Di, 17. Feb 2009, 23:20
Vor einem Jahr erklärte sich die serbische Provinz Kosova für unabhängig. Die Hoffnungen damals waren hochfliegend. Mittlerweile sind die Menschen dabei zu lernen, dass Fortschritt seine Zeit braucht.
Sie hat gesehen, was sein kann, wenn Hoffnungen enttäuscht werden. Vor ein paar Tagen erst ist vom Nachbarhaus, vor ihren Augen, ein junger Mann in den Tod gesprungen. Einer von denen, aus dessen Träumen nichts geworden war, der sein Studium abbrechen musste, weil die Familie dafür kein Geld mehr hatte. Dessen Vater arbeitslos ist, dessen Mutter als Krankenschwester kaum 170 Euro im Monat verdient, der keine Arbeit fand, so sehr er auch gesucht hatte.
Da wollte der junge Mann dann lieber selbst tot sein, als seine Hoffnungen begraben zu müssen. Er war 22 Jahre alt.
Besa Luzha sitzt in ihrem Büro, es gehört zur deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung und liegt an einer der belebten Straßen mitten im Zentrum von Prishtina. Sie ist nachdenklich in diesen Tagen. Gerade erst der Selbstmord, jetzt die Feierlichkeiten zum ersten Jahrestag der Unabhängigkeit des Kosovos. Sie sagt, der Tod des jungen Mannes zeige, wie die Lage wirklich sei. „Was hatte man uns bei der Unabhängigkeit nicht alles versprochen: endlich mal 24 Stunden Strom pro Tag, 100 Anerkennungen des Staates Kosova durch andere Länder, höhere Pensionen und vor allem neue Jobs.“
„Nichts von alledem ist eingetreten“, sagt sie auch noch.
Das Kosova, halb so groß wie Hessen, hier verlieren sich etwa zwei Millionen Einwohner, fast alle sind Albaner, um die 130 000 sind Serben, dann gibt es noch die Bosniaken, die Roma, die islamische Volksgruppe der Goranci, die türkischstämmigen Ashkali, sie alle bilden ihre Grüppchen, Miteinander ist selten. Die Menschen im Kosova sind jung, viele sind arbeitslos, mehr als 50 Prozent der unter 35-Jährigen haben keinen Job.
Die immer vollen Cafés in den Straßen der Hauptstadt bezeugen das. Nur ein paar Schritte von Besa Luzhas Büro entfernt ist das „Rings“, ein In-Lokal, in dem sich vor allem diejenigen treffen, die Arbeit haben, bei den internationalen Organisationen oder in dem gläsernen Hochhaus, das die kosovarische Regierung unter Führung von Ministerpräsident Hashim Thaci beherbergt, auch Parlament und Präsidialamt sind nicht weit. Ilir Deda kennt viele Gäste im „Rings“. Er ist Forschungsdirektor des angesehenen Think Tanks Kipred und beobachtet die Mächtigen bei der Arbeit. Nicht immer macht ihn das froh. „Die Arbeit unseres Außenministers ist ein Desaster“, sagt er etwa. Weil bisher gerade 54 Länder das Kosova anerkannt haben, weil er nicht durch die Welt reist, nicht für die Sache wirbt, weil er alles den Amerikanern überlässt. Dabei sei das Kosova doch ein gemeinsames Projekt. Deda guckt vorwurfsvoll.
Die US-amerikanische Botschaft thront einer modernen Festung gleich im Botschaftsviertel Arberia über der Stadt. Sie ist in den Augen vieler die eigentliche Schaltzentrale der kosovarischen Politik. Die als wenig zimperlich bekannte US-Botschafterin Tina Kaidanow greife, das gilt als offenes Geheimnis, immer wieder zum Telefonhörer, um dem Premier oder seinen Ministern die Erwartungen der USA bekannt zu geben. Die politische Elite in Prishtina stört das nicht. Im Gegenteil. Er sei stolz, Premierminister des pro-amerikanischsten Landes der Welt zu sein, bekannte Regierungschef Hashim Thaci, und er weiß damit die große Mehrheit seiner Bevölkerung hinter sich.
Auch für Ilir Deda ist klar, dass die USA der zuverlässigste Freund des Kosovos sind. Die EU dagegen! Griechenland, Rumänien, Slowakei, Spanien und Zypern hätten das Kosova ja noch nicht mal anerkannt. Und dann die Angst, der Norden könnte sich abspalten. Der Norden, in dem fast nur Serben wohnen. Immer wieder gibt es dort Unruhen, die serbische Regierung würde dagegen nichts tun, beklagt Deda, habe vielmehr Interesse an Destabilität. Auch am heutigen Dienstag, dem Jahrestag, gibt es wieder Aufruhr, wollen Parlamentarier aus Serbien in Mitrovicë einer Sondersitzung beiwohnen, einberufen von den Vertretern der serbischen Minderheit im Kosova, die die Unabhängigkeit für null und nichtig erklären. Und die Regierung in Prishtina hat noch keine Idee, wie sie das verhindern soll.
Die Unruhe nütze Serbien, sagt Deda, damit wolle man die Teilung des Kosovos rechtfertigen, da klingelt sein Handy, Rada Trajkovic ruft an, eine einflussreiche Ärztin, Serbin aus der Enklave Gracanica, nicht weit von Prishtina. Die beiden kennen sich schon lange, mögen sich, sie wird ihn nachher in Gracanica einen „feinen Kerl“ nennen.
„Ferkel zu verkaufen“, steht in kyrillischen Buchstaben auf einem Holzschild an der Wand eines einfachen Hauses an der Straße Richtung Serbenenklave. Dann tauchen immer mehr serbische Worte auf, dann auch serbische Flaggen, und dann ist man da. Im Zentrum des Dorfes steht eines der bedeutendsten serbisch-orthodoxen Klöster aus dem 14. Jahrhundert, gleich daneben das Gesundheitszentrum, das Rada Trajkovic leitet. Die Ärztin gehört der Spitze des sogenannten Serbischen Nationalrates des Kosovos an, sie ist bekannt und umstritten. In Gracanica will man von einem unabhängigen Kosova nichts wissen. Hier ist Serbien, sagen die Bewohner. Auch Rada Trajkovic, in deren Büro eine große Ikone der Heiligen Mutter Gottes hängt, teilt diese Meinung. „Die Albaner wissen das“, sagt sie. „Aber ich bin offen für eine Zusammenarbeit mit ihnen im Kampf gegen die Teilung des Kosovos.“ Sie stimmt mit Ilir Deda überein, dass die serbische Führung auf die Teilung des Kosovos hinarbeite. Die gesamte Strategie Belgrads ziele darauf ab, sagt sie, das Nordkosovo zu bekommen, „ganze sieben Prozent des kosovarischen Territoriums.“
Was mit den Serben ist, die im Süden des Kosovos leben, sei Belgrad egal. Rada Trajkovic legt Zahlen vor. Im serbischen nationalen Investitionsplan 2008 waren demnach für die Serben im Nordkosovo mehr als zehn Millionen Euro eingeplant – für jene im Süden des Landes gerade mal 11 000 Euro. „Und nicht mal davon kam bei uns etwas an“, sagt Rada Trajkovic. Für sie ist klar: Wird das Kosova geteilt, ziehen die Einwohner der serbischen Enklaven im Süden – rund zwei Drittel aller im Kosova lebenden Serben – weg. Und die restlichen? Die nicht wegziehen wollen? Für die sei ein Leben im Süden dann nicht mehr möglich. Weil sie zu wenige seien, um sich schützen zu können. Oder, wie Rada Trajkovic sagt: „Es gäbe für die Albaner keinen Grund mehr, sich uns gegenüber korrekt zu verhalten.“
Schon im Sommer hatte Rada Trajkovic sich dafür eingesetzt, dass die von serbischer Seite lange Zeit abgelehnte EU-Rechtsstaatsmission Eulex akzeptiert werden sollte. Jetzt, wo die Eulex tatsächlich im ganzen Land präsent ist, mit Zustimmung Belgrads auch in den serbischen Gebieten, fordert sie die Mission auf, durchzugreifen: „Es wäre gut, wenn die Eulex stark auftreten würde, um die Radikalen und Extremisten das Fürchten zu lehren.“ Denn auch den Kosova-Serben nützen funktionierende rechtsstaatliche Strukturen. Wie weit das Land jedoch von innerer Sicherheit noch immer entfernt ist, zeigt allein die nötige Präsenz von mehr als 15 000 Soldaten der KFOR-Schutztruppe unter Nato-Befehl, darunter mehr als 2600 Soldaten der Bundeswehr.
Noch befindet sich die Eulex auch erst im Aufbau – der Vollbestand von rund 1900 internationalen – davon 1400 Polizisten – und 1000 lokalen Mitarbeitern dürfte erst Ende des Winters erreicht sein. Doch auch dann sei die Mission, das wird immer wieder betont, nur technischer Helfer in den Bereichen Justiz, Polizei und Zoll, kein politischer Faktor. Die Gesetze im Kosova seien modern, manchmal sogar noch besser als der europäische Standard, sagt der für die Eulex arbeitende Schweizer Jurist Alexander Hug. Doch das Problem liege bei der Umsetzung. „Viele Richter und Staatsanwälte sind schlecht ausgebildet – und verdienen sehr wenig. Der Anreiz für Korruption ist groß.“ Ein Experte, der nicht namentlich genannt werden will, wird deutlicher und bezeichnet die Korruption im kosovarischen Justizbereich als „endemisch“: „Wer den Staatsanwalt oder den Richter genügend schmiert, hat den Prozess gewonnen.“
Dazu kommt die organisierte Kriminalität. Rainer Kühn ist ein Mann mit rundem Gesicht, der in Düsseldorf Polizeidirektor war, bis ihm Ende 2007 der Generalsekretär der Europäischen Union die Aufgabe übertrug, die Eulex vorzubereiten und zu leiten. Der zuständige Landesinnenminister freute sich damals, dass ein „nordrhein-westfälischer Spitzenbeamter“ mit dieser „anspruchsvollen Aufgabe“ betraut wurde. Etwas mehr als ein Jahr später sagt Kühn, die Kriminalität sei ein „ernstes Problem“. Allein die unzähligen Motels, Tankstellen und Kasinos seien „ein klarer Indikator für Geldwäsche und damit für organisierte Kriminalität“. Im Frühling will er „Erfolge vorlegen, die der hohen Erwartungshaltung der Bürger entgegenkommen“. Das ist ein zarte Formulierung für deren dringenden Wunsch, dass es der Mafia im Land endlich schonungslos an den Kragen gehe.
Korruption und mangelnde Rechtsstaatlichkeit sind auch wesentliche Gründe dafür, dass bislang kaum ausländische Firmen im Kosova investieren. Zudem gebe es bei den Behörden bislang kaum Strukturen oder Ansprechpartner. Was das für das Land bedeutet, sieht einer der EU-Berater, die im Internationalen Zivilbüro arbeiten, wann immer er aus dem Fenster seines Büros über das Amselfeld schaut und die Schlote des riesigen Braunkohlekraftwerks von Kastriot rauchen sieht.
Prishtina versucht seit einiger Zeit, das veraltete Kraftwerk, das das ganze Kosova mit Strom versorgt, zu privatisieren und gleichzeitig die Rechte für den Bau eines neuen Kraftwerkes an einen ausländischen Investor zu vergeben. Es geht dabei um einen Milliarden-Deal. Doch bis jetzt ist der nicht zustande gekommen. Die Menschen im Kosova, so scheint es, werden noch lange auf den Strom warten, der ihnen vor einem Jahr, bei den Jubelfeiern zur Unabhängigkeit versprochen wurde.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 17.02.2009)