Mi, 24. Nov 2010, 4:01
Chronologie eines Amtsbesuchs
St.Galler Lehrermord: Offene Fragen rund um den Besuch des Täters auf dem Vormundschaftsamt. Der Täter im St.Galler Lehrermord war vor der Blut-tat auf dem Vormundschaftsamt der Stadt.Weshalb haben die Behörden dieses Gespräch verschwiegen.? Was wurde besprochen? Hat der spätere Täter Ded Gecaj gedroht?
Regula weik
Sein Telefon lief gestern heiss. Was Stadtrat Hubert Schlegel wusste, aber bislang nicht kommunizierte, musste er mehrfach wiederholen: den exakten Verlauf des Besuchs von Ded Gecaj auf dem städtischen Vormundschaftsamt - und zwar am frühen Morgen des 11. Januar, kurz vor seinen Schüssen auf Reallehrer Paul Spirig.
«Ruhig, aber traurig»
Um 8.20 Uhr erschien, so Schlegel, Ded Gecaj auf dem Vormundschaftsamt der Stadt St.Gallen. Er verlangte ein Gespräch mit seinem Sachbearbeiter. Er hatte keinen vereinbarten Termin.Ded Gecaj wirkte ruhig, gefasst, aber traurig. So jedenfalls erlebte ihn der zuständige Sachbearbeiter, der den Fall seit Wochen betreute; zwischen den beiden Männern hatten bereits zahlreiche Gespräche stattgefunden.Doch an dem Morgen hatte Ded Gecaj ein besonderes «Anliegen»: Seine Tochter hätte ihm erzählt, ihr Lehrer sei ihr zu nahe gekommen. Auf sein Nachfragen hin habe das Mädchen gestanden, zwischen ihr und dem Lehrer habe Geschlechtsverkehr stattgefunden. Den Vorwurf der sexuellen Übergriffe habe Ded Gecaj an diesem Morgen -gegenüber Behörden - erstmals geäussert, erklärt Stadtrat Hubert Schlegel. Die Kantonspolizei St.Gallen hat die Anschuldigungen Anfang dieser Woche widerlegt. Sie entbehrten jeglicher Grundlage (Ausgabe vom 26. Januar).
Abklärung zugestimmt
Nach den Äusserungen von Ded Gecaj unterbrach der Sachbearbeiter kurz das Gespräch, um zusätzlich eine Frau beizuziehen, ebenfalls eine Sachbearbeiterin des Vormundschaftsamtes. Zu dritt wurde das Gespräch danach weitergeführt. Ded Gecaj lehnte es ab, beim Untersuchungsrichter Anzeige zu erstatten. Einer genauen Abklärung stimmte er zu: Es sollten Gespräche mit der Tochter geführt werden, und sie sollte medizinisch untersucht werden. Der Sachbearbeiter versprach ihm, diese Termine - noch für den gleichen Tag -zu organisieren. Ded Gecaj verliess das Vormundschaftsamt. Er wollte nach Hause gehen.Dann zeigte sich: Die Termine kommen erst am nächsten Morgen zustande. Der Sachbearbeiter telefonierte Ded Gecaj, erreichte ihn aber nicht. Er wollte ihn deshalb zu Hause informieren. Dort traf er Mutter und Tochter an. Als er das Haus verliess, fuhr die Polizei auf. Ded Gecaj hatte im Schulhaus Reallehrer Paul Spirig erschossen.
Keine Drohungen
Weshalb suchte der Sachbearbeiter Ded Gecaj in seiner Wohnung auf? «Er hatte mit ihm vereinbart, ihn bis Mittag über die Termine zu informieren. Diese Abmachung wollte er einhalten», sagt Schlegel.Wurde Gecajs Verhalten falsch eingeschätzt? Die Gefahren hätten sich im und nach dem Gespräch nicht so gestellt. «Der Sachbearbeiter konnte davon ausgehen, dass Gecaj die vereinbarte Abmachung akzeptiert», sagt Schlegel. Dies aufgrund früherer, vergleichbarer Erfahrungen mit ihm. Hat Gecaj in dem Gespräch gedroht? Schlegel verneint: «Nein, gegen niemanden.»
Geschwiegen
Offen bleibt die Frage: Weshalb haben die Behörden, die am Tag nach der Tat ausführlich über die Kontakte zwischen Familie und Vormundschaftsamt informierten, exakt dieses eine Gespräch verschwiegen? Er habe das Treffen bewusst nicht kommuniziert, sagt Schle-gel, um keine «unnötigen Recherchen» zu provozieren. Und er begründet: schwerwiegende, durch nichts erhärtete Anschuldigungen; Schutz der Tochter («suizidgefährdet, traumatisiert, gewalttätiger Vater»), Pietät gegenüber dem Opfer und dessen Familie.Und heute? Würde Schlegel heute anders informieren? «Ich stehe hinter meinem damaligen Entscheid. Ich würde wieder gleich handeln.»