Sa, 21. Okt 2006, 21:18
betreffend sensibilität der zürcher polizei zum aufgeworfenen thema siehe in der
- weltwoche von dieser woche, S. 7
sowie
- nzz von heute (nachfolgend)
21. Oktober 2006, Neue Zürcher Zeitung
Belästigt, bedroht, verfolgt und bedrängt
Immer mehr Fälle von Stalking gemeldet - was die Zürcher Stadtpolizei unternimmt
Bei der Zürcher Stadtpolizei häufen sich in letzter Zeit die Fälle von Anzeigen wegen Stalking. Opfer der Verfolgungen, Belästigungen und Bedrohungen sind in der Regel Frauen. Die Stadtpolizei geht rigoros gegen die Täter vor, wie der Chef der Abteilung Gewaltdelikte erklärt.
ekk. Durchschnittlich einmal pro Monat geht bei der Zürcher Stadtpolizei eine Anzeige wegen Stalking ein; und die Anzahl der gemeldeten Fälle nimmt seit ungefähr einem Jahr zu. Bei den meisten Opfern handelt es sich um Frauen, die unter den Bedrohungen und Belästigungen, denen sie nicht selten bereits seit Jahren ausgeliefert sind, massiv leiden. Unter den Betroffenen gibt es vereinzelt aber auch Männer.
Psychoterror für die Opfer
Hansruedi Ammann, Chef der Abteilung Gewaltdelikte bei der Stadtpolizei, ist seit 31 Jahren Polizist. Was er mit Stalking-Opfern erlebt, beeindruckt ihn tief. «Viele Opfer sind seelisch verletzt, psychisch angeschlagen und wissen sich nicht mehr zu helfen», sagt er. «Wenn man es nicht selbst miterlebt hat, kann man sich nicht vorstellen, wie Menschen fertiggemacht werden.» Ammann berät Stalking-Opfer, die sich schliesslich an die Polizei wenden, um dem Psychoterror ein Ende zu setzen.
Nicht immer, aber häufig ist es so, dass sich Opfer und Täter kennen, sie in manchen Fällen auch einmal liiert waren. Der Täter stellt dem Opfer nach, verfolgt und beobachtet es Tag und Nacht. Dann folgen vielleicht Beschimpfungen, Bedrohungen durch anonyme SMS, E-Mails oder Telefonanrufe mit unterdrückter Nummer. Es gibt Täter, die Flugblätter kreieren und ihr Opfer anschwärzen, es diffamieren und bei den Nachbarn schlechtmachen. Nicht selten gipfeln die Bedrohungen in einem tätlichen Angriff. «Die Summe der einzelnen Handlungen hat eine enorme Wirkung», sagt Ammann: «Das Opfer gerät psychisch in Bedrängnis, wird krank und fühlt sich im Extremfall gezwungen, seine Lebensumstände zu ändern.» Das kann bedeuten, dass eine Frau in eine andere Stadt zieht, den Arbeitgeber wechselt und fortan versucht, ihre Adresse und Telefonnummer vor dem Verfolger geheim zu halten.
Hansruedi Ammann sieht mehrere Gründe dafür, dass die Zahl der Stalking-Opfer seit einiger Zeit steigt: Die moderne Technik ermögliche es, rund um die Uhr zu kommunizieren - und dabei wenigstens eine Zeitlang anonym zu bleiben. «Ebenfalls eine Rolle mag spielen, dass die Sicht des Opfers heute deutlicher anerkannt wird.» Wenn beispielsweise ein Mann mit allen möglichen Mitteln um die Liebe einer Frau «kämpfe», werde dies nicht mehr einfach romantisch-verklärt als intensives Werben wahrgenommen. «Die Frage, wann die Schmerzgrenze für das Opfer erreicht ist, ist in den Vordergrund gerückt.»
Umdenken bei Polizei und Justiz
Bei der häuslichen Gewalt hat in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden. Häusliche Gewalt ist zunehmend gesellschaftlich geächtet; die Täter haben mit einer konsequenten Strafverfolgung zu rechnen. Einen ähnlichen Prozess beobachtet Ammann seit einiger Zeit auch beim Stalking. «In Zürich haben die Polizei und die Justiz das Problem erkannt und intervenieren rigoros. Die gesetzlichen Grundlagen sind allerdings noch dürftig.» Der Begriff Stalking kommt im Strafgesetzbuch nicht vor. Verurteilungen von Stalkern erfolgten deshalb bisher unter anderem wegen Nötigung, Drohung oder Tätlichkeiten. Ein entsprechender Fall, der sich am Schauspielhaus Zürich ereignet hatte, wurde kürzlich am Bezirksgericht verhandelt (NZZ 17. 10. 06).
Dass es sich für Opfer lohnt, sich bei der Polizei zu melden und Anzeige zu erstatten, ist für Ammann unbestritten. In der Regel wirke es, wenn die Polizei dem Täter klar mache, dass er einen Fehler begangen habe und im Unrecht sei. Je nachdem, wie der Fall liegt, kann der Stalker vorübergehend festgenommen und so eine Zeitlang aus dem Verkehr gezogen werden. «Der Täter muss wahrnehmen, dass es eine andere Realität gibt als seine eigene, die einem verschobenen Weltbild entspringt», sagt Ammann. Auf der anderen Seite gehe es darum, das Opfer zu stützen und zu schützen. Wenn nötig vermittle die Polizei auch Kontakte zu Opferhilfestellen.