Die Frühalbanische Kultur von Koman
by MariGanja
Das beste Beispiel der illyrisch-albanischen Kontinuität hat die Arbër-Kultur von Koman geliefert. Die ersten Entdeckungen dieser Kultur gehen auf das Ende des vergangenen Jahrhunderts zurück, als das Gräberfeld von Dalmaca bei dem Dorf Koman im Drintal, heute Bezirk Shkodra, gefunden wurde. Daher bezog diese Kultur auch ihren Namen. Nachdem zunächst der französische Konsul in Shkodra, A. Degrand, hier ausgegraben hatte, bemühten sich in zunehmendem Maße Archäologen um diesen Fundplatz, darunter auch der deutsche Archäologe Paul Träger aus Berlin, der in den Jahren 1899 und 1900 zehn Gräber freilegte. In der Diskussion um die Träger dieser Kultur wurden von den Pelasgern über romanisierte Illyrer bis zu Awaren und Slawen eine ganze Reihe von Völkerschaften bemüht.
In den fünfziger Jahren begann die albanische Archäologie, ihre Forschungen auch auf mittelalterliche Siedlungen und Gräberfelder auszudehnen. Innerhalb eines Vierteljahrhunderts erfolgte die Freilegung von 25 größeren und kleineren Grüberfeldern, die dem der Burg von Dalmaca ähneln. Sie liegen im wesentlichen in Nord- und Mittelalbanien, in den Bezirken Shkodra, Kukes, Lezha, Durres, Tirana, Mat und Mirdita. Am bedeutendsten sind die Gräber bei den Burgen von Kruja, Lezha und Shurdhah sowie die bäuerlichen Gräberfelder bei Bukli und Prosek im Bezirk Mirdita. Auf dem großen Gräberfeld von Dalamca sind in den Jahren 1981 – 1984 über 200 Gräber untersucht worden. Interessante Ergebnisse erbrachten die frühalbanischen Gräber im Bezirk Kukes in Nordostalbanien, einer Gegend, die im Altertum zu Westdardania gehört hat. Die Koman-Kultur greift über die Staatsgrenzen der Sozialistischen Volksrepublik Albanien hinaus, so nach Mijele am Ufer des Shkodrasees in Montenegro (Jugoslawien), ein Gebiet, das von den illyrischen Labeaten bewohnt war, aber auch vier Ortschaften in der Umgebung von Ochrid in Makedonien im Bereich der illyrischen Dassereten haben Koman-Funde erbracht. Als ein südlicher Punkt der Diaspora dieser Kultur ist das Gräberfeld von Aphiona auf Korfu zu betrachten. Das reiche archäologische Material bot die Möglichkeit, die Koman-Kultur vor einem weitgespannten geographischen Hintergrund und auf einer reichhaltigen materiellen Basis zu untersuchen.
Das Grabinventar in Form von Werkzeug, Waffen, Keramik und besonders Schmuck führt eine einheitliche materielle und geistige Kultur vor Augen. Die Verzierungen des Metallschmucks z.B., bei denen zahlreiche illyrische Elemente aufgegriffen werden, stimmen überein. Die Gräber haben die Form einer Kiste, der ausgestreckte Körper des Toten lag direkt auf der Erde mit mehr oder minder gleicher Ausrichtung: Ost-West oder Nord-Süd. Sowohl die Form der Gräber aus auch die Bestattungsbräuche bewahren uralte, bereits in den Hügelgräber seit der letzten Periode der Bronzezeit festgestellte Eigenheiten.
Eingehende Untersuchungen anhand der archäologischen Funde haben inzwischen zur Festlegung der ethnischen albanischen Zugehörigkeit, des einheitlichen Charakters der materiellen und geistigen Kultur und ihrer Datierung in das 7. und 8. Jahrhundert geführt. Der Prozess ihrer autochthonen Herausbildung konnte verfolgt und geklärt werden. Die frühmittelalterliche Kultur vom Koman bildete die unmittelbare Fortsetzung der Kultur der Spätantike. Die Grabbeigaben ahmen bekannte Formen aus dem 4. – 6. Jh. n.Chr. nach und liefern überdies den Beweis, dass sie im Lande hergestellt worden sind. Sie bestätigen damit nicht nur eine Kontinuität in Bereichen des Handwerks, wie Schmiedekunst, Silberbearbeitung oder Töpferei, eine natürliche Erscheinung im Prozess der autochthonen Entwicklung der materiellen Kultur, sondern auch eine starke Belebung dieser Zweige des Handwerks in der Übergangsperiode zum Feudalismus. Teile der Kleidungsschmucks stammen dem Bestand der illyrischen Kultur der Eisenzeit. Zwar besaß dieser Schmuck nun nicht mehr den mit dem illyrischen Sonnenkult zusammenhängenden direkten Amulettcharakter, die tiefere Symbolik blieb jedoch erhalten. Die Wurzeln der Koman-Kultur reichen demnach zurück bis zu den Frühillyrern. Im Bestand der Koman-Kultur finden sich daneben auch Objekte der altbyzantinischen Kultur oder solche, die von ihr beeinflußt sind. Eins der Zentren, aus denen diese Gegenstände stammen bzw. der jeweilige Einfluss herrührt, war die Stadt Dyrrachium, wo ebenfalls Stücke gefunden worden sind. Das am stärksten von byzantinischen Vorbildern beeinflusste Genre sind die Ohrringe, die bei den Albanern des Frühmittelalters äußerst beliebt waren. In einigen albanischen Siedlungen und Städten waren sogar Werkstätten tätig, die auf die Herstellung von Ohrringen spezialisiert waren.
Die Wissenschaft ist zu der Überzeugung gelangt, dass die albanische Koman-Kultur konservative und moderne Züge zugleich besitzt, dass es sich um eine Kultur mit neuem Inhalt handelt. Sie hat sich im Verlauf von mehreren Jahrhunderten zu einer Zeit, in der das Byzantinische Reich eine politische und religiöse Krise durchlief und seine Autorität in den Balkanprovinzen gesunken war, entwickelt und fällt mit dem Prozess der Heuausbildung des albanischen Volkes zusammen. Die Koman-Kultur hängt daher mit den ebengebildeteen frühalbanischen Gemeinschaften zusammen, in deren Mitte die Gesetze der sozial-ökonomischen Differenzierung zu wirken begonnen hatten. Somit hatte die Kultur von Koman nichts mit awarischen oder slawischen Völkerschaften zu tun, auch wen in den Gräbern hin und wieder Einzelstücke gefunden worden sind, die Beziehungen zu ihnen aufweisen.
Elemente der römischen Provinzial-Kultur, die bei den Illyrern der Spätantike erhalten blieben, setzten sich auch im Frühmittelalter fort. Das Vorkommen von altbyzantinischen Objekten oder von Einflüssen der byzantinischen Kultur haben den autochthonen Charakter der frühalbanischen Kultur von Koman nicht geschwächt, sie sind vielmehr ein Zeichen dafür, dass sich diese Kultur im gleichen Raum und in Kontakt mit Byzanz entwickelt hat, und dass ihre Träger, die Frühalbaner, über ihre Vorgänge, die Spätillyrer, in ihrer Heimat die provinziale Kultur der Spätantike und die frühbyzantinische Kultur kennen gelernt hatten, was eine spätere Einwanderung in diese Gebiete ausschließt.
Ach Gräberfelder Südalbaniens haben Zeugnisse über die illyrisch-albanische Kontinuität geliefert. In Südalbanien ist diese frühmittelalterliche Kultur bisher in den Tumuli von Piskova, Rapcka, Grabova im Bezirk Permet, im Hügelgrab von Rehova im Bezirk Kolonja sowie im einigen kleinen Gräberfeldern im Bezirk Skrapar zum Vorschein gekommen. Außer der Grabform und den traditionellen Bestattungsitten ist bei diesen Grüberfeldern allein schon die Tatsache wichtig, dass im Mittelalter erneut Tumuli als Grabstätten in gebrauch kamen. In den Gräbern wurden Bronzeschmuck, Terrakottagefäße und andere Gegenstände gefunden, die mit der Spätantike zusammenhängen und den Objekten der Koman-Kultur ähneln. Gewisse Unterschiede zwischen den nördlichen und der südlichen Kulturgruppe des Frühmittelalters bestätigen eine altes Phänomen: ungefähr an derselben Grenze verlief auch in der Vorgeschichte die Trennungslinie der beiden großen Kulturgruppen, nämlich der Mat-Kultur im Norden und der Devoll-Kultur im Süden. Diese Grenze trennt auch die beiden großen Dialekte des Albanischen, das Gegische und das Toskische die ethnographischen Gebiete der Gegeria und Toskeria.