"Man muss dem Kosovo Zeit geben"
Die Frau zeigt praktische Erfahrung und spricht offensichtlich die echten Probleme an. Von einer Rechtsstaatlichkeit ist der Kosovo meilenweit entfernt.
10. Februar 2006
17:36 "Man muss dem Kosovo Zeit geben"
Strafrichterin Fenz über ihren UNO-Einsatz, wo sie mit inter-ethnischen Spannungen, mächtigen Familienclans und wirtschaftlicher Depression konfrontiert wurde
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Foto: Standard/Urban
Zur Person
Strafrichterin Claudia Fenz (49) hat im Rahmen einer EU-Ausbildung ziviles Krisenmanagement studiert und war eineinhalb Jahre im Kosovo als internationale Richterin tätig. In zwei Wochen tritt sie ihren Dienst im Rahmen des EUcoops-Projekt in Palästina an. Danach wird sie als einzige österreichische Richterin am Kambodscha-Tribunal teilnehmen.
Mit Strafrichterin Claudia Fenz sprach Petra Stuiber
Standard: Was haben Sie im Kosovo gemacht?
Fenz: Ich habe dort im Rahmen der nationalen Gerichtsorganisation als internationale Richterin für die UNO-Kosovo-Mission (UNMIK) gearbeitet. Ich habe bestimmte Fälle übernommen, die kosovarische Kollegen nicht übernehmen wollten oder konnten.
Standard: Welche Fälle?
Fenz: Es geht in erster Linie um Vergangenheitsbewältigung, um die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und es geht auch um Schwerkriminalität mit ethnischem Hintergrund, zum Beispiel, wenn ein Kosovo-Albaner einen Serben ermordet hat, einfach deshalb, weil er ein Serbe war - oder umgekehrt. Ein drängendes Gegenwartsproblem ist die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Für alle diese Fälle gilt: Sie sind sehr komplex. Immer wieder werden Zeugen und deren Familien, aber auch Richter bedroht.
Standard: Ist es klug, Kriegsverbrechen im Land selbst vor Gericht zu bringen?
Fenz: Ein Vorteil ist die höhere Transparenz für die Bevölkerung, auch wenn die Qualität der Gerichtsberichterstattung noch sehr zu wünschen lässt. Außerdem: Insbesondere als Richter, der von außen kommt, bekommt man nur so die Stimmung im Land mit. Wenn zum Beispiel ein ehemaliger UCK-Kämpfer vor Gericht steht, sind die Leute empört, weil sie ihre Volkshelden als Angeklagte sehen. Man muss ihnen klar machen, dass es nicht um den Freiheitskampf, sondern um individuelle Schuld geht. Da müssen alle Seiten Geduld haben.
Ein Nachteil ist die Gefährdung der Zeugen. Zeugenschutzprogramme sind teuer und logistisch anspruchsvoll. Wo wollen Sie jemanden in einem Zwei-Millionen-Land verstecken? Dazu kommt noch, dass im Kosovo ein Familienclan-System herrscht. Wenn Sie einen verstecken wollen, reicht das nicht. Sie müssen die ganze Großfamilie schützen - das geht eigentlich nur im Ausland. Das ist teuer, und es gibt auch nicht viele Länder, die so viele geschützte Zeugen auf einmal akzeptieren würden. Die Bedrohung ist jedenfalls sehr real. Zeugen werden vor und auch nach ihrer Aussage erschossen.
Standard: Wie funktioniert der Strafvollzug im Kosovo?
Fenz: Der Vollzug ist an die ^lokalen Behörden übergeben. Kosovo-Albaner und Serben müssen getrennt werden - es geht nicht, dass sie in einem Gefängnis sind. Wie die anderen Institutionen im Kosovo steckt der Strafvollzug im Entwicklungsstadium. Sie dürfen nicht vergessen, dass UNMIK dort rechtsstaatliche Strukturen fast aus dem Nichts aufgebaut hat. Das ist ein einzigartiges "Experiment", das auch deshalb so schwierig ist, weil der Kosovo keine Tradition für eigene rechtsstaatliche Institutionen und Demokratie hat.
Standard: Das klingt nicht sehr optimistisch . . .
Fenz: Das dauert einfach, man kann keine Wunder innerhalb weniger Jahre erwarten. Die Stimmung kann sich jederzeit gefährlich aufheizen. Denken Sie nur an die schweren ethnisch motivierten Unruhen im März 2004. Ich habe einen Fall verhandelt, da standen sehr junge Kosovo-Albaner wegen Mord an Serben vor Gericht. Die Zuschauer waren aufseiten dieser jungen Leute, und als der Gerichtsbeamte für Ruhe sorgen wollte, wurde er als ,serbischer Para-Militär‘ beschimpft, obwohl der Mann gar kein Serbe war. Ich will damit nur sagen: Es ist für das lokale Gerichtspersonal und die Polizei nicht leicht. Diese Leute müssen schon einiges aushalten. Ein Justizwachebeamter verdient ungefähr 190 Euro pro Monat. Da darf man sich nicht wundern, wenn manche der Korruption erliegen.
Standard: Das ist doch kein Argument - die anderen Kosovo- Albaner verdienen auch nicht mehr.
Fenz: Für die Bediensteten ist das halt eine Zuverdienstmöglichkeit. Sie müssen bedenken, dass oft ein ganzer Familienclan - das können schon mal zehn Leute sein - von einem solchen Einkommen leben soll. Die Arbeitslosenquote liegt bei über 60 Prozent, anstatt unfinanzierbarer Pensionen wird eine Art Sozialhilfe von circa 50 Euro pro Monat bezahlt. Die meisten kämen ohne das, was ihre im Ausland arbeitenden Verwandten schicken, nicht über die Runden.
Standard: Wie geht es den Frauen im Kosovo?
Fenz: Das ist eine zwiespältige Sache. Die berufstätige Frau ist ein gewohntes Bild seit den Zeiten des vereinigten Jugoslawien. Aber in den Familien ist die Rolle der Frau weit gehend noch von jahrhundertealten, gewohnheitsrechtlichen Traditionen bestimmt. Der älteste Mann ist der Paterfamilias, der Herr über seinen Clan. Vor allem in ländlichen Gebieten verwaltet er noch das Einkommen aller Familienmitglieder. Dort wohnen die Großfamilien im Verband. In vielen Dörfern finden Sie Großfamilien-Ansiedlungen, die wie Festungen aussehen. Der Einzelne fühlt sich auch primär der Familie gegenüber verantwortlich, nicht gegenüber einer Gesellschaft im westlichen Sinn. Das schlägt auch auf das Verhältnis des Einzelnen zum Staat durch. Man muss das wissen und behutsam vorgehen.
Standard: Braucht der Kosovo eine EU-Perspektive?
Fenz: Unbedingt. Die EU will Ende 2006 die internationale Verantwortung im Kosovo übernehmen. Das Land braucht wirtschaftlichen Aufschwung, sonst war alles vergebens. Um diesen zu ermöglichen, wird die Bekämpfung der Korruption eine Priorität sein müssen. Wenn das nicht funktioniert, hat das Land keine Zukunft zu geben. Es wird schwierig genug . . .
Standard: Warum wird das schwierig?
Fenz: Es fällt mir schwer zu glauben, dass der Kosovo in absehbarer Zukunft als friedlicher, inter-ethnischer Staat existieren kann. Es ist vor zu kurzer Zeit zu viel passiert. Dazu kommt eine starke Verflechtung zwischen den Freiheitskämpfern der 90er-Jahre, der Politik und der Kriminalität. Die Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit braucht Zeit. Die wird die internationale Gemeinschaft den Menschen im Kosovo geben müssen.
(DER STANDARD, Printausgabe, 11./12.2.2006)
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