mit diesem Artikel konfrontieren und wissen was Albaner von diesen Ereignissen halten.
Eine alte Frau, in ihrer Badewanne totgeprügelt. Eine Mutter ermordet, dabei ihr zweijähriges Kind verletzt. Zwei Buben mit Granatwerfern umgebracht. Eine Frau wagt nicht, ihren Namen zu nennen, weil sie fürchtet, daß die, die sie vergewaltigen wollten, wieder an ihre Türe pochen. Das sind die Serben in den letzten vier Wochen. Das sind die Stillen, die sich in ihre Wohnungen einschließen, in Todesangst; jeder Laut scheint eine Drohung, jedes Auto, das vorm Haus hält, könnte dich zu deinen Mördern holen. Nimm die alten Leute dazu, die nichts zu essen haben und Angst, auf den Markt zu gehen, weil ihr schlechtes Albanisch auffallen könnte. Nimm hinzu, daß sie auch deshalb nichts zu essen haben, weil ihre Nachbarn, gewarnt, keine "Serben zu füttern" Angst haben, für sie einzukaufen.
Ich weiß, wie sich die Serben in diesen vier letzten Wochen fühlen, denn mir und fast zwei Millionen anderer Albaner ist es genauso gegangen. Ganz zu schweigen von den Roma, die aus offenem Rassismus verfolgt werden. Ich erkenne ihre Gefühle wieder: Jedes Auto, das vor dem Haus hielt, war eine mögliche Gefahr, jeder Laut verkündete unausweichlich den Tod, von unseren serbischen Nachbarn konnten wir wenig oder keine Hilfe erwarten, im Radio hieß es, daß die serbische Regierung ihre Truppen ermächtigt habe, automatisch und nach Belieben zu töten, auch Kinder und alte Leute. Ich kann meine Scham nicht verbergen, daß ich jetzt, zum ersten Mal in der Geschichte Kosovas, erfahren muß, daß auch Albaner fähig sind, entsetzliche Verbrechen zu begehen. Ich kann nicht schweigen. Ich muß meine Stimme erheben und laut sagen: Für uns als Nation ist es ein Grund zu schwerer Sorge, daß jetzt, zum ersten Mal, das erste Gebot unserer Moral gebrochen worden ist: das Gebot, daß Kinder, Frauen und Alte unverletzlich sind. Ich weiß wohl, was jeder automatisch zur Verteidigung sagt: daß wir durch einen barbarischen Krieg gegangen sind, in dem Serben für die entsetzlichsten Verbrechen verantwortlich waren, deren fürchterliche Gewalttätigkeit bei einem Teil des albanischen Volkes den Durst nach Rache geweckt hat. Aber das rechtfertigt nichts.Jene Serben, die ihren Herren gedient und gegen die Albaner Gewalt jeder Art begangen haben, die haben wir fliehen sehen, die mußten die Rache der Albaner fürchten, die nun die Gräber ihrer Familien öffnen. Doch die Gewalt heute, zwei Monate nach dem Einmarsch der NATO, ist keine gefühlsmäßige Reaktion allein. Nein, wir haben es mit einem organisierten System - oder organisierten Systemen - der Gewalt zu tun, einer Spirale der Gewalt gegen die Serben, die auf der Vorstellung beruht, daß jeder Serbe für das bestraft werden müsse, was in Kosova geschehen ist. Das ist die Denkweise des Faschismus. Das ist die Art Denkweise, gegen die das Volk von Kosova aufgestanden ist in zehn Jahren des Kampfes gegen Milosevic, gegen die, in der letzten Phase der Schlacht, die UÇK auftreten mußte, um zu zeigen, daß das albanische Volk von Kosova in seinem Kampf auch bereit war, zu den Waffen zu greifen.
Die serbischen Opfer heute, ihr Leben in Gefahr und Angst, die Bedrohung ihrer ganzen Gemeinschaft, sind eine Schande nicht nur für einen kleinen Teil unseres Volkes. Sondern diese Schande entehrt uns alle, uns, deren Leiden vor nur wenigen Monaten die Fernsehschirme der ganzen Welt bedeckte; diese Schande entehrt auch Kosovas albanische Opfer, entehrt die Kinder, Frauen und alten Leute, die nur deshalb ermordet wurden, weil sie Albaner waren.
Andere, Europäer wie Amerikaner, werden uns nicht deshalb verdammen, weil wir nicht für ein "multiethnisches Kosova" eintreten. Schließlich war schon vor dem Krieg Kosova ungefähr so multiethnisch wie Slowenien - und wer spricht von einem multiethnischen Slowenien? Aber sie werden uns anklagen, weil wir uns aus Opfern der größten Verfolgung am Ende dieses europäischen Jahrhunderts so rasch in diejenigen verwandelt haben, die zulassen, daß andere in Kosova ebenfalls verfolgt werden (Zahlen oder Intensität zu vergleichen wäre hier unsinnig), daß der Faschismus wiederholt wird.
Und sie werden recht haben mit dieser Anklage. Und diejenigen, die meinen, die Verbrechen würden aufhören, wenn die Serben alle weg sind, die werden ein böses Erwachen erleben. Dann werden wieder die Albaner an der Reihe sein, aber diesmal als Opfer anderer Albaner.
Haben wir dafür gekämpft?
Veton Surroi