Hier ist ein Bericht der österreichischen Tageszeitung "Der Standard" (
http://www.derstandard.at) vom 23.10.2006 über die Stadt Berat:
Fenstertage in der weißen Stadt
Das albanische Berat, die "Stadt der tausend Fenster", soll Unesco-Weltkulturerbe werden
Um 11 Uhr lässt Besnik, der Barbier, seinen eingeschäumten Kunden auf dem Lederstuhl sitzen, hantiert am Schaltschrank in der Ecke seines Ladens in der Altstadt von Berat, wirft behände den draußen vor der Tür stehenden Dieselgenerator an und stellt eine volle Gießkanne aus Blech auf den Gaskocher auf dem Boden. Wie jeden Tag wird die 50.000-Einwohner-Stadt am Rand des Tomor-Gebirges im Herzen Albaniens auch heute drei Stunden lang ohne Strom auskommen - kein Problem für Besnik. Schon gleitet sein Rasiermesser über das Männergesicht.
Ein Problem vielleicht aber für die Stadt selbst, die sich um die Aufnahme in die Unesco-Liste des Weltkulturerbes bewirbt. Bleibt der Regen aus, dann stehen die Turbinen der Wasserkraftwerke still, von denen Albaniens Stromversorgung abhängt. Dann dauern die Unterbrechungen bis zu 18 Stunden lang, zuletzt war es Ende 2005 so. Die siebenköpfige Unesco-Kommission, die ein Jahr zuvor Berat besucht hat, hätte gewiss nicht gerne im Dunkeln gesessen während ihrer Stippvisite. Und die rußigen Abgase der Generatoren, das hätten sich die Kulturfunktionäre notieren müssen, vertragen sich schlecht mit dem blendenden Weiß der gekalkten Häuser, das der Stadt ihren Namen gegeben hat - Berat, das heißt "die weiße Stadt".
Generator für Motive
Auch vor Agron Polovinas Atelier rattert mittags ein Generator. Berats Türen und Fenster aus Holz, seine steilen gepflasterten Gassen, die Häuser der historischen Viertel Mangalem und Goricë, die sich an den vom Fluss Osumit ansteigenden Hängen mit ihren Balkonen und Erkern übereinandertürmen bis hinauf zum Burgberg, der Kala, sind das bevorzugte Motivreservoir des 47-jährigen Malers. Zwischen Vision und Realität schweben seine Bilder, kräftig sind ihre Farben, Postkarten mit Werken von Mondrian, Klimt und Goya an der Wand verraten die Vorbilder. Die "Mystischen Porträts" und "Albanien und seine Legenden" waren schon in Frankreich, Polen und Italien zu sehen. "Wir sind in der Provinz hier", räumt Polovina auf Französisch ein, der traditionellen Akademikersprache Albaniens. Er hat in der Hauptstadt Tirana studiert, kam dann als Kunstlehrer nach Berat. Und längst ist er zum Lokalpatrioten geworden. "Eine Provinz zwar, aber eine schon seit dem 4. Jahrhundert vor Christus kulturell aktive Provinz!"
Ottomanisch fensterln
Berat, die "Stadt der 1000 Fenster", wie sie der Prospekt anpreist, ist heute die vermutlich am besten bewahrte ottomanische Stadt auf dem gesamten Balkan. Die Türken, die sie 1417 einnahmen, machten sie zu einem geistigen und religiösen Zentrum des Landes, schon damals gab es hier gut 30 Moscheen. Der Diktator Enver Hodscha, der Albanien von 1944 bis 1985 regierte, erklärte Berat wie seinen 70 Kilometer südlich liegenden Geburtsort Gjirokaster 1961 zur Museumsstadt - in den alten Vierteln durfte nichts abgerissen oder umgebaut werden. Außerdem ließ er das gigantische Textilkombinat "Mao Tse-tung" bauen, in dem 20.000 Menschen Arbeit fanden. Nach dem Sturz der Hodscha-Nachfolger 1991 entpuppte sich die erste Entscheidung des Tyrannen als Glücksfall für Berat, weil Touristen aus dem Westen zu kommen begannen. Die andere Entscheidung jedoch riss die Stadt tief in die Krise.
Das Kino der Stadt wurde damals zerstört, für Polovina eine kulturelle Katastrophe. Außerdem löste sich in den Wirren die kleine Künstlerkolonie auf, die sich nach der Wende 1991 in Berat gegründet hatte, ein knappes Dutzend Maler, die ihre Bilder auf der Straße ausstellten.
Übrig geblieben ist Agron Polovina, der seither fast zwangsläufig zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten im kulturellen Alltag des Weltkulturerbes in spe geworden ist. Sein Atelier ist zugleich Treffpunkt und Koordinationsstelle, zwischen Paletten und Staffeleien organisiert der Mann in Lacoste-Hemd und grauer Cordhose Ausstellungen, Projekte und Aktionen, berät und begutachtet. Praktisch, dass auf der gegenüberliegenden Straßenseite der gelbe Klotz des städtischen Kulturzentrums steht, eine architektonische Bankrotterklärung, aber ein Segen für Berat - darin proben das Orchester und die Puppenspieler, es gibt außerdem eine Folkloregruppe und eine Galerie. Deren Direktor ist seit knapp einem Jahr Agron Polovina.
Ikone der Toleranz
Oben auf dem Burgberg, im Onufri-Museum, dessen Ikonen-Sammlung mit 800 Stücken eine der größten Europas ist, hängt ein jahrhundertealtes Bild, Polovina sieht auf ihm das eigentliche kulturelle Erbe Berats dargestellt - ein Minarett in unmittelbarer Nachbarschaft eines Kirchturms. "Die Freundschaft zwischen Muslimen und orthodoxen Christen hat eine lange Tradition hier", sagt Polovina, der selbst aus einer muslimischen Familie stammt, die ihren Glauben allerdings kaum praktiziert. Auch dies ist eine Folge des Regimes von Enver Hodscha, der sein Land an Weihnachten 1967 per Dekret zum ersten atheistischen Staat der Welt erklärt hat. Seine Gehilfen zerstörten daraufhin 2200 Moscheen, Kirchen und Synagogen. Erst Ende 1990 wurde das Religionsverbot wieder aufgehoben.
Agron Polovina ist zum Vorbild für eine der Hauptpersonen in einem neuen Dokument der Toleranz geworden, dem Film "Liebesgebet". Vom Minarett herab verliebt sich darin ein Muezzin in das nackte Modell im benachbarten Atelier eines Malers, plötzlich singt er wie ein junger Amselhahn. In Berat wurde der Film gedreht, aus den Fenstern von Polovinas Atelier sieht man hinüber zur Bleiernen Moschee, der das Metall auf dem spitzen Dach ihres Minaretts den Namen gegeben hat.
Politik interessiere ihn nicht, er sei Künstler, behauptet Agron Polovina gern. Aber wenn sein Handy klingelt und der Name des Bürgermeister auf dem Display steht, dann verrät sein Gesicht eine andere Wahrheit. "Ein wichtiger Termin", erklärt er und springt in seinen weißen Ford Kombi. Und bevor er den Zündschlüssel dreht, gibt er doch noch einen Kommentar ab. Mit der Unesco, das werde vielleicht in fünf Jahren was. Dann sollen auch keine Generatoren mehr rattern müssen in Berat. (Sebastian Balzter/Der Standard/Printausgabe/14./15.10.2006)
Info: Das erste private Hotel, das nach dem Ende der Diktatur
in Berat eröffnet wurde, führt der joviale Thoma Mio mitten in der historischen Altstadt. Seine elf Zimmer sind sauber, die traditionelle Küche ist delikat. Doppelzimmer mit Frühstück
ab 20 EUR: Hotel Mangalemi, (+00 355) 323 20 93,
hotelmangalemi_tomi@yahoo.it
Anreise:Austrian fliegt Tirana von Wien aus um etwas mehr als 300 EUR
(inkl. aller Gebühren, hin und retour) an.
Die Busfahrt nach Berat dauert 3 Stunden und kostet 2,50 EUR.