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Im Kosovo bekommen Männer oft die bessere Ausbildung und die besseren Jobs. So leben Frauen praktisch am Rande der Gesellschaft. Doch es regt sich Widerstand gegen die Abhängigkeit vom anderen Geschlecht.
"Ich kämpfe. Ich bin jung, ich bin eine Frau, und ich lehre an einer männlich dominierten Universität", beschreibt die 26 Jahre alte Linda Gusija ihre Arbeit als Soziologin an der Universität von Pristina. Dort betreibt die die junge Frau mit den langen, dunklen Haaren Gender Studies, also Geschlechterforschung. Kein leichtes Unterfangen in einer so patriarchalisch geprägten Gesellschaft wie dem Kosovo, sagt sie: "Es ist eine eine Herausforderung. Aber ich mag es, herausgefordert zu werden."
Nita Ljucy kämpft an anderer Stelle für die Sache der Frauen: Einmal in der Woche moderiert sie eine Radioshow mit geladenen Gästen, wo auch Hörer anrufen können. Ihr Show heißt "Solange es nicht zu viel Feminismus ist". "Wir entwickelten gerade das Konzept, da sagte man mir: 'Wir kennen Dich, solange es also nicht zu viel Feminismus ist…' Deshalb trägt die Show jetzt diesen Namen", erklärt Ljucy.
Hohe Arbeitslosigkeit
Das Bewusstsein für die Lebensrealität von Frauen ist im Kosovo nicht sehr stark ausgeprägt. Sie leiden besonders unter der politischen und vor allem unter der wirtschaftlichen Situation des Landes, erklärt Gusija: "Das Problem ist: Die Frauen hier befinden sich am Rande der Gesellschaft. Sie leiden aus wirtschaftlichen Gründen. Daher können sie nicht zur Schule gehen, sie können sich nicht weiterbilden, sie haben keine Arbeit." Bei einer Arbeitslosigkeit von 70 Prozent im Kosovo bekämen zudem natürlich die Männer die bestbezahlten Jobs.
Das Kosovo war schon zu Zeiten Jugoslawiens das Armenhaus des Landes. Seit dem Krieg 1999 hat sich die Situation verschlimmert. Unzählige Menschen wurden vertrieben, mehr als 800.000 flüchteten ins Ausland. Bis heute hat die südserbische Provinz, die seit 1999 von den Vereinten Nationen verwaltet wird, keine funktionierende Wirtschaft. Viele Menschen sind arm und glauben, dass ihre Söhne später leichter Arbeit finden werden als ihre Töchter. Deshalb müssten selbst jene Mädchen, die höhere Schulen besuchen, diese im Alter von 16 oder 17 Jahren verlassen, berichtet Gusija.
Keine weiblichen Vorbilder
Das weibliche Geschlecht fehle zudem nicht nur auf den Schulbänken, sondern auch in den Schulbüchern. Denn dort sei vor allem von Kämpfern und Soldaten, die Kampf und Krieg verherrlichen, die Rede. "Das vermittelt den Kindern Aggressivität, Männerdominanz und Machotum. Wenn man dich zur Schule schickt und du lernst dort nichts über Schriftstellerinnen oder Dichterinnen, beeinflusst das natürlich deine Sicht auf die Welt."
Die Sicht auf die Welt hat auch der Einzug religiöser Organisationen in den bislang wenig religiösen Kosovo verändert, sagt Ljucy. Die Anthropologin arbeitet an ihrer Dissertation über Frauen im Kosovo. "Es gibt islamische Organisationen, die haben Frauen oder ihre Väter dafür bezahlt, dass sie ihre Töchter verschleiern", erklärt sie. Auch manche Kirchen "helfen" auf unterschiedliche Weise, was aber nichts anderes sei als der Versuch, die Menschen zu konvertieren. "Ich denke, das ist sehr problematisch, vor allem die Art und Weise, wie sie vorgehen", meint Ljucy.
Nationalismus wichtiger als Gleichberechtigung
In der Politik spielen Frauen und ihre Probleme überhaupt keine Rolle, findet Gusija. So wäre zum Beispiel die gynäkologische Abteilung im Krankenhaus von Pristina ein wichtiges Thema. Dort gebe es jede Nacht 40 Geburten. Gusija plädiert dafür, zum Beispiel darüber zu reden, wie man diesen Frauen helfen könne, also reale, alltägliche Probleme anzusprechen. "Aber das tun die Politiker nicht. Nicht nur, dass sie den geschlechtsspezifischen Aspekt nicht berücksichtigen. Sie sprechen auch nicht über Elektrizität, die uns fehlt. Alle bleiben schön abstrakt und sprechen über nationale Romantik. Das ist es, was wir hier haben", erklärt die Dozentin.
Nationalismus und staatliche Unabhängigkeit bestimmen das politische Denken und Handeln im Kosovo. Daran habe auch die Frauenquote von 30 Prozent im Parlament bislang nichts geändert, denn die meisten Parlamentarierinnen hätten lediglich eine dekorative Funktion, sagt Gusija. Doch sie hat die Hoffnung, dass sich das bald ändert: "In Zukunft werden wir Frauen in der Politik haben, die wirklich überzeugt sind von dem, was sie tun. Und die nicht nur da sind, weil der Chef einer Partei sie ausgewählt hat oder weil er weiß, dass sie gehorsam sind."