Ende der achtziger Jahre. Zehntausende albanischer Muslime versammeln sich an historisch wichtigen Stätten, auf freiem Feld, irgendwo – um sich zu versöhnen. Feierlich schwören sie der Blutrache ab, die ihr Volk seit Jahrhunderten im Würgegriff hielt: Kinder, die aus Angst, getötet zu werden, nicht mehr zur Schule gingen, Männer, die sich gegenseitig ihre Felder ruinierten, statt sich bei der Ernte zu helfen; Menschen, die sich gegenseitig massakriert hatten, während gleichzeitig schon die Drangsalierungen durch die Serben anliefen.
Etwa zwanzigtausend albanische Großfamilien sandten in jenen Monaten Vertreter in so genannte Versöhnungsräte, reichten sich die Hände und vermählten ihre Kinder untereinander, um die Blutrache ein für alle Mal zu beenden. Höhepunkt der Bewegung war eine Feier auf dem „Fushe e pajtimit“ (Versöhnungsfeld), auf halbem Weg zwischen Prishtina und Shkup. Mit dabei die intellektuellen Wegbereiter dieser wohl einmaligen Initiative: Anton Cetta, katholischer Literaturwissenschaftler an der Universität Pristina, und Don Lush Gjergji, rechte Hand des damaligen Apostolischen Administrators in Prizren.
Diese Aktion hat den Katholiken, die mit sechzigtausend Mitgliedern nur etwa drei Prozent der Bevölkerung stellen, großes Vertrauen eingetragen. Viele Muslime traten damals zum Christentum über. Tatsächlich bilden die Katholiken eine „natürliche Brücke“ zwischen den verfeindeten Kriegsparteien: Sie sind zum allergrößten Teil Albaner, „Blutsbrüder“ jener albanischen Muslime, die dem Katholizismus nach der Niederlage der ansässigen Völker auf dem Amselfeld von 1389 allmählich den Rücken kehrten und einem moderaten, eher dem Gefallen der türkischen Besatzer als religiösem Eifer folgenden Islam anhingen.
Zugleich werden die Katholiken als christliche „Glaubensbrüder“ der orthodoxen Serben gesehen, deren Aggressionen seit 1989 und Bluttaten seit dem Sommer 1998 nach Ende des Kriegsfrühlings 1999 vielerorts blutig vergolten wurden.
Versöhner hat das Nachkriegs-Kosovo sehr nötig. Das staatliche Bildungssystem liegt nach dem Untergang von Milosevics Apartheidsystem weithin brach. Die Wertevermittlung reduziert sich auf westlichen Konsumismus und das Prinzip des Sozialdarwinismus. Auch wenn auf dem Papier nur vier Katholiken im Kosovo-Parlament sitzen – selbst die albanischen Muslime in den Spitzenpositionen der kosovarischen Administration setzen auf die katholische Kirche: Staatspräsident Ibrahim Rugova, Regierungschef Bajram Rexhepi oder der Parlamentspräsident und Mitbegründer der UCK, Hashim Thaqi.
Bischof Sopi freut sich auf eine neue Kathedrale in Prishtina
Zwar hat die Regierung kein Geld, um die fast mittellose Kirche zu fördern. Doch vor einiger Zeit übertrug sie ihr ein Grundstück von dreizehntausend Quadratmetern bebaubarer Fläche im Herzen der Hauptstadt Prishtina, das die Träume des Apostolischen Administrators, Bischof Mark Sopi, höher fliegen lässt. Bislang in der im Süden gelegenen Provinzstadt Prizren ansässig, arbeiten Sopi und sein Stab nun intensiv am Projekt „Präsenz in der Hauptstadt“. Zwar gibt es unter den rund eine halbe Million Einwohnern von Pristina nur etwa 1250 Katholiken, die „Internationalen“ – Mitglieder der UNMIK-Verwaltung, KFOR und Nichtregierungsorganisationen – nicht eingerechnet. Dennoch soll nach Vorstellungen der Kirchenführung auf dem Filetstück gegenüber der Nationalbibliothek zwischen dem Bill-Clinton-Boulevard und der Mutter-Teresa-Straße ein Katholiken-Komplex entstehen: mit Kathedrale, Bischofshaus, Grundschule, Schwesternheim, Kindergarten, Begegnungszentrum, Bibliothek und Theater. Doch bislang fehlt sogar das Geld, um einen tragfähigen Bauplan zur Genehmigung vorzulegen.
Präsident Rugova hat im Februar bereits angekündigt, der Papst werde zur Grundsteinlegung kommen. Wenig Gehör finden dabei allerdings warnende Stimmen, dass für ein solches Großprojekt, das trotz aller ethnischen wie religiösen Offenheit einer politischen Manifestation gleichkommt, möglichst viele gesellschaftliche Kräfte mit ins Boot geholt werden sollten. „Man muss die Leute einbinden, nicht überrollen, wenn dort nicht irgendwann eine Handgranate hineinfliegen soll“, meint ein engagierter Laienkatholik aus der Hauptstadt. Seine Tochter besucht das staatliche Gymnasium, das derzeit noch auf dem künftigen Bauplatz steht und nach dem Willen der Regierung angeblich noch im Juni übergeben werden soll. Im Innern, erzählt er, finden sich Graffitis wie: „Für die Katholiken nicht die Schule schließen!“
Dabei steht ein warnendes kirchenpolitisches Mahnmal nur wenige hundert Meter vom geplanten Baugrund entfernt: In den neunziger Jahren scheiterte hier der Versuch der Serben, einen politisch motivierten religiösen Pflock ins Stadtzentrum einzurammen. Die orthodoxe Bauruine harrt als christliches Leergebäude einer Umwidmung als Gedenkstätte für die Gräuel des Kosovo-Kriegs – oder aber der späten Vergeltung albanischer Extremisten, wie beim jüngsten Wurf eines Molotow-Cocktails. Für den Fall des Baus einer großen katholischen Kathedrale haben die wenigen radikaleren Muslime, die derzeit mit Geldern aus Saudi-Arabien die Region Prishtina mit Dutzenden neuer, freilich leer stehender Gotteshäuser überziehen, bereits eine noch viel größere Moschee angekündigt.
Sopis Berater ficht solch zu erwartender Widerstand nicht an. Der Bischof selbst sagt: „Der politische Wind weht derzeit für uns, aber er kann sich auch wieder drehen. Deshalb müssen wir jetzt anfangen; fertig stellen können wir es später.“
Muslime, die jeden Sonntag in die Kirche gehen
Gerade im Kleinen gedeiht die Versöhnungsarbeit. Bei Don Lush, seit 1992 Landpfarrer im abgelegenen Binq im Süd-osten des Landes, sitzen in jedem Sonntagsgottesdienst bis zu fünfzig Muslime, vor allem junge und intellektuelle – weil sie sich hier ernst genommen fühlen. Sein Engagement hat Don Lush den Vorwurf eingetragen, „ein Priester für Muslime“ zu sein; ein Vorwurf, der ihn selbst freut. In einem monumentalen Bilderzyklus haben in Binq zwei Muslime die Verfolgungsgeschichte der Kosova-Katholiken im neunzehnten Jahrhundert an die Wände der Pfarrkirche gemalt. Daneben sieht man die Helden und Heiligen des Kosova: Gjergj Kastrioti Skenderbeu, der die Albaner im fünfzehnten Jahrhundert im Kampf gegen die Türken vereinigte, und Mutter Teresa, die, im nahen Shkup geboren, von allen Albanern verehrt wird.
Dreißig Bücher hat Don Lush über die „Mutter der Armen“ verfasst, die er auf vielen ihrer Reisen begleitete und an deren Seligsprechungsprozess er als Mitarbeiter des Postulators maßgeblich mitwirkte. Intellektuelle und Medienvertreter pilgern zu dem charismatischen Priester aufs Land; seine Stimme hat großes Gewicht.
Die Rolle der Katholiken bei der Beilegung der Blutrache ist unvergessen. Trotz aller Schwierigkeiten haben Kosovas Katholiken derzeit eine historische Chance. Sie sollte genutzt werden – behutsam.