Do, 01. Sep 2022, 17:00
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Liebe Leute!
Ich bin Tourguide in Albanien. Vielleicht ist ja meine Erfahrung dem ein oder anderen hilfreich.
Zu Beginn des Jahres wollte ich noch mal neue Fotos einiger 'Lost Places' schießen. In den vergangenen Jahren war das recht problemlos möglich. Wenn es überhaupt Wachen gab, waren die relativ tolerant.
Als ich beispielsweise mit meinem Sieben-Meter-Bus vor der Einfahrt zur Marineanlage des U-Boot-Tunnes bei Porto Parlemo nicht wenden konnte, hat man kurzerhand das Tor aufgemacht, damit ich reinfahren und dort umkehren konnte. Die auf der gegenüberliegenden Landzunge befindlichen Bunkeranlagen durfte ich sogar ganz erlaubt erkunden. Die beiden Polizisten ermahnten mich lediglich aufzupassen, mir nicht die Haxen zu brechen. Sie hätten keine Lust, meinen Doppelzentner da raus zu tragen …
Wenn ich irgendwo einfach so Fotos gemacht habe, und es mir dann verboten wurde, wollte nie jemand Handy oder Kamera sehen. Es wurde auch nicht kontrolliert, ob ich irgendwas lösche.
Und ja: Ich hantiere nicht mir Pfefferspray herum und verstecke mich auch nicht. Ich gehe freundlich auf die Soldaten oder Polizisten rum und rede – respektvoll(!) – mit ihnen.
Dieses Frühjahr war nun vieles anders:
Militärflugplatz Kuçova
Wegen seiner vielen im freien geparkten alten MIGs war der alte Militärflugplatz Kuçova immer ein lohnendes Ziel. Und sehr zugänglich, da Albanien keine Luftwaffe mehr betreibt und es nichts zu sichern oder zu verbergen galt.
Also bin ich dieses Frühjahr wieder hin – und hätte fast die Wachmannschaften überfahren. Nicht nur, dass es wieder welche gibt. Sie sind auch wirklich und schwer bewaffnet. Selbst mit offiziellem Empfehlungsschreiben gab es keinen Zugang mehr. Und das nahmen die Männer, ganz unalbanisch, sehr ernst. Inzwischen weiß ich warum. Die NATO baut Kuçova seit Anfang 2022 für 50 Millionen Euro zum Luftwaffenstützpunkt des Bündnisses aus.
Militärflugplatz Gjadër
Das Flugfeld in Gjadër liegt immer noch so verlassen da, wie vor Jahr und Tag. Betonblöcke auf der Rollbahn, die Tore inzwischen zugeschweißt und Gräben ausgehoben, damit man auch ja nicht auf die Startbahn fährt. Bewacht wird da nix und Fotos kann man in aller Ruhe machen. Aber … interessant ist ja nicht das ungenutzte Flugfeld, sondern die Flugzeugkaverne in der nahe gelegenen Bergkette. Auch da konnte man früher recht einfach rein und alte russische bzw. chinesische Jäger und Bomber anschauen.
Dieses Frühjahr war die Anlage abgesperrt und schwer bewacht. Sowohl von Wachmannschaften als auch von Kampftruppen. Die begegneten mir schon beim Vorfahren mit großem Argwohn. Und der blieb auch, als ich fragte, ob ich nicht wenigstens die Kavernen außerhalb der Absperrung, in denen Bauern ihre Kühe halten, fotografieren dürfte. Das wurde dann schließlich, nachdem ich meine Personalien übergeben hatte, erlaubt oder eher: toleriert.
Bunk'art Tirina
Der ehemalige Regierungsbunker Hoxhas und seiner Konsorten ist ja eine – immer noch sehenswerte - offizielle Ausstellung. Früher konnte man auf dem Gelände auch mal "außemrum" ein bisschen mehr erkunden. Beim meinem Besuch in diesem Frühjahr war das nicht möglich. Da war man ganz deutlich.
Marinebasis Pashaliman
Vloras Marinehafen ist selbst nicht spannend. Aber inzwischen liegt wieder eines der U-Botte, die man den Russen 1961 abgenommen hatte, dort. Da auf dem weiträumig abgesperrten Gelände auch eine archäologische Stätte liegt, hatte man bislang immer ein Alibi, um etwas näher ran zu kommen und auch ohne Megateleobjektiv ein vernünftiges Foto des Beuteschiffs zu machen. Inzwischen braucht man einen bezahlten begleiter, wenn man zur Archologischen Stätte will. Und der achtet sehr darauf, dass man nicht falsch abbiegt und doch zu einem Fotopunkt kommt.
Fazit
Putins Überfall und Vernichtungskrieg hat auch in Albanien die Stimmung verändert. Man sieht nun NATO-Militärkonvois auf den Straßen und Fotografie- und Betretungsverbote werden wieder ernst genommen.
Ich will gar nicht darüber spekulieren, ob im Fall der ehemaligen(?) Munitionsfabrik wirklich spioniert wurde, bloß coole Fotos eines "Rotten place" entstehen sollten oder die Russen das erreichen wollten, was nun geschieht: Verunsicherung.
Jedenfalls geht in und um solche Anlagen nicht mehr entspannt zu. Etwaige Nervositäten können da leicht in einer Tragödie enden. Deshalb vermeide ich, auch nur den Anschein zu wecken, irgendetwas verdeckt zu tun. Offen agieren und – wenn möglich vorab offiziell – fragen. Und: Nein heißt nein.
Ich kann Euch versichern, das Land hat noch mehr als genug andere Orte zum Entdecken, für die es ein "ja" gibt.
Herzlichst,
Käpt'n Eddy